Erstellt am: 19. 7. 2010 - 22:25 Uhr
Fußball-Journal '10-28.
Das WM-Journal war gestern.
Jetzt ist wieder Alltag, also Fußball-Journal 10.
"Trainer ist ein Beruf, den man erlernen muss. Das ist kein Hobby. Diese Zeit ist vorbei. Man ist nicht einfach ein Trainer."
Louis Van Gaal, am Montag in einem Interview im aktuellen Kicker 58/10.
"Wir werden auch gegen Frankreich genauso offensiv spielen."
David Alaba, am Sonntag nach dem verlorenen U19-EM-Spiel gegen England.
Die Vorgeschichte zu all dem in der Preview.
Die Fakten zum ersten Spiel der U 19-EM, Österreich gegen England 2:3.
Hier jede Menge Background-Info zum Turnier.
Und die offizielle UEFA-Site, immer auch mit Live-Ticker.
Van Gaal, Trainer bei Bayern München, meint mit seinem Spruch nicht seinen jungen Spieler Alaba. Der ist noch kein Trainer, klar. Aber er muss bereits die Verantwortung übernehmen, die ein Coach, einer wie ihn Van Gaal definiert, hätte.
Van Gaal meint Hobby-Trainer wie den aktuellen U19-Coach des ÖFB, Andreas Heraf. Die U19 spielt derzeit in der Normandie bei der EM-Endrunde der Altersgruppe um die Chance ihres Lebens. Und Alaba hat in einem Vakuum die Verantwortung übernommen. Dazu später mehr.
Andreas Herafs Beruf ist "Experte"-Sein, also dieses Hansdampf-inallenMediengassen-Syndrom das alle ehemaligen österreichischen Teamspieler, die einen geraden Satz sagen können, befällt. Nicht aus deren Schuld, sondern weil das heimische System Fußball das so verlangt. Ein System bei dem sich ÖFB, Liga, Vereine, Umfeld-Mitschneider und Medien gegenseitig die Bälle zuspielen und den finanziellen Kuchen aufteilen.
Das Versagen des Systems "österreichischer Fußball"
Dieses System hat sich gerade zur Aufgabe gesetzt die eben beendete WM in Südafrika schwachzureden und sich auf Ablenkungs-Stories wie irgendwelche Schiri-Debatten eingeschworen um die gerade gestartete heimische Liga als Premium-Produkt zu verkaufen.
Ein unglaublicher Bluff und perfider Schwachsinn, der aber sicher von einigen Doofen gefressen werden wird.
Dieses System ist nicht an der Ausbildung heimischer Kicker für den großen globalen Markt interessiert oder am Fortkommen des heimischen Fußballs, an der Steigerung seines Niveaus. Diese gesamtökonomischen oder ideelen Ziele interessieren keinen.
Diesem System liegt einzig an seiner Selbsterhaltung.
Und da der Markt eng ist, und der Kuchen durch die Krise schrumpft, wird das, was sonstwo weltweit die letzten Jahre dominiert hat (internationale Einflüsse, globale Strömungen, genreübergreifende Trainingslehren) nicht nur rigoros weggecheckt, sondern sicherheitshalber auch gleich diffamiert.
Was in einer xenophoben und obrigkeitshörigen Gesellschaft wie der österreichischen dann, wenn Autoritäten (wie die rein kommerziell interessierten Mainstream-Medien oder amateurhaft geführte Verbände) mithelfen, ganz einfach von der Hand geht.
So bleibt man unter sich. Und damit auf dem hobbyistischen Niveau, von dem Van Gaal zu recht mit so grober Verachtung spricht. Der Bayern-Coach spricht konkret den "Motivator" und Nicht-Trainer Maradona an, einen Typus, den es - im kleinen - in Österreich als Dutzendware gibt.
Um den (wenigen) Ausnahmen nicht unrecht zu tun: es geht, das belegen sie deutlich, auch anders.
Bloß: die Mainstream-Media-Öffentlichkeits-Politik, die die Vereine und die Liga tatkräftig unterstützt, fördert die anderen, die Lautsprecher.
ÖFB ohne Philosophie
Leider auch der ÖFB, und das nicht nur im - medial vielbeachteten - Bereich der Nationalmannschaft, sondern seit einiger Zeit auch dort, wo es wirklich wichtig ist und wo jeder Fehler sich über die Jahre potenziert: beim Nachwuchs.
Andreas Heraf ist nur ein Beispiel.
Herafs Zugang zu seiner Verantwortung als Coach der U19 der ÖFB ist eine Mischung aus Wurscht, Passtscho! und Wirdschogutgehn!, getreu der Peter Rapp-Maxime, dass Vorbereitung Schwäche wäre.
