Erstellt am: 18. 7. 2010 - 03:13 Uhr
Vorzeichen der Apokalypse
Heute morgen liebkoste ich noch genüsslich eine Wolke in meinem 90´s-Traum und zappte rein zufällig auf eine längst vergessene Episode von "Parker Lewis - Der Coole von der Schule". Während ich mich noch von der sexuell aufgeladenen Autorität einer Grace Musso verzaubern ließ und ein nostalgisches Kichern zu den "Swoosh"-Geräuschen bei jeder Bewegung der Charaktere hinzufügte, kam auch schon die Unwetterwarnung für Tag 2 am Forestglade 2010.
Für das Burgenland wurden Unwetter mit Starkregen, Hagel und heftigen Sturmböen vorausgesagt, sprich: die absolute Apokalypse, die die drückende Hitze in ihrem geifernden Maul verschlingen würde. Die Meteorologen konnten damit unmöglich die bevorstehenden Auftritte von Gossip und Faith No More meinen. Obwohl, möglich wäre es. Gummistiefel habe ich dennoch eingepackt.
fm4
Heimspiele, my Ass!
Hinter der Bühne und bald auch auf der Tribüne tummelte sich inzwischen Alexander Hacke, ein Teil der Einstürzenden Neubauten. Wie sich später herausstellen sollte, kam Hacke wie so viele andere wegen der Hauptband des Abends. Dazu aber später mehr.
Denn am Beginn stand die Band mit den kessen Ärschen: Superbutt aus Ungarn. In ihrer Heimat werden sie von ihren Anhängern verehrt, sie gewannen auch bereits so etwas wie den ungarischen Grammy. Ihr aktuelles Album "You And Your Revolution" haben sie in den Stockholmer "Fear And Loathing"-Studios aufgenommen, an den Reglern saßen ein paar Mitglieder von Clawfinger. Für den ersten Gig des brütend heißen Samstags waren Superbutt die richtige Wahl, auch wenn der Name von Eric Cartman himself hätte stammen können. Ihnen folgen sollte die deutsche Band Turbostaat, aufgewachsen und großgeworden in Husum, laut den Einwohnern herrscht dort die gelebte Kleinbürgertristesse. Seit zehn Jahren würgen die fünf Freunde von Turbostaat ihre Gitarren und berichten von "Fraukes Ende", nur einem der vielen Texte, die die Band auch auf Nachfrage nicht erklären will. Das Interview absolvierte die Band übrigens mit Wollmützen auf dem Kopf. Verrückte Typen, diese Husumer.
daniel eberharter
Vor einigen Jahren hat mir ein Freund noch von einer "sympathischen" Band mit Namen Zeronic vorgeschwärmt. Ich muss zugeben, ich habe in den letzten Jahren nur sporadisch ihre Karriere verfolgt. Der heutige Forestglade-Auftritt allerdings wird mich lehren, dass ich mir von nun an einen Knopf ins Taschentuch mache, wenn es um Zeronic geht. Gut, vor kurzem wurden sie noch als Teil der "Neuen Österreicher" gefeiert, einer Bezeichnung, die ich so schrecklich wie aufgesetzt finde, weil ohnehin nur eine große Schublade. Da geht es angeblich um "brave Mädchen", die sich in "böse Burschen" verlieben und allerlei "modernen Britpop", was immer das auch sein soll. Tatsache bleibt, dass Zeronic ihren Sound "verbritet" haben, u.a. mit dem Londoner Produzenten Gareth Jones. Das Ergebnis ist eine wohlfühlende Zuckerwatte an eingängigen Songs, die einfach zu so einem Festival gehören. Übrigens auch viel zu warm angezogen: im Anzug.
daniel eberharter
Großstadtromantiker und ausgebrannte Countryhelden
Ein Heimspiel folgte von einer Band, die ich mir immer wieder als musikalische Untermalung in einem Zauberwald vorstelle, so verträumt und doch fantastisch-energisch kommen ihre Kompositionen daher. Stücke, von denen man spürt, dass sie nicht einfach nur durch Zufall entstanden sind, sondern durch das Beherrschen individueller musikalischer und poetischer Fähigkeiten. Garish, das Mutterschiff der österreichischen Popmusik, wie ich sie von nun an nennen will, haben ihre Liebe nicht nur wieder bewiesen, sondern heute auch erklärt: Mit einem Chor aus Freunden und Verwandten, die alle erstaunlicherweise harmonisch gut klingen, einer Trompete von Monsieur Bernhard Eder und dem fulminanten Finale von "Später ist egal", das wie ein starker Windstoß die Bäume des Zauberwalds entwurzelte und ihre Wurzeln brach legte.
