Erstellt am: 16. 7. 2010 - 14:39 Uhr
Der Himmel über Manchester
above there are no stars tonight,
just northern skies,
reflected light upon your face,
some people think stars rule our lives,
some people they think otherwise
(I Am Kloot - "Nothern Skies")
Es gibt sie doch noch, die Zeilen, Songs und Alben, die einen eiskalt erwischen. Wie wenn man alleine im Freien in kompletter Dunkelheit steht und in den Himmel hinaussieht, der mit unzähligen, leuchtenden Sternen bedeckt ist. Vielleicht kennt man dieses Gefühl noch von früher, als vieles im Leben eine gewisse Magie hatte, das doch über die Zeit im hintersten Winkel der Seele verschwand. Schließlich können wir heute ja alles sofort erklären, wenn wir unser Smartphone zücken und bei Wiki nachlesen. Glücklicherweise gibt es immer noch Momente, in denen uns Musik unter die Haut geht, geheimnisvoll wirkt und all unsere fortschrittlichen Spielereien und Gimmicks sowie Hipnessfaktoren keine Rolle mehr spielen.
Dem Trio I Am Kloot ist es mit ihrem fünften Album "Sky At Night" gelungen, solch einen Moment auf eine knappe Stunde auszudehnen. Denn mit den verirrten Akkordzerlegungen und klimpernden Tönen des Eröffnungssongs "Northern Skies" entführen uns die vier Musiker aus Manchester in eine musikalische Welt, die parallel zu den gegenwärtigen Trends existiert, in der die Zeit plötzlich still zu stehen scheint, in der Songs mit erhabener und gelassener Selbstsicherheit vorgetragen werden, wie es nur ganz wenigen Künstlern gelingt.

I Am Kloot
Der Blick über die Schulter
Der wundervolle "nothern gothic", wie die Mancunians die dunklen, musikalischen Geschichten von I Am Kloot gerne nennen, hat seinen Ursprung in einer kleinen, aber sehr angesagten Bar in der nordenglischen Industriestadt, dem Day & Night. Ende der 1990er ist Sänger und Songschreiber John Bramwell der Booker für das Café, als er Schlagzeuger Andrew Hargreaves und Bassist Peter Jobson kennenlernt. Mit rund 1.000 Pfund finanzieren sie sich ihre erste Single, die durch Mundpropaganda derart schnell die Runde macht, dass eines Abends ein Kerl zu später Stunde John Bramwell in der Bar ins Ohr flüstert, er habe von einer neuen, noch unbekannten Band namens I Am Kloot gehört, die er unbedingt mal buchen sollte.

I Am Kloot
Diese kleine Anekdote ist irgendwie bezeichnend für die Bandgeschichte des Trios. Auch wenn ihr Debüt "Natural History" 2001 in der britischen Presse hohe Wogen schlägt und von niemand geringerem als Elbow-Sänger Guy Garvey produziert wird, bleiben I Am Kloot ein Geheimtipp. Selbst, als ihnen mit dem auf "Gods And Monsters" enthaltenen, ultimativen Popsong Over My Shoulder eine perfekte Radiosingle gelingt. Viele Dinge spielen dabei zusammen, wie die Unwegsamkeiten des Business, immerhin hatte die Band schon fünf verschiedene Labels und rund sieben verschiedene "Manager", so genau erinnere man sich nicht. Außerdem sind Bramwell, Hargreaves und Jobson nicht die jungen, gutaussehenden Hipsters, die durch die angesagtesten Clubs streifen, sondern gehen auf die Vierzig zu oder haben sie wie John schon einige Zeit hinter sich, und erzählen sich lieber im kleinen Big Hands Pub um die Ecke Geschichten über unerfüllte Liebe.
Zudem ecken I Am Kloot auch gerne an, so wird ihr Video zu der Single Proof des zweiten, selbstbetitelten Albums von der Plattenfirma abgelehnt, zeigt es doch "lediglich" das Gesicht des britischen Schauspielers Christopher Eccleston in einem Close-Up. Sich Zeit zu nehmen war noch nie die Stärke des Musikbusiness.
Der Song "Proof" findet sich übrigens witzigerweise in neuer Version auch auf "Sky At Night" wieder, vielleicht auch eine Art, den A&Rs die lange Nase zu zeigen.
With a little help from your friends
Das neue I Am Kloot Werk macht die wieder aufflammende Albumkritik-Diskussion eigentlich obsolet, denn egal ob in unserer Web 2.0 Gesellschaft dieses Format noch adäquat ist, dieses fünfte Werk von I Am Kloot ist ein durchkomponiertes, in sich schlüssiges und sowohl harmonisch als auch vom Arrangement her dicht verwobenes Album. Jeder Song scheint den nächsten zu bedingen. Auch wenn man immer wieder überrascht wird, wenn zum Beipiel nach einem reduzierten Singer/Songwriter Stück wie "I Still Do" eine sich langsam aufbauende orchestrale Hymne folgt, so wirkt jede Minute wie ein weiteres, kleines Puzzlestück, das sich am Ende perfekt zu diesem beeindruckenden und wunderschönen Klanggemälde zusammenfügt.

I Am Kloot
Dabei spielt die Produktion eine wesentliche Rolle, die erneut die unverkennbare Handschrift von Guy Garvey trägt. Man kann sich richtig vorstellen, wie der Elbow-Säger mit aller Inbrunst vor dem Trio steht und ihnen seine Streicherarrangements vorsingt. Die finden sich nämlich in den meisten Songs von "Sky At Night", so wie die unzähligen, kleinen Percussioneinlagen, die den düsteren love poems einen hypnotischen Drive verleihen. Aber auch die Art, wie der Schlagzeugsound den ganzen Raum erfüllt, ohne andere Instrumente zuzudecken, ist eine Kunst, die schon bei Elbows "The Seldom Seen Kid" zu hören war. Für die dezenten Klavierparts, die sich unmerklich einschleichen und mit der Zeit zu wichtigen, atmosphärischen Nuancen beitragen, ist Elbow-Tastenmensch Craig Potter veranwortlich, der nicht nur die in I Am Kloot Songs unweigerlich auftauchende Melancholie unterstützt, sondern der traurigen Stimmung auch zusätzliche Tiefe verleiht.
Aber es sind auch die gewagten arrangementtechnischen Einlagen wie bei dem sechsminütigen Epos "Radiation", die "Sky At Night" zu einem absolut spannenden Werk machen. Wird man zuerst noch vom Glöckchensound und den zurückhaltenden Synthies sanft umhüllt, während man glaubt, im entfernten Hintergrund die sonnendurchflutete Atmosphäre knistern zu hören, leiten Blechblasinstrumente und eine gedämpfte Gitarrenmelodie das furiose Finale ein. Mit Handklatschen, Tambourine, schleppendem Beat und allem, was zu einer Beatle-esken Hymne dazugehört, wobei Bramwell mit dem chorhaften Schlussgesang wie Bowie zu seinen Glanzzeiten klingt.

I Am Kloot
Fringerprints of a fearless mind
Es waren schon immer die meist kurzen, eindringlichen Sätze von John Bramwell, die einen unerwartet treffen. Die ehrliche und direkte Art, die der Sänger und Songwriter an den Tag legt und die sich auch in seinem privaten Leben widerspiegelt, ist entwaffnend und berührend. Egal ob man von ihm in "To The Brink" mit whiskeygeschwängerter Stimme zu einer einsamen Gitarre aufgefordert wird noch einen Drink im Pub zu nehmen (was wiederum klarer Weise eine Hommage an das Big Hands ist), unterstrichen von zarten Violinen, sanftem Schlagzeug und elegischem Bass, oder ob man bei "Fingerprints" mit eindrücklichem Timbre in eine geheimnisvolle Liebesgeschichte verstrickt wird, man spürt immer die Nähe von Bramwell, der sich nie hinter einer vorgeschobenen Coolness versteckt oder sich von seinen vorgetragenen Gefühlen im letzten Moment doch noch distanziert.
Die Zusammenarbeit mit Garvey und Potter und ihre gelungene Produktion scheinen dieser Furchtlosigkeit den nötigen Rückhalt gegeben zu haben. Denn jetzt klingen I Am Kloot auf "Sky At Night" genau so, wie es ihre Songs verlangen. Wie großes, poetisches Gefühlskino in Cinemascope.

I Am Kloot
well if heaven is a place upon your skin,
that i may have touched from without to within,
well then dust yourself for fingerprints and grin, and grin, and grin.
i guess that i've been singing all my life,
well that's right, that is fine,
i've been spending all your money and your time,
well that's right, that is fine.
(I Am Kloot - "Fingerprints")
50x2 Tickets für I Am Kloot
Wir verlosen insgesamt 100 Tickets für die FM4 Radio Session mit I Am Kloot mit Bläsern am 22. Juli 2010 im RadioKulturhaus (Argentinierstraße 30a, 1040 Wien).
Der Einsendeschluss ist schon vorbei. Die GewinnerInnen wurden per Email verständigt.
Die Einwohner von Manchester nennt man “Mancunians“.
Ein Mitschnitt dieser FM4 Radio Session wird am 27. Juli 2010 ab 19 Uhr in der FM4 Homebase Parade zu hören sein, außerdem wird ein Videostream der Session 10 Tage lang online zu sehen sein.