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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

10. 7. 2010 - 16:09

Recycling und Revolution

Bei Online-Games werden alte Spielkonzepte aufgewärmt, simplifiziert und als soziale Erlebnisse verkauft. Doch der Markt steht erst am Anfang seiner Evolution.

Ursprünglich wollte ich den Vergleich mit Fast Food heranziehen, aber er würde hinken: Burger und Co. sind nämlich oft aus hochwertigen Ingredienzien zusammengestellt, was man von den Inhalten der meisten Online-Games gegenwärtig nicht behaupten kann.

Der Markt der Browser-, Facebook- und sogenannten "Free to play"-Spiele und -Spielchen ist geprägt von der Frage, wie man viele Menschen möglichst schnell in eine neue virtuelle Welt bzw. Community locken kann. Worum es dabei geht, ob das Artwork hübsch ist und ob kreatives Personal mitarbeitet, ist weniger wichtig. Die Betriebswirte und Programmierer wissen, dass die User geschenkten Gäulen zunächst mal nicht ins Maul schauen. Und stoßen die Ausprobierer erst mal auf bewährte Spielmechanismen und erprobte Ideen, haben die Entwickler bald die Grundlage für einen fruchtbaren und in weiterer Folge lukrativen digitalen Boden geschaffen - eine lebendige Online-Gemeinschaft.

The death of the game designer?

"Videospiele kommen zurück zur alten, traditionellen Intention aller Spiele: Sie sind ein Vehikel bzw. Katalysator, um soziale Kontakte zu pflegen. Wenn man um den Tisch bei einer Runde 'Monopoly' sitzt, kommt man in der Familie manchmal eben viel leichter ins Gespräch." (Staffan Björk)

Games Researcher Staffan Björk.

Staffan Björk

Staffan Björk
Die leere Glashalle der Messe Leipzig.

Robert Glashüttner

Die "Games Convention Online" (GCO) hat dieses Jahr zum zweiten Mal in Leipzig stattgefunden.

Nachdem die Videospieleindustrie 2008 nahezu kollektiv zum Wirtschaftsstandort Köln abgewandert ist, spezialisiert sich die GCO ausschließlich auf Online- und Mobile-Games.

Die Publikumsmesse wurde 2010 wegen des geringen Interesses von potenