Erstellt am: 15. 7. 2010 - 13:12 Uhr
Faith No More
Das Ereignis kündigt sich bereits beim verspäteten Frühstück an. Es ist der Tag des Weltmeisterschatsfinales und in meinem unmittelbaren Blickfeld sind ebensoviele Menschen mit Faith No More- wie mit Fußballshirts.
Es ist reichlich bizarr, dass ich Faith No More seit Kindertagen verehre und bis zu meiner Midlife Crisis warten musste um sie live zu sehen. Ich frage mich, ob sie noch irgendetwas mit der Band zu tun haben, die ich aus Videos von Auftritten kenne.
Zur Vorbereitung, und um die Wartetzeit abzukürzen, widme ich mich Mike Pattons neuen Album Mondo Cane. Es geht nicht um ein Hundeleben in den finsteren Gassen Neapels. Obwohl vielleicht ist die Perspektive die man durch so eine Existenz erlangt, das ist, was Mondo Cane bezeichnet.
times film
Mondo Cane ist ein Fluch und ein italienischer Dokumentarfilm, exploitativ, sensationalistisch und zynisch. Irgendwie Vorläufer des modernen Fernsehens. Darauf ausgerichte das Publikum zu schockieren. Unzusammenhängende Szenen werden aneinandergereiht und zynisch moralisierend kommentiert. Das reicht von Tierschlachtungen, durch Krankheit verstümmelte Menschen über bizarre Bräuche "der Wilden" bis zu Drogenopfern in Vergnügungvierteln.
See the creeps making fun of themselves, see the living dead, watch the goose beeing stuffed until it explodes, das sind die Senationen in der Mondo Cane Welt.
Mike Patton, seit Jahren wohnhaft in Italien, covert auf dem Mondo Cane Album in bester Crooner Manier italienische Schlager und Popsongs aus den 60er und 70er Jahren. Ein Morricone Verbeugung ist includiert.
lukas hollenstein
Aufgenommen wurde es bei verschiedenen Auftritten mit dreißig- und mehrköpfigen Orchestern. Mike Patton, im weißen Anzug, begleitet von italienischen Orchestern Schlager singend, auf einer Piazza in Bologna. Was für ein Ort um zu schunklen, in die Sterne zu blicken oder Kinder zu zeugen.
Zurück ins hier und jetzt. Erste Nummer auf dem Album: Il cielo in una stanza. Ich bin begeistert zum Teil aus biographischen Gründen. Mein über alles geliebter Opa ist Italiener und damit ich als Balg zumindest ein paar Brocken dieser wunderbaren Sprache aufschnappe, mehr als Giocattoli, spielte er mir italiensiche Schlager vor. Ich habe kein Italienisch gelernt aber meine Famile Tage lang, Wochen lang, Monate lang mit meiner gebrüllten Version von „Parlami d amore Mariu“ gequält.
Die Mondo Cane CD unter dem Weihnachtsbaum wird der Hit des Jahre werden. Ich glaube, ich werde sie meiner Mutter, meinem Onkel und natrülich meinem Opa schenken.
Zurück zu Faith No More. Ich bezweifle, dass ein totales Eintauchen in die sinsiter romantische Crooner Welt von Mondo Cane eine geeignete Vorbereitung ist.
Ein paar Stunden später: Wir sitzen in einem Burghof aka Foodcourt des Exitfestivals und werden von Gelsen und Pendulum qequält ( Nach reichlicher Überlegung und mit ein paar Tagen Abstand bin ich überzeugt, dass die Gelsen das geringere Übel sind). Das Finale läuft gerade und ich bin erstaunt, wieviele Synonyme die spanischen Damen hinter mir für das Wort Hurensohn parat haben. Um nicht völlig aus der Mondo Cane Welt zu kippen, versuche ich meine Umwelt nicht wahrzunehmen und blicke in den Sternenhimmel.
Faith No More wird nach Ende des Spiels auf die Bühne gehen, egal ob Verlängerung oder nicht. „Niemals spielen die bevor der Weltmeistertitel vergeben ist“, meint mein mit Yoda hafter Weißheit gesegneter Fotograph Lukas. Da man wie immer nur die ersten drei Nummer fotographieren darf und einen Vertrag abgegeben muss, dass man aus den Fotos keinen Mike Patton Kalender machen wird, trollen wir zum Photopit. Ich warte auf der Seite der Bühne und beobachte britische Schlümpfe auf Emotinsverstärkenden Drogen sich Telenovela Dramen liefern. Nach 15 Minuten und nachdem zwei von den Schlümpfen schon weinen, wird das Ganze langweilig und ich trotte zur Whiskeybar. Wer steht dort in perfekter Gentlemenclubpose und sieht sich das Spiel an, anstatt im Photgraben zu liegen? Mein Photograph. "Ich sagte doch vor Ende der Verlängerung geht gar nix." Wie recht er doch hat. Vierzigtausend Menschen vor der Bühne warten auf Faith no More, Lukas und zweihundert andere in Fußballbedingter Arbeitsverweigerung. Mir ist Fußball egal und ich überlege ob ich mich darüber ärgern soll.
Nach 30 Minuten und einem Eins zu Null ist der Spuk vorbei. Faith No More betreten die Bühne. Noch nie hat eine What´s up Motherfuckers höflicher und eleganter geklungen. Als erste Nummer spielen sie Reunited. Crooner Cheese Alarm again! In das Hotel, in dessen Bar die Nummer so klingt, möchte ich auf Lebenszeit einchecken. Fünf Stern Eleganz und Anarchie.
lukas hollenstein
Bei der zweiten Nummer beginnt Mike Patton das zu tun, wofür er verehrt wird. Er beginnt die Monstren, die in seinem Hirn und Kehlkopf leben, auf die zu Meute hetzten. Er gurglet, kreischt, schreit, quietscht. Unmittelbar auf Gänshaut erzeugendes Mad Scientist Gelächter folgen schmeichelende Tenor Charme Attacken.
Das Megaphon und das Effktgerät sind stehts zur Hand.
lukas hollenstein
Faith No More covern sich auch selbst im Italia Romantico Stil. Mike Patton singt fehlerfei, souverän und nicht im Geringsten aus der Puste, obwohl er gerade auf dem Publikum liegt oder den Videokran hinaufklettert und so halb abrutscht.
Als Faith No More eine serbische Nummer Spielen, ist es ganz vorbei mit der Zurückhaltung: Begeisterungsinfarkt.
So wie ich die Herren einschätze, können sie die Meisterleistung zu jeder Zeit an jedem Ort aus dem Ärmel beizeihungsweise aus dem Kehlkopf schüttteln.
Forestglade be prepared!