Erstellt am: 14. 7. 2010 - 14:45 Uhr
Solo Für Mundharmonika
Jetzt ist das Mothership also endlich wieder einmal gelandet. Wenn das außerweltliche und bekanntlich für nicht wenige Jahre zu Recht nicht einmal mit Namen benennbare Wesen „Prince“ sich nach 17 Jahren endlich wieder einmal in Österreich manifestiert, in all seiner purpurnen Strahlung und mit magischem Parfum, dann torkeln die Jünger, die Nebenbeihörer und die Zaungäste erwartungstrunken, das schweißgetränkte Taschentuch an der Stirn, als dichtgedrängte, in der gemeinsamen Überzeugung, bald mindestens der Neuerfindung der Welt beizuwohnen, gleichgemachte Menschenwurst Richtung Stadthalle. Menschen, die hauptsächlich oder ausschließlich das unumwerfbar fabulöse Werk der 80er-Jahre von Prince als Heiligtum hochhalten, Leute, die auch noch die großteils matten Alben der letzten 10, 15 Jahre (wer kann das schon so genau sagen?) nach Gitarrensololänge katalogisieren, diejenigen, denen Prince bloß vage als nebulöses Prinzip des „Superstars“, den man bei „Wetten Dass“ gesehen hat, vorschwebt, T-Shirts mit den Aufdrucken „Eagles“, „Kid Rock“ und „Billy Idol“. Ein Konzert, in nicht geringem Maße freilich ein „Event“, eine Messe. Der Mensch, dem Prince nicht IRGENDetwas schenken kann, der muss erst konstruiert werden.

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In seiner Setlist versucht sich Prince an der Antiklimax: Nach gut zehn-minütigem Intro, das sich nach nur kurzen Augenblicken als „Purple Rain“ identifizieren lässt, erscheint – genau: erscheint - der Großwesir der Hypersexualität auf der von violetten(!) Lichtern durchfluteten Bühne, auf dem Kostüm prangt das Antlitz des Artists höchstselbst, um diesen, seinen größten Hit gleich an erster Stelle eines dreistündigen Abends in die Menge zu zelebrieren. Was in jeder logischen Konzertdramaturgie als erlösendes, alle Menschen zu Schwestern machendes Schlussmoment stattfinden müsste, wird hier gleich zu Beginn vom Tisch gewischt. Das Publikum darf jetzt also sofort wissen, warum es sich denn heute hier in die Hitze hineingestellt hat, die kleine Enttäuschung, dass der Orgasmus gleich am Anfang kommt, ist nach dem ersten Mikrofoneinsatz von Prince verpufft, Leute, die nicht in allerhöchster Akribie mit dem verschlungenen Gesamtwerk des Großkünstlers aus Minneapolis vertraut sind, dürfen sich sicher abgeholt und geborgen fühlen.
Nun ist es ja nicht so, dass Prince nur zwei oder drei richtige Hits im Sinne von: Hit unter seinem Cape versteckt hat, dennoch ist die Setlist - von der Länge her einem dünnen Telefonbuch nur geringfügig unähnlich - an diesem Abend, wie - wenn man ein bisschen im Internet nachschaut - auch an den anderen Terminen der aktuellen Tour, etwas durchwachsen. Auf allerhöchstem Niveau und mit Absicht. Prince darf alles: Der Typ hat seine eigene musikalische Sprache erfunden, weiß, was spröder Synthie-Funk und Rock’n’Roll gemeinsam haben, hat noch einmal überdeutlichst und gerne explizit herausgearbeitet, wo im Soul der Sex begraben liegt, war künstlerisch wertvoll und kommerziell erfolgreich in Kübeln. Prince hat bescheuerte Jazz-Rock-Platten veröffentlicht, verklagt alles und jeden, hat sich „Slave“ auf die Wange gekritzelt und jetzt gerade eben hochoffiziell das Internet für tot erklärt. Im Falle des Genies Prince ist Größenwahn gesunde Selbsteinschätzung.
Und so gestaltet sich ein Konzert von Prince nicht ausschließlich als Abfolge von Hits, derer es freilich nicht wenige zu hören gibt: „Lets’ Go Crazy“, "1999“ und „Controversy“ beispielsweise, zwischendurch aber auch weniger Bekanntes und – grob geschätzt – in jeder zweiten Nummer ausufernde Jams als Machtdemonstrationen des Instrumententums, Materialschlachten des Rockismus. Das muss nicht unbedingt immer sein, und einen Typen, der ein, zwei, drei, viermal ein „ekstatisches“ Mundharmonikasolo bläst, zu dem auch die ungelenksten Buchhalter eine entfesselte Funkiness demonstrieren dürfen, will man sich dann doch lieber in einer Südstaaten-Sumpfrockcombo oder bei Aerosmith vorstellen. Kleine, winzig kleine Nuancen der Egalheit, die aus einem vor Experimentierwillen überschäumenden Gesamtwerk leicht vernachlässigbar herauslangweilen, abgenickt und als Soundtrack für die Warteschlange am Getränkestand instrumentalisiert werden können.

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Ein Prince-Konzert gleicht auch einer Geschichtsstunde. Er, die aus jeder Pore fiebernde Personalunion aus Jimi Hendrix, Little Richard, George Clinton, Sly Stone, James Brown und schon auch ein bisschen Michael Jackson, preist den großen Gott Funk und integriert Coverversionen und Verweise in seine Shows. „Everyday People“ von Sly & The Family Stone, das auch schon die HipHopper von Arrested Development erfolgreich geklaut haben, „Play That Funky Music“ von Wild Cherry oder „Dance (Disco Heat)“ der Disco-Ikone Sylvester. Dann Soloeinsatz der langjährigen Prince-Percussionistin Sheila E., deren humorvoll überzogenes Schäkern mit dem Meister selbst - einer Doppelconference des Flirtens gleich - den ganzen Abend über nicht geringen Unterhaltungswert darstellt. Dann wieder Gitarrensolo Prince: „I Can’t Stop!“. Ein Grinsen im Gesicht, „ich darf das“, jedoch immerhin.
Beide Fotos zeigen Prince Anfang Juli am Roskilde Festival
Prince ist eine publikumsnahe Gottheit, ein Messias mit Macken, eine Kunstfigur mit menschlichem Antlitz, die noch nicht endgültig im eigenen Neverland verschollen ist. Prince fragt „What’s My Name?“, er sagt aber auch „Austria!“ und „Austria!“, und man glaubt es ihm. Mitklatschanimationen, Zoten, Menschen werden auf die Bühne geholt, mal passt der Sound nicht, es ist egal. Gegen Ende des regulären Sets taucht das Hit-Triumvirat aus „Take Me With You“, „Kiss“ und „Nothing Compares 2 U“ die Stadthalle in weihevolle Ekstase, es folgen vier (oder waren es fünf?) Zugaben, wir haben mittlerweile das Zählen verlernt, und bei vollem Saallicht, die Putzkolonne rollt bereits an, gibt’s als allerletzte Nummer noch „Peach“. Auch wenn das Meisterwerk „Sign O’ The Times“ böse vernachlässigt worden ist und jeder im Publikum zwei bis vier private Lieblingshits vermissen wird, darf man nach diesem Abend wieder wissen, warum Prince ist, was er ist: Ja, eine Ikone. Man soll es nicht vergessen: Der Mann hat schließlich sein eigenes Symbol.