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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

17. 7. 2010 - 01:37

Won´t Forget These Days

Wenn sich die Cranberries mit K´s Choice und den Fantastischen Vier im Erdbeerland treffen, ist es entweder ein 90´s-Flashback oder Forestglade Tag 1. Oder beides.

Ich fühle mich alt. 1994 hab ich mir noch "MacGyver" im Fernsehen angesehen, fand Kelly aus "Beverly Hills 90210" hinreißend, ließ mich von Ray Cokes auf MTV mit den neuesten Infos über Grunge und Co. füttern und hörte "Zombie" von den Cranberries. Egal was die Leute über die Songs der 90er sagen: Das war meine Zeit und die eigene musikalische Sozialisierung kennt keine Vergleiche mit Epochen, die besser waren. Dabei sind die Neunziger pophistorisch (wenn man das so nennen will) äußerst schwer einzuordnen. Ein Abstreifen des poppigen 80er-Sound strebten viele an, die Eingängigkeit blieb, selbst bei einer Band wie Nirvana.

Daher fühle mich am diesjährigen Forestglade ein wenig wie auf einem Retro-Festival. Nicht so schlimm, wie wenn Papa zum X-ten Mal Uriah Heep auf irgendeinem Oldies-Treff bejubelt, aber doch ein wenig. Cranberries, New Model Army, K´s Choice und die Fantastischen Vier sind nur einige Namen, die ihre größten Erfolge in den 90ern hatten und Tag 1 vom Forestglade bestreiten. Ein Line-Up, das 1994 genauso hätte aussehen können, aber 2010 das 15-jährige Jubiläum des Festivals bestimmt. Am Tag, an dem sich Take That wieder mit Robbie Williams ins Studio trauen: Nostalgie wohin man schaut.

Ivica Vastic beim Forestglade

Christian Stiegler

Ivica Vastic-Memorial am FM4- Container. Vastic feierte in den 1990ern seine größten Erfolge bei Sturm Graz

Bei aller Nostalgie: Vergessen wir nicht, dass gleich drei Gruppen den ersten Tag eröffneten, die sich schon einmal getrennt und nun wiedervereinigt haben. Hinter dem fulminanten Bandnamen Jesus Christ Smokes Holy Gasoline steckt eine bombastische Ska-Punk-Band aus heimischen Landen, die das Festival würdig, aber nur vor spärlichem Publikumsbesuch eröffnete. Wer kann es den Leuten verübeln? Es hatte geschätzte 50 Grad in der Sonne und das burgenländische Erdbeerland und die naheliegenden Seen boten eben mehr als eigenen und fremden Schweiß und Festivalstaub. Es folgten Disco Ensemble und The Dawn, zwei Gruppen, die den Schweiß noch weiter auf der Stirn perlen ließen.

Disco Ensemble

FM4

Disco Ensemble

Split Up and Reunited

Das Geschwisterpaar Sarah und Gert Bettens hatte mit "Not An Addict" ihren größten Erfolg im Jahre 1996, fast schon allzu wehmütig blickt die Band in eine Zeit zurück, in der auch das Musikgeschäft noch anders war. Daher kam der Split. Im Interview haben mir K´s Choice berichtet, dass sie schlicht und einfach nur die Nase voll von eingefahrenen Strukturen hatten und daher war die Auflösung und die Flucht nach vorn in Solokarrieren nur der logische Schritt. Sarah durchaus mit Erfolg: Ihre Soloalben "Scream" und "Shine" kamen zwar nie an den Output von K´s Choice heran, sind aber zumindest in ihrem Heimatland Belgien keine Ladenhüter.

K´s Choice

fm4

Sarah von K´s Choice

K´s Choice könnten nicht repräsentativer für das diesjährige Forestglade sein. Mir scheint, als wären ganze Fan-Scharen nur wegen dieser Band gekommen, die vor mehr als 15 Jahren noch im Vorprogramm der Indigo Girls gespielt hat. Mir fällt es schwer eine solche Band nicht unter den Faktor "Nostalgie" einzuordnen. Ich oute mich als Fan, aber auch nur deshalb, weil ein Song wie der andere klingt, ein Wechsel zwischen rockig und akustisch stattfindet, den man entweder mögen oder verabscheuen kann und der damit auf einer Höhe mit dem ganzen Revival-Wahn verläuft. Auch das neue K´s Choice-Album "Echo Mountain", das mit nur 14 Stücken auf 2 CDs im digitalen Zeitalter eine Menge Platz verschwendet, schlägt in diese Kerbe. Gut, darauf sind keine Hits wie "Not An Addict" oder "Believe" enthalten, aber wieder solide Popsongs, etwas dick aufgetragen, melancholisch, was fürs Staubsaugen und die Fahrt mit dem Fahrstuhl in den 7. Stock, aber immer auch gut, um in Erinnerungen an den ersten Kuss bei "Wahrheit oder Pflicht" zu schwelgen. Das alles, und ich glaube das lehrt uns Forestglade 2010 schon jetzt, muss nicht prinzipiell ein Nachteil sein.