daniel eberharter
Vielleicht ist es allzu romantisch, aber die Burgenländer sind für mich die Großstadtromantiker par excellence. Ich stelle mir Thomas Jarmer mit seiner Harmonika vor, wie er still und einsam durch die U-Bahnunterführungen Wiens wandelt, von seiner Angst erzählt, des Lebens nicht mehr froh sein zu können und von dem Spiel mit den Perspektiven und den Fehlern des Erzählers. Bei Garish merkt man immer mehr, dass da tatsächlich sowas wie ein Best Of-Programm heranwächst, auf das gewartet und gehofft wird. In diesem Fall wünsche ich es mir das sogar. Noch Stunden später bleiben die Ohrwürmer. Ich verneige mich.
daniel eberharter
Erik Schrody alias Everlast erinnert mich an eine andere popkulturelle Erfahrung der letzten Tage: Ein gealteter und abgehalfter Country-Musiker namens Bad Blake, der in kleinen Bars und Bowlingbahnen seiner ehemaligen Karriere nachtrauert: Die Rede ist eigentlich von "Crazy Heart", aber die Veränderung von Everlast als Rapper in Ice T´s "Rhyme Syndicate" und später bei "House of Pain" zum von Johnny Cash beeinflussten Singer-Songwriter, der mit Whitey Ford ein neues Alter Ego findet, verläuft vor dem Hintergrund bluesiger und herzzerreißender Geschichten. Etwa über einen Herzinfarkt und eine Konvertierung zum Islam. Bei Everlast steckt der Blues nicht nur im Albumtitel seines erfolgreichsten Werkes ("Whitey Ford sings the Blues"), sondern auch in jeder Pore seines Seins. Wenn die Gitarrensaite reißt, oder er vom Publikum mit einer Wasserpistole bespritzt wird, gilt immer: "I´m so lonesome I could die".
daniel eberharter
Natürlich warteten alle nur auf "What it´s like", den Song, von dem Everlast ähnlich wie Bad Blake in "Crazy Heart" immer noch ganz gut leben kann. Davor – ganz ehrlich – eine mitreißende Blues-Show mit hervorragenden Handwerkern an den Instrumenten und einem Typ als Frontman, der wie John Belushi oder wahlweise Goodman einen Blues Brother imitiert. Man nimmt Everlast die Blues-Nummer ab, umso mehr, weil er mit "Jump Around" am Ende noch einmal den alten Hip Hopper rausholte und die Puppen tanzen ließ.
daniel eberharter
Es folgte eine Combo, die lauter spielte als jeder Künstler auf diesem Festival. Mit "Crooked Timber" legten Therapy? bereits im letzten Jahr ihr neuestes Werk vor. Die Nordiren stehen für eine Ära zwischen Punk und Metal, aber gleichzeitig auch für den Geschäftssinn, den man als Musiker heutzutage haben muss. Einmal ging ihre Plattenfirma pleite, andere Male verließ fast jedes Mitglied schon einmal die Band. Das hat dem Erfolg nicht geschadet, obwohl ich sicherlich der falsche Ansprechpartner für eine ausführliche Therapy?-Diskussion bin (bitte verzeiht, liebe Therapy?-Fans!). Nur soviel: meine Ohrenstöpsel haben hier versagt. Aber ein herzliches Willkommen hatten die Fans mit unseren FM4-Sprechblasen trotzdem für Therapy? übrig.
daniel eberharter
daniel eberharter
What´s Love Got To Do With It? Faith No More!
daniel eberharter
Gossip haben mal gemeint: "Wir gründeten damals eine Band, weil uns langweilig war. Wir haben die Mission, euch auf die Tanzfläche zu treiben und wenn ihr das nicht tut, bleibt gefälligst zu Hause, macht das Radio an und hört Oldies." Oldies hören: Das würde eigentlich zum Charakter des diesjährigen Forestglade passen, aber Gossip sind mit großer Wahrscheinlichkeit jene Band dieses Jahres, deren Erfolg am gegenwärtigsten und spürbarsten ist. Wer jetzt denkt, dass Gossip zwischen Cranberries und Everlast nicht wirklich passten, irrt mit dieser Einschätzung. Beth Ditto stellte an diesem Abend so etwas wie das Bindeglied zwischen den Epochen dar, mit Coverversionen von Tina Turners "What´s Love Got To With It?", "Bad Romance" von Lady Gaga und als krönenden Abschluss, nach ihren Hits "Heavy Cross" und „Standing in the Way of Control“, eine Acappella-Version von "Linger" der Cranberries.
Alles zusammengehalten von Dittos wuchtigem Orkan, pardon: Organ, einer Masse an Selbstbewusstsein, wie sie im heutigen Pop-Zirkus zumeist entweder aufgesetzt oder schlicht und einfach erstunken und erlogen vorkommt. Aber bei dieser Frau trieft es tatsächlich aus allen musikalischen Poren wie überzeugt sie von sich ist, wenn sie in Zeiten der medialen Bloßstellung von Übergewichtigen in Reality Shows ihr Kleid mit großer pinker Schleife ablegt, um in Radlerhosen herumzuhüpfen und mit dürftigem BH all ihre üppigen Rundungen tanzen zu lassen.
