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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

14. 7. 2010 - 14:31

Fußball-Journal '10-25.

Die Phrase von "den WM-Schwung mitnehmen" und was davon für Österreich in echt übrigbleibt: die 4-2-3-1-Formel, nichts als ein Schmäh also. Und ein Gegenvorschlag.

Das war das WM-Journal zum Turnier in Südafrika.

Jetzt ist wieder Alltag, also Fußball-Journal 10.

Was man von so einem Turnier mitnehmen kann in den Alltag, in die Praxis, das ist eine jetzt viel gestellte Frage. Sie ist deshalb nicht populistisch, weil es anhand eines Großereignisses, das jeder gesehen hat, vieles, was vorher abstrakt war, anhand praktischer Beispiele erklären kann.

Die österreichischen Bundesliga-Coaches, das zeigen sie in der vor der Saison üblichen Trainerumfrage, hätten zwar gerne gewollt, waren aber aufgrund des frühen Liga-Starts dazu gezwungen ihr System für die aktuelle Saison schon vorher zu entwerfen - weshalb wir nichts, was bei der WM schön anzusehen war in der Bundesliga erleben werden.

Gemeinsam mit Österreich geht's dieses Wochenende auch in der Schweiz, Tschechien, der Slowakei, Slowenien oder Dänemark mit dem Meisterschafts-Betrieb los. Die irren Ukrainer haben schon letzten Freitag begonnen.

Kroaten und Rumänen starten nächstes Weekend, EM-Gegner Belgien, Ungarn, Bosnien und Bulgarien am 31.7.

Nur die großen Nationen warten bis August - Holland und Frankreich am 7.8., England, Schottland, Portugal, Serbien und EM-Gegner Türkei am 14.8., Deutschland am 20.8, Spanien, Italien und Griechenland am 28. August.

Ich kann im übrigen den viel zu frühen Start diesmal gar niemandem zum Vorwurf machen: dieses Jahr ist halb Europa durchgeknallt und legt ohne Pause für eventuelle WM-Starter durch.

Wohl deshalb haben Coaches und Experten nur mit einem halben Auge zugeschaut. Und die in den Medien nur vereinzelt auftauchenden seriösen Analysen halten sich in engen Grenzen.
Der Mainstream hat sich auf eine Formel geeinigt, mit der er Modernität demonstrieren will - also taktisches Verständnis; denn soviel haben auch die Dümmsten kapiert: ohne Organisation, eine funktionierende Struktur und ein passendes System, im Fortgeschrittenen-Kursus gar Flexibiliät, wird man ein französisches Schicksal erleiden.

Leider ist diese Demonstration, genauso wie die Formel selber, ein reines Lippen-Bekenntnis.
Das zeigte sich prototypisch an dem Experten-Unsinn, der gestern nachmittag vor dem Champions-League-Quali-Spiel von Salzburg verbreitet wurde.
Da wurde nämlich die Formel, "die wir aus der WM mitnehmen" auch gleich auf Salzburg draufgestülpt.
4-2-3-1, darauf hat sich der denkfaule österreichische Fußball-Journalismus geeinigt, ist das Ding. Weshalb es dann auch gleich auf die Salzburg-Aufstellung transferiert wird.

Der 4-2-3-1-Schmäh

Ein Blick auf die Meldeliste des FC Salzburg für die Champions League zeigt im übrigen: der Vorjahrs-Beste Somen Tchoyi und auch Nelisse sind gar nicht mehr dabei. Die werden also abgegeben.

Nun ist weder 4-2-3-1 das Ding (dazu gleich mehr) noch ist es das System von Huub Stevens.
Der spielt seit geraumer Zeit ein 4-1-4-1, ein Fächersystem und hat für die neue Saison extra einen neuen Mann für die nicht optimal ausgefüllte Solo-Sechser-Position geholt, nämlich den herausragenden Niederländer David da Silva Mendes, der dem Spiel von Red Bull (im Europacup FC) Salzburg seinen Stempel aufdrückt.

Ein richtiges 4-2-3-1 haben bei der WM Deutschland und die Niederlande, außerdem Südafrika und Algerien vorgezeigt.
Von jenen, die das im Repertoire haben, ist Ghana im Laufe des Turniers auf ein 4-1-4-1 umgeschwenkt, die Slowakei hat in jedem Spiel variiert, ebenso Dänemark.

Die WM lief, rein taktisch gesehen, so:

Auf ein 4-3-3, oft ein durchaus bewusst windschiefes, bauten - mit unterschiedlichem Erfolg: Uruguay, Paraguay, Argentinien, Brasilien (bei den beiden war es eher ein 4-3-1-2), Mexiko, Nigeria, Cote d'Ivoire, Kamerun, Italien, Frankreich oder Griechenland. Nigeria und Frankreich probierte in zunehmender Verzweiflung danach alles durch. Griechenland verstieg sich dann einmal sogar zu einem 5-2-2-1.

Das 4-4-2 als Grundformation hatten England, die USA, Australien, die Schweiz, Südkorea und Slovenien; die USA und Australien switchen bei Bedarf.

Mit einem 4-2-3-1 gingen Deutschland, die Niederlande, Ghana, Südafrika, Dänemark und Algerien ins Turnier, Ghana machte ein 4-1-4-1 draus, Dänemark variierten stark.

Ein 4-5-1 in Fächerform präferierten Japan, Portugal und Serbien, eine immer variable Variante davon spielte das stärkste Chamäleon, die Slowakei.

Spaniens 4-1-4-1 läßt sich sowieso nicht mit herkömmlichen Maßstäben messen, und auch die Systeme von Chile (3-3-4), Neuseeland (3-4-3) oder Nordkorea (5-4-1) fielen aus dem Rahmen, Honduras switche in jedem Spiel.

Vier Teams, das ist nicht viel.
Vor allem wenn man bedenkt dass elf Mannschaften ein 4-3-3 und auch noch sechs Teams das altbackene 4-4-2 gefahren sind.
Man muss also recht scheeläugig sein um ausgerechnet das 4-2-3-1 als Sukkus aus dem Turnier zu ziehen. Oder einfach nur analysefaul.

Nun ist die wichtigste Erkenntnis der WM nicht ein aus dem Hut gezaubertes System, eine Formel die ein "Experte" vom anderen, ein Sportjournalist vom anderen abschreibt wie eine Mathe-Schularbeit (also ohne sie auch nur im geringsten zu verstehen), sondern die Tatsache, dass es ohne eine langfristige Spiel-Philosophie, ein grundlegendes System nicht geht. Und das man gefälligst so schlau sein soll, sich dem Spieler-Material anzupassen.
Denn: während ein Club-Trainer die Freiheit hat sich Akteure für seie Vision zusammenzuholen, unterliegen National-Coaches der Unfreiheit mit den vorhandenen Akteuren auskommen zu müssen. Das haben, und so ist die Struktur und System-Story der Sport-Kollegen zu verstehen, eben auch die Kleinen, wie Neuseeland, Slowakei oder Uruguay exemplarisch vorgezeigt.

Das Doppel-Sechser-Missverständnis

Dazu braucht es aber eins: Überlegung und hohes taktisches Verständnis. Beides ist im, ÖFB nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Für ersteres bleibt keine Zeit, weil die Spitze ausschließlich auf den ganz kurzfristigen Erfolg geht, immer nur von Match zu Match denkt, zweiteres wird (zumindest in der Außendarstellung) als überflüssiges Gscheiterltum diskreditiert.

Mit der Verwendung des 4-2-3-1-Schmäh kann man vor allem eines: bisheriges rechtfertigen. Das (oder zumindest sowas ähnliches) hätte man eh bisher auch gespielt, dafür würde man keine blöde WM oder andere Erkenntnisse aus dem Ausland brauchen - sagt eine Trainer-Zunft, die außerhalb von Österreich (und seit neuestem Bahrein) wegen ihrer allzu offenkundigen Rückständigkeit de facto Berufsverbot hat.

Das bisher "ähnliche" waren die vielen verhatschten 4-4-2s, die nicht nur im Nationalteam, sondern auch in der Liga gespielt werden (Austria, Rapid, Sturm...). Es rechtfertigt auch den Einsatz der Doppel-6,. also der zwei Defensiven vor der Abwehr. Dass die im Fall der jetzt rückwirkend geltenden Vorbilder Van Bommel, Schweinsteiger und Khedira heißen und die intelligentesten Angriffseinleiter sind, die im aktuellen Fußball herumlaufen, wird zugunsten einer Ballwegdrescher-Philosophie verdrängt.
Thomas Prager etwa, ein 6er, der in der holländischen Jugendarbeit ausgebildet wurde und entsprechende Fähigkeiten hat, wurde in Österreich nicht verstanden, bis er aufgab und sich als 10er aufstellen ließ. Jetzt ist er in die Schweiz geflüchtet, wo man taktisch höheres Grundwissen besitzt.

Wer über sowas verfügt, der kann dann auch beispielsweise erkennen, dass Andreas Ivanschitz das Potential hat der österreichische Schweinsteiger zu sein.

Ich weiß das ist zu radikal gedacht, da steigt das reaktionäre Austria-Coaching-Klüngel nicht durch.
Deshalb ein realistischerer Vorschlag.

Vorschlag: der Fächer

Eine Erkenntnis der WM, die der ÖFB ziehen kann (weil er das so dringend braucht wie ein Verdurstender in der Sahara einemn Schluck Wasser) wäre ein kluges System einzuziehen, anstatt sich ewig auf eine bewegungslose Doppel-6, starre Außenverteidiger und ein Kreativ-Loch im Mittelfeld, das die zwei Spitzen davor tanzen läßt wie gefangene Fliegen im Spinnennetz, zu verlassen.

Wie wärs etwa mit dem 4-5-1-Fächer, den wir bei Japan oder auch Portugal gesehen haben. Oder bei Serbien, bei ihrem Sieg gegen Deutschland?

Der Fächer öffnet sich ganz simpel:
Eine Vierer-Abwehr.
Ein Fünfer-Mittelfeld mit nur einem zentral Defensiven, davor zwei Achtern in den Halbpositionen und zwei echten Flügeln, die mit dem Einzelstürmer durchaus rochieren dürfen.

Das ist, ihr merkt das, knapp dran am 4-1-4-1 von Salzburg. Das kann auch in ein 4-3-3 nach altem holländischem Vorbild kippen.
Das löst das Problem des kreativen Vakuums im Zentrum, weil nämlich die beiden Achter diesbezügliche Freiheiten haben. Und es löst die konservative Doppel-Sechser-Starre, die den österreichischen Kick so lähmt.

Dafür hätte Österreich nämlich auch richtige Spieler.
Für die Spitze sowieso (Janko, Hoffer, Okotie und durchaus einige andere).
Für die Flügelspieler auch: Arnautovic, Harnik, Beichler, Korkmaz, Drazan, Jantscher, Hölzl...

Die Achter gibt es ebenso zuhauf: Leitgeb, Kavlak, Prager, Alaba, und eben auch Junuzovic oder Ivanschitz, die sowieso niemand als klassische herkömmliche Spielmacher sehen will.

Und der Solo-Sechser, das kann Scharner ebenso sein wie Pehlivan oder Baumgartlinger und andere mehr.

Diese System braucht natürlich richtige Außenverteidiger, die sich an Sergio Ramos und Philip Lahm, an Maicon oder Coentrao orientieren und keine Patockas, wie sie Constantini vorschweben.
Und es braucht Innenverteidiger, die wie das Matthias Sammer glaube ich unlängst gesagt hat, die neuen 10er sind, also passstarke und intelligente Spieleröffner.
Ich muss nicht sagen, dass es erstere (Garics, Dag, Fuchs, Ibertsberger, Ulmer...) und auch zweitere (Dragovic, Prödl, Pogatetz, Stranzl, Hoheneder, Schiemer...) auf österreichische Verhältnisse übersetzt, durchaus gibt.

Der Anfänger-Kurs

Weshalb so ein System spielbar wäre. Weil es auch die einzigen Ansprüche, die der ÖFB überhaupt nach außen äußert (Tempo-Fußball) erfüllt. Japan hätte es bei der WM durchaus praktibal vorexierziert.
Man muss sich ja nicht gleich an der Variations-Breite von Vladimir Weiss orientieren, dessen slowakische Mannschaft im Verlauf der WM etwa fünf, sechs verschiedene Systeme vorzeigte.
Das wäre nur was für Fortgeschrittene.

Bei uns geht es um den Anfänger-Kurs.
Um ein System, das den vorhandenen Spielern enstpricht und auch leicht vermittelbar wäre (um da wieder an den ersten Absatz anzuschließen).

Aber auch so etwas würde eben eigene Gedanken erfordern, die über bloßes Nachplappern von reinen Formeln auf die sich die Schmähbrüder des Coaches/Experten-Klüngels gerade geeinigt haben und von den willenlosen Mainstream-Medien-Brüdern verbreitet wird, hinausgeht.
Das ist etwas viel erwartet, ich weiß...