Heraf zögerliche Auseinandersetzung mit seinen Schutzbefohlenen während der Zeit, in der er sie nicht zur Spielvorbereitung zusammen hat, erschöpft sich in Mutmaßungen (der Fall Alaba, den er für die Quali nicht nominiert hatte, weil er vermutete, der würde nicht freigestellt werden), autoritärem Disziplingehabe samt medialer Ausschlachtung (die Jungtalente Hierländer, Bevab, Krisch und, kürzlich, Büchel, wurden wegen Nichtigkeiten an den öffentlichen Pranger gestellt – anstatt derlei intern und in Ruhe zu lösen) und stolz präsentiertem Google-Wissen über die Kontrahenten.
Das was einen Coach ausmacht – eine Philosophie zu entwickeln, eine Handschrift zu haben, die an die Spieler zu vermitteln – fehlt.
Weil es innerhalb des gesamten ÖFB keine übergeordnete Philosophie gibt, weil jeder Jugendnationaltrainer alleingelassen vor sich hin werkelt, ist das gar nicht Heraf allein zum Vorwurf zu machen.
Man arbeitet gegeneinander statt miteinander
Wo kein Gesamtkonzept, da auch keine Linie.
Das nur ein solches General-Konzept sinnvolle Verbandsarbeit ermöglicht sollte sich anhand der naheliegendsten Beispiele (Schweiz, Deutschland, Holland…) bereits herumgesprochen haben.
Hat es nicht.
Im ÖFB gibt’s zwar diverse Jugend-Koordinatoren, aber koordiniert wird dort nix. Der Teamchef, eine Medien-Diva, redet mit dem U21-Leiter, dem Rekord-Internationalen, nix. Der wiederum gewährt flüchtigen Heraf-Schützlingen wie Stefan Hierländer, dem sinnlos vergraulten Supertalent, ostentatives Asyl.
Man arbeitet hier nicht mit-, sondern gegeneinander. Und stellt die aus dem „Experten“- und „Hobby“-tum entwickelten Eitelkeiten über das zu erreichende Ziel: die Verbesserung der Aufbau- und Nachwuchs-Arbeit, die sich ÖFB, Akademien und Leistungszentren teilen.
Denn: das Talent ist da.
Es sprießt, dem ganzen Wohlstandsgerede der Untergang-des-Abendlandes-Prediger und dem Komfortzonen-Neidgeschwätz der alten Trainer-Garde zum Trotz. Und das nicht nur beim migrantischen Nachwuchs, sondern allumfassend.
"Man ist nicht einfach ein Trainer"
Weil aber diese global geprägte neue Generation insgesamt besser ausgebildet, sprachgewandter, kommunikationsbegabter und denkflexibler ist, rümpft das System Fußball, das sich aus einem versunkenen Milieu speist, das heute keine Relevanz mehr hat, kollektiv die Nasen.
Weshalb es wenig Verständnis, Überforderung durch neue Medien (wie lachhaft empfindlich ÖFB-Coaches ihre Empörungen über dreiste SMS-Nachrichten Ausdruck verleihen, zeigt ihren entsprechenden Analphabetismus immer wieder auf das Groteskeste) und eine Fixierung auf die populistisch-postdemokratischen Marketing-Tugenden gibt – aber keine Akzeptanz des eigentlichen Berufsbildes, von dem eingangs die Rede war.
Man ist nicht einfach ein Trainer, nur weil man in den 90ern ein paarmal im Nationalteam gespielt hat. Es ist ein Beruf, den man erlernen muss; nichts, was einem zufliegt.
Andreas Heraf hat sich mit Medien und Mächtigen gutgestellt und lebt so in einer bequemen Grauzone zwischen Hobby und Selbstvermarktung.
Aber wenn es ernst wird – und eine EM-Endrunde ist auch auf U19-Level eine ernsthafte Sache – dann wird die mangelnde Substanz deutlich sichtbar.
Der planlose Außenseiter
Heraf hat einberufen, was gerade auffällig war, Jahrgangstechnisch, über die Medien oder Tipps der Akademie-Leiter und diese Burschen halt spielenlassen.
Dass es da immer Schwächen im Abwehrbereich gab – egal, weil das geballte Talent in der Offensive es immer wieder ausgeglichen hat.
Sich konkret mit einzelnen Spielern auseinanderzusetzen, da womöglich Reise-Kilometer auf sich zu nehmen – ist für ein Hobby gar viel verlangt. Der Wochenend-Termin im Sky-Studio als Experte ist allemal wichtiger.