daniel eberharter
Das alles spielte sich visuell ab, aber vergessen wir dabei nicht, dass Ditto und Konsorten auch musikalisch punkten können. Wenn "Linger" vorkommt, ein wenig Erinnerung an das gestrige "Zombie" vorbeihuscht, dann traut man Gossip zu in zehn Jahren auch solche nostalgischen Erinnerungen hervorzurufen. Feminismus, Mut zum eigenen Körper, Mut zur eigenen Verdrehtheit des musikalischen Momentes: Gossip schafften in ihrem knapp 90-minütigen Set, dass wirklich jeder im Publikum in Begeisterungsstürme verfiel. Sogar mit einigen komischen Momenten, etwa als Beth, die alte Rampensau, trotz gebrochenem Deutsch Jubelstürme hervorrief ("Es ist scheiße heiß hier" und "Ich spreche eure Sprache nicht"), oder als sie ihre Schwester auf die Bühne holte, die ihr zum Verwechseln ähnlich sah, aber eindeutig nicht ihre Stimmkraft besaß. Ein Auftritt, der viel zu schnell vorbei ging, aber für viele Jüngere bereits der Hauptact war. Für mich noch nicht.
daniel eberharter
Es passte zur Dramaturgie des Abends, dass bis zu diesem Zeitpunkt von all den Gewitter- und Sturmwarnungen in Wiesen nichts zu merken war. Während man in Wien bei strömenden Regen schwimmen gehen konnte, blieb das Burgenland großteils verschont. Erst bevor der Headliner des Festivals die Bühne betreten sollte, begann es am Himmel über dem Festivalgelände zu brodeln, zu blitzen und zu kochen. Auch Alexander Hacke blickte sehnsüchtig in den zugezogenen Himmelsvorhang. Dampf stieg in die Luft und als Faith No More im dunklen Wolkennebel auf die Bühne kamen, brach der Himmel in Tränen aus und es schüttete in Strömen. Meine Kollegin Natalie Brunner hat nicht nur mir vor einigen Tagen schon den Mund wässrig gemacht, was da in Wiesen zu erwarten wäre, wenn die Band um Mike Patton ihr Können zeigen würde. Faith No More sind ein dreckiges Biest, eine Horde Individualisten, die auf Platte wütende Ekstasen mit Samples von Simon & Garfunkel verbindet und damit auch noch durch kommt. Eine heiße Liebe, die sich selbst eine Hure nennt, und genau deshalb so anziehend ist.
Daniel Eberharter
Auch wenn man über jedes Mitglied eine eigene Geschichte erzählen könnte, steht über allem Patton als psychopathischer Chansonier, als verträumter Italo-Barde, als wildgewordener Schreihals, der seinen Mund mit seinem Mikro wie mit einem Dildo penetriert und sich schon beim zweiten Song ins Publikum stürzt, um den Orgasmus rauszukitzeln. Faith No More beherrscht wie keine andere Gruppe den raschen Wechsel zwischen den Stilen, verfällt von düsteren New Wave-Melodien in krachenden Hard-Rock, Surf-Punk und dann wieder in weit ausgestreckte Rock-Hymnen und smoothiges Easy Listening. Dazwischen eingestreute Cover-Versionen von Lady Gagas „Poker Face“ oder „Ben“ von Michael Jackson, das trotz aller Proteste einem Bee Gees-Song vorgezogen wurde. Ich mein: Faith No More covern Jackson, wie cool, wie unglaublich kaltschnäuzig und liebevoll zugleich ist das denn?
Daniel Eberharter
Daniel Eberharter
Und dann die Musik: bei "Easy" brannten die Feuerzeuge lichterloh und während "Ashes to Ashes" wurden die Augen zugemacht und man ließ sich von der Musik treiben. Und Patton? Der übte sich in roter Kleidung in liebkosender Publikumsbeschimpfung, verlangte vom Publikum es solle wie ein Hund bellen oder nötigte es Privatadressen vor gesamter Versammlung zu nennen, um sich später dort auf einen Drink zu treffen. Dann kletterte der Maniac noch auf den Verstärker-Turm und sprang Hals über Kopf ins Schlagzeug von Mike „Puffy“ Bordin, dem coolsten Drummer der Welt, weil einfach niemand einem Linkshänder als Trommler widerstehen kann. Ein gigantisches Finale einer Band, die sich selbst in der Vergangenheit zu groß wurde, aber gottseidank wieder zueinander gefunden hat.
Daniel Eberharter
Nach dem Konzert gab es kein Halten mehr für das Wetter, die Apokalypse trat nicht während des Festivals, sondern hauptsächlich danach ein. Im Backstage-Bereich wurde schon geputzt, obwohl Beth Ditto noch mit nassem Handtuch ganz alleine dort saß und auf eines ihrer Köfferchen starrte. Einer der vielen kleinen und nachdenkliche Momente des diesjährigen Forestglade-Festivals. Oder um es anlässlich der nostalgischen Reunion von Take That mit Robbie zu sagen: "I hope I´m old before I die". Ich freu mich aufs kommende Jahr. Dann hoffentlich mit Garbage und Del Amitri.
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