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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

10. 7. 2010 - 16:47

Prater Unser!

Geheiligt werde dein Name! Verzeihung, die Verlockung zu Wortspielen mit einem der originellsten aller Festivalnamen ist einfach zu groß. Himmlisch war's.

Von Katharina Seidler

Die Touristen vor dem Riesenrad staunten nicht schlecht: Mehr und mehr hippe Kids sprinteten an diesem Freitag Abend an ihrer Warteschlange vorbei, flüsterten an der Kassa ein geheimes Codewort ("In Nomine Party"), um anschließend in eine parallele Schlange umgeleitet zu werden. Alle zehn Minuten öffnete sich die Türe der Gondel Nummer Vier, Klatschen und Jubelschreie tönten heraus und eine Handvoll von ihnen erhielt Einlass. Die vom Popkulturmagazin The Gap gehostete Techno-Gondel verlegte die Tanzfläche für zwei Stunden in schwindelerregende 65 Meter Höhe, der charmante DJ Laminat befeuerte statt der üblichen zweihundert nur acht Quadratmeter; die strahlenden Gesichter am Ende jeder Runde und das neuerliche Anstellen der meisten Dabeigewesenen sprachen Bände. Nur Gelsen gab es. Viele.

Festival-Gondel des Riesenrads

Katharina Seidler

Trotz Höhenangst das reinste Vergnügen: Die Techno-Gondel.
Gelsenschwärme um Scheinwerfer

Katharina Seidler

... und die ganze Gelsenschar!

Innovative Zugänge zu elektronischer Musik stehen zur Zeit hoch im Kurs (dies beweist nicht zuletzt der Erfolg von Bands wie Elektro Guzzi oder Aufgang). Das Hamburger Trio Wareika setzt seit 2009 ebenfalls zum großen Sprung an und präsentiert sich live mit E-Gitarre, Keyboard, einer Heerschar an Synthesizern, Stimme plus allerlei perkussivem Getrommel. Heraus kommt eine sehr organische Form von jazzig angehauchtem House, der immer wieder mit verspacten Disco-Elementen liebäugelt. Die Vielschichtigkeit ihrer Produktionen mag in manchen Momenten zu dick aufgetragen erscheinen, entfaltet live aber eine mitreißende Wirkung. Die Stimmung in der gut gefüllten Fluc Wanne war dementsprechend ausgelassen. Danach verwandelte der Brite Mark Henning die Wanne in eine Art Techno-Kathedrale. Sein staubtrockener Tech-House ist feingliedrig und präzise, sein Live-Set druckvoll und fast schon düster. Super e.v/a, die charmante Crew der Sound:frame-Visualistinnen, bepinselte dazu die Fluc-Wände mit perfekt ausgefeilten Visuals auf gewohnt hohem Niveau.

Wareika

Katharina Seidler

Band an Bord: Wareika.
Sound:Frame-Crew

Katharina Seidler

Es werde Licht. Sound:Frame-Crew am Werk.

Das Planetarium präsentierte sich an diesem Abend von seiner Zuckerseite. Unter der riesenhaften Discokugel strahlten die Gäste, die Musik schallte kristallklar aus dem neuen oder eigens angekarrten Soundsystem und stammte von der ehrenwerten Loud Minority Crew oder von Onra, einem französischem Hip-Hop-Bastler, der seinen Sound mit Schnipseln asiatischer Musik und Deep-House-Chords anreichert, mit Broken Beats liebäugelt und den Funk im Blut hat.

Onra live

Katharina Seidler

Fettes Logo – Fetter Sound: Onra.

So richtiges Festival-Feeling kam beim ersten Prater Unser zwar nur bedingt auf, zum Beispiel durch Armbändchen statt Eintrittsstempel, oder durch den eigenen, von Sommerfestivals bestens bekannten Stress, mit dem Leuchtstift-beschmierten Timetable in der Hand zwischen den einzelnen Bühnen hin- und herzusprinten. (Das Rad sollte sich hierfür als bestes Transportmittel erweisen.) Als konsequente Venuepilgerer und Praternomaden stellten sich im Endeffekt dann hauptsächlich Musikjournalisten und Connaisseure heraus. Obwohl der Zeitdruck beim Prater Unser so groß nun auch wieder nicht war, muss es einem um verpasste Acts (in meinem Fall Electric Wire Hustle, hach) ehrlich leid tun; das exquisite Booking sei an dieser Stelle als herausstechendster Pluspunkt des Festivals nocheinmal dick unterstrichen.

Das Potential des Festivals, als Event mit Glamour-Faktor auch szenefremde Besucher anzulocken, die die bespielten Locations des Nächtens eher nicht frequentieren und so abgesehen von den Venues auch Künstler aus der Subkultur kennen und lieben lernen könnten, konnte so nicht voll ausgeschöpft werden. Zu groß war wohl, abgesehen von den üblichen Pratersauna-Gängern, der Ruf des Hohepriesters des verspult-verspielten House DJ Koze, als dass die nicht enden wollenden Scharen an Pilgern sich zu Blicken über den Tellerrand hinreißen ließen. Der selbstredend etwas höhere Preis für die Gesamt-Tagespässe und Bequemlichkeit taten wohl ihr übriges. So bestand also die Crowd im Tanztempel wie gewohnt aus Hunderten "Zuagrasten" aus Ecken wie Camera Club, Flex oder Volksgarten und den üblichen Verdächtigen der Wiener Underground-Partyszene, Veranstaltern, Journalisten, DJs.

DJ Koze

Katharina Seidler

So verwackelt wie dieses Foto waren DJ Kozes feingliedrige House-Beats.

Von Festival-Feeling war in dieser Venue des Prater Unser wohl am wenigsten zu spüren (womit keineswegs die sprichwörtlich kochende Partystimmung gemeint ist); von Fluktuation der Besucher war schlicht nichts zu bemerken. So kam es zur Peaktime am Eingang zu Wartezeiten von mehr als einer Stunde und die Luft tropfte bis zur morgendlichen Sperrstunde dickflüssig und schwer von den Wänden. Dass Stefan Kozalla fünf Stunden lang den Tanzboden fest in seiner (Platten-)Tasche hatte, war wie zu erwarten eine Freude.

Publikum in der Fluc Wanne

Katharina Seidler

Dicke Luft auch noch bei Tagesanbruch in der Pratersauna.

Religionsmetaphern ausgereizt – Check. Gelsenstiche becremt – Check. Tanzschuhe poliert für Tag Drei, um für Kode9, Alex Smoke, Floating Points, Marcello Napoletano und viele weitere, schweißtreibende Tanzstunden gewappnet zu sein – Check. Prater Unser, dein Wille geschehe, hoffentlich auch im nächsten Jahr, Amen.