Sich drum zu bemühen die Jahrgangs-Besten für die U19-EM-Quali zusammenzutrommeln – macht nur Arbeit. Alaba oder Dragovic sind zwar Extraklasse, aber, wurscht, wird auch so irgendwie vorbeigehen. Erwartet eh keiner einen Erfolg. Dafür akribisch arbeiten – ich bitte dich…
Nun haben Alaba und Co aber zwei Quali-Runden bei denen ihnen von allen Seiten ordentlich Prügel zwischen die Füße geworfen wurden, überstanden. Und sind bei nämlicher Endrunde, unter den Top 8 Europas, mit sieben Konkurrenten aus den absoluten Top 10, als einziger Außenseiter.
Als Außenseiter, das haben wir allerspätestens bei der WM gelernt, kommst du nur durch, wenn du eine Philosophie, einen Plan, eine eingespielte Mannschaft und ein jeweils konkretes taktisches Konzept hast.
It's the defense, stupid!
Dass sich Heraf jetzt, nachdem diese Kritik auch den Mainstream erreicht hat sich ua mit der Verletzung von Admira-Junior Richard Windbichler ausredet ist ein starkes Stück: den hatte er im März in exakt einem Test in seinem Starting Line-Up, danach war der Innenverteidiger (trotz toller Leistungen im gesamten Frühjahr) kein Thema mehr...
Nichts davon hat Heraf aufgebaut.
Er verlässt sich wie immer auf das Talent-Reservoir seiner Offensiv-Abteilung – die Defensive wird gewürfelt. Aleks Dragovic hat man, wegen mangelndem Durchsetzungsvermögen den Vereinen gegenüber (und da ist Heraf auch schuld, weil er da nicht von Anfang an eine Kultur des Anbohrens entwickelt hat, sondern Wurschtigkeit signalisierte) nicht bekommen, Patrick Farkas ebensowenig.
Kevin Krisch, der sich mittlerweile in die B-Elf von Werder hochgearbeitet hat, wurde ohne Not und aus lächerlichen Gründen abgeschossen. Sturm-Talent Luca Tauschmann wurde nicht beachtet. Andere „deutsche“ Innenverteidiger wie Bernhard Janeczek (aktuell zu den Profis von Mönchengladbach hochgeholt) und Christian Bubalovic (Cottbus) kennt man nicht gut genug, vom jüngst in die U19 der Bayern tranferierten Rechtsverteidiger Traunmüller gar nicht zu reden.
Dafür müssen aktuell Debütanten wie Trauner oder Dilaver auf ungewohnten Positionen spielen, mit Lukas Rath wird gar ein angeschlagener Spieler ins Match gegen England geworfen.
Aus der Tatsache, dass sich bislang alles auch mit einer irgendwie nicht so sicheren Abwehr auch ausgegangen ist, weil man trotz meist vieler Gegentore dann halt offensiv noch ein Alzerl besser war, hat der Coach, dessen Engagement eher wie ein Hobby wirkt, daraus abgeleitet, das es nicht notwendig wäre sich um dieses Problem zu kümmern.
Coaching wie in der Hobby-Mannschaft
Und deshalb verliert Österreichs U19 gegen England 2:3.
Höchst überflüssig.
Denn vorne war wieder alles richtig und alles da. Hinten hingegen wurde geschwommen.
Dafür hätte es sowohl so etwas wie einen kontinuierlichen Aufbau als auch entsprechende taktische Pläne gebraucht. So erinnert das fatal an die Hobby-Mannschaft, bei der sich dann je nachdem wer halt gekommen ist, vier Schwächere hinten reinstellen müssen, während vorne die Besseren geigen.
Leider ist das auch schon der ganze taktische Matchplan.
In Abwesenheit einer Gesamt-Philosophie des ÖFB spielt die U19 nämlich irgendwas. Und darüber, das war schon in der zweiten Quali-Phase im Mai auffällig, entschied nicht der Hobby-Coach, sondern die Mannschaft. Wie sie sich vor der Abwehr und Tobias Kainz, dem 6er, ordnet, das bestimmen Alaba-Weimann-Knasmüllner-Klem selber.
Weshalb es auch kein Zufall ist, das es David Alaba (der nach der sonntäglichen Schwäche von Michael Schimpelsberger gleich auch die Kapitänsschleife übernahm) ist, der für das zweite Spiel am Mittwoch die Strategie ausgibt; und nicht die Maradona-Entsprechung an der Linie.
Generation Alaba, übernehmen Sie!
Vielleicht ist das das einzig wahre Modell für die (österreichische) Zukunft.
Dass die neue Generation, digital geprägt, mit den modernen Anforderungen vertraut, durch globale Kommunikation gewitzt genug, sich selber verwaltet.
Und die Hobby-Trainer an der Seitenlinie sich nur noch um Marketing und Medien kümmern, aber auf das Spiel selber, bitteschön, keinen Einfluss nehmen.
Vielleicht überspringen wir so die Generation der für Trainer gehaltene Hobby-Coaches und gelangen so auch im Fußball endlich ins 21. Jahrhundert.