Erstellt am: 17. 7. 2010 - 15:58 Uhr
Urban Heat in Aggro Berlin
Die Hitze staut sich in den Straßen, steigt hoch, wird nachts von den Häusermauern wie im Kachelofen gespeichert. Dadurch kühlt die Stadt nachts nicht ab und heizt sich tagsüber weiter auf.
Dieser Zustand wurde bislang "Sommerhitze" genannt, heißt aber seit Neustem "Urban-Heat-Phänomen". Weil man weiß, dass der Klimawandel Berlin in den kommenden Jahren noch heißer machen wird - bis 2050 soll die Durchschnittstemperatur um 2,5 Grad steigen - plädieren Städteplaner für Frischluftschneisen und mehr Grünflächen in der Stadt.
Die Hitze mach alle verrückt, auf den Straßen wird gehupt und aus den Autos raus geschrien, ein Freibad in Neukölln musste letzte Woche wegen einer Massenschlägerei geschlossen werden.
Zuhause bleiben ist aber bei über 30 Grad Raumtemperatur auch keine Lösung, wenn alle Fenster auf die Straße gehen, ist es schwer eine Luftschneise zu bauen, und bis der ökologische Stadtumbau vollendet oder erst einmal begonnen wird kann man nicht warten. Also heißt die Devise: Raus aus Berlin!
Roesinger
Badwanne Berlins
Leider, leider liegt Berlin nicht am Meer, aber die Ostsee ist nicht weit und die Insel Usedom kann man sogar in drei Stunden erreichen. Das tun die Berliner im Sommer auch schon seit Kaiser Wilhelms Zeiten, was der Insel den Beinamen "Badwanne Berlins" eingebracht hat.
Roesinger
Der Badeort Bansin, eines der drei "Kaiserbäder" auf Usedom, wurde1897 eigens zum Badebetrieb von einem Berliner Hühneraugenoperateur gegründet. Zu DDR-Zeiten wurden die meisten privaten Hotels und Pensionen enteignet, volkseigene Betriebe aus der ganzen DDR und staatliche Institutionen übernahmen die Einrichtungen. Zum Glück ist nach der Wende nicht alles auf Hochglanz poliert worden. Es gibt noch Fischräucherbaracken am Strand und kleinere Pensionen, ab und an findet man noch den abgeblätterten Ostcharme, alles wirkt entschleunigt. Viele Rentnerpaare sind unterwegs, sehr oft hört man den sächsischen Dialekt und der Strand ist ganz gerecht in gleich lange Textil-, FKK- und Hunde-Abschnitte aufgeteilt. Das Beste: Immer weht hier eine frische Brise vom Meer. Herrlich.
Roesinger
Das Leben im Ostseeheilbad ist beschaulich. Man liegt am Strand rum und geht ab und zu ins Wasser, und mehrmals täglich die Strandpromendade entlang zur Seebrücke. Hotspot des Kaiserbads ist die Kurmuschel, wo nachmittags Kinder mit Theater belustigt werden, abends Fünfziger-Jahre-Themenbands das leiseste Konzert der Welt geben, was aber trotzdem einige Senioren veranlasst die Szenerie unter Protest, mit zugehaltenen Ohren und mimisch übertriebenem, gequälten Gesichtsausdruck zu verlassen.
Roesinger
In den Restaurants an der Promenade hat man sich auf die Musik der Siebziger und Achtziger konzentriert. Ergraute Rockgitarristen spielen, ebenfalls in Zimmerlautstärke, alles von Eric Clapton, Dire Straits und Huey Lewis and the News herunter, rufen ein verhalten-verwegenes "Money for nothing and chicks for free!!" zum Publikum hin, das an den Gartenmöbeln sitzt und regionale Fischgerichte verdrückt.
Kilometerlang kann man am von Buchenwäldern gesäumten, 70 Meter breiten, weißen Sandstrand entlang gehen, und abends ist es so angenehm kühl dass man sogar eine leichte Jacke braucht!
Roesinger
Wie ausgelüftet tritt man die Heimreise an, und schon kurz nach dem Berliner Ortsschild auf einer der großen Einfallstraßen ist sie wieder da: Die Urban-Heat-Plage in Aggro Berlin.