K´s Choice

fm4

Geschwister Bettens

Australische Ur-Gesteine folgten, versuchten so etwas wie Garage-Rock auf die Forestglade-Bühne zu bringen. "Are You Gonna Be My Girl?'', damit ist das Meiste zu Jet gesagt, die ja auch von den Beatles beeinflusst sind. Warum mir das jetzt einfällt? Weil ich meine Kollegen den ganzen Tag mit einem Song genervt habe, der mich wirklich an "Jet" erinnert. Thanks, Paul.

Jet

fm4

Jet

Dann kamen New Model Army, die rein intuitiv wohl am häufigsten in Wiesen gespielt haben. Hier drängt sich meine Kollegin Nina Hofer auf, House of Pain-Expertin und Wovenhand-Fan. Also bitte, Nina, geht schon:

Die am längsten bestehende Band des Festivals, gegründet 1980 in Bradford England, eröffnete mit einem ungewöhnlichen „Green and Grey“ ihr Set. Man sollte sein Pulver nicht gleich am Anfang verschießen und das Publikum hat damit auch die Möglichkeit erst einmal anzukommen, meinen New Model Army selbst. Eine Show, bei der ein Klassiker den anderen jagt, von "51st State" über "White Light"; ein bisschen schon vorbereitend auf die 30 Jahre Feiern dann im Herbst, die sie am 12. und 13. November in die Szene in Wien führen werden. Obwohl sie natürlich nicht, wie während des Konzerts behaupten, 364 Mal in Wiesen gespielt haben, sind sie über die Jahre hinweg ein gern gesehener Act, der, wie sie selbst zugeben, die Massen nicht anzieht, aber dafür stetig eine Gruppe an eingeschweißten Fans hat, die seit Jahrzehnten entweder selbstständig nachreisen, oder, wie in Wiesen meistens der Fall, einfach gerne kommen und wissen, dass eine solide Show geliefert wird.

New Model Army

Florian Wieser

New Model Army

Meiner Meinung nach, und ich glaub ich hab sie zumindest schon 243 Mal gesehen, eine der bündigsten Shows, die die Männer aus dem nördlichen England je gespielt haben. Einen besonders gefiederten VIP-Gast, der garantiert auf keiner Gästeliste stand und auch keine Kaufkarte hatte, ein klassischer Blagger also, konnte man wild zwitschernd am rechten Bühnenrand erkennen: mehrmals auf einem der Ventilatoren landend und dort sitzenbleibend hat sich´s ein Wiesner Spatz während des Sets gemütlich gemacht. Schade, dass sie ihn nicht gemerkt haben, meinten New Model Army im Interview später, Vagabonds wäre ihm gewidmet gewesen. We are in this together.

New Model Army

fm4

Eisenbahnwagons und Moosbeeren

Im Backstage-Bereich wird inzwischen gewuselt und eifrig gezittert. Denn Dolores von den Cranberries kommt, die Stimmung ist etwas gereizt, die Irin hat sogar abseits ihrer Bandmitglieder einen eigenen Wagon im Backstage-Bereich. Hierzu muss man sagen, dass in Wiesen große Eisenbahn-Wagons (ohne Schienen) den Aufenthaltsraum der Künstler darstellen, bei vielen ausländischen Bands wird das Forestglade daher auch liebevoll das "Train-Festival" genannt. Dann kam sie dann endlich: Dolores O´Riordan. Interview wollte sie mir offiziell keines geben, aber ich hab sie dann doch backstage getroffen und sie ausgefragt.

FM4 KollegInnen beim Forestglade

fm4

Dolores im Interview am Parkplatz. Inkognito
Cranberries

fm4

Dolores von den Cranberries

Hören oder lesen werdet ihr die Antworten hier leider nicht, aber im Interview wurde geklärt, dass sich die Cranberries nach eigentlicher Auflösung bei einer Beerdigung eines Freundes wiedergetroffen und spontan eine Reunion geplant haben. Eigentlich eine seltsame Entscheidung, gibt es doch derzeit weder Pläne für ein neues Album noch überhaupt irgendwelche neue Songs. Daher ist auch das Set am Forestglade ein Best Of früherer Jahre, von "I Can´t Be With You", "Linger", "Animal Instinct" bis "When You´re Gone" und natürlich dem Gassenhauser "Zombie". Dolores, nun mit schwarzen Haaren, hüpfte wie ein wildgewordener Kobold auf der Bühne, zeigte ihre Glitzerturnschuhe und liebäugelte mit den Fotografen. Es war eine etwas seltsame Stimmung: Ich kenne die Band seit vielen Jahren, habe sie das erste Mal im Vorprogramm von R.E.M. gesehen, anno 1995 im Ernst Happel Stadion. Dazwischen dürfte sich wenig geändert haben: Dolores ist immer noch der Mittelpunkt der Band, die restlichen Mitglieder dürfen froh sein, wenn einmal ein Spotlight auf sie gerichtet ist.

Cranberries

fm4

Glitzerschuhe
Cranberries

fm4

Dolores
Cranberries

fm4

Michael Gerard Hogan - ein Gründungmitglied der Cranberries
Cranberries

fm4

Eine Band, deren Mitglieder durchaus gleichwertig im Rampenlicht stehen, kam als Headliner. Und ich könnte hier die alten Kalauer abspulen, von wegen "Deutscher Hip Hop ist Fanta 4" oder "Sie haben deutschen Sprechgesang salonfähig gemacht", aber viel interessanter ist doch, dass deutscher Rap dank Smudo, Thomas D, Michi Beck und Andy Ypsilon gemeinsam mit dem Image von vier Individualisten nicht nur Spaß macht, sondern bei aller Kommerzialisierung auch die Brüche und Kommunikationsstörungen der deutschen Sprache offenlegt, von Abkürzungen in "MfG" bis hin zu "Was geht? Ich sag´s dir ganz konkret". Im Backstage-Bereich hatten die Vier zwar nicht jeder für sich einen eigenen Eisenbahnwagon wie Dolores, dafür aber Kleiderschränke, die so groß wie Container waren. Frack oder das kleine Schwarze? Heraus kam eine fetzige Mischung aus Hip Hop-Kultur und 80er Jahre-Glitzer, zumindest modisch.

Kleiderschrank von Fanta 4

fm4

Die Wunderkästen der Fanta 4

Die Fantastischen Vier sind Profis, deren Bühnenchoreografie genauso durchgeplant ist, wie die Spontanität der Einzelaktionen. Thomas D. zum Beispiel hat den ganzen Auftritt damit verbracht irgendwelche Dinge aufzuheben, die das Publikum auf die Bühne warf: T-Shirts, Handtücher, Waschlappen, etc. Die Fanta 4 dürfen sich durchaus "Beruf: Popstar" in den Ausweis schreiben, ihre neue Platte "Für dich immer noch Fanta Sie" verweist nicht nur auf das Wortspiel mit Fantasie, sondern auch auf die Größe und den Größenwahn, den diese Truppe (wohl berechtigterweise) an den Tag legt. Im Interview sind Smudo und Thomas D. relaxed, chatten nebenbei online und konsultieren den Routenplaner auf ihrem Macbook. Dabei wird gleichzeitig von Thomas´ Hausschweinen erzählt und mich überkommt das Gefühl, dass diese Herren tatsächlich ehrwürdige Popstars sind, denen man die Zeichen der Zeit zwar im Gesicht, aber nicht in der lockeren und offenen Art anmerkt.

Fantastische Vier

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Man nennt sie Fanta Sie
Fantastischen Vier

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Thomas D. zeigt die Faust
Fantastische Vier

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Von "MfG" bis "Tag am Meer": Auch die Fantas spulten ein Hit-Feuerwerk ab, gespickt mit Songs des neuen Albums, die teilweise frischer klangen als gedacht. Auch die Band selbst wirkte vital inmitten zweier Percussion- und Drum-Sets, wobei mich der braungebrannte Michi Beck eigentlich schon immer, aber gestern ganz besonders, an Dirk Diggler aus "Boogie Nights" erinnerte. Kaum zu glauben, aber auch diese Band hatte ihre größten Erfolge in den 90ern, von "Die da" und "Sie ist weg" aber keine Spur. Und vielleicht ist das auch das Geheimnis der Band. Die Zeitreise funktioniert eben nicht bei allen gleich.

Samstag folgt Tag 2 am Forestglade. Mit Therapy?, Everlast und Faith No More. Ich zieh mir jetzt noch eine Folge "Melrose Place" rein. Won´t forget these days. And I never thought I would.

Fantastische Vier sagen "Gute Nacht"

fm4

Fanta Vier sagen Tschüss. Ich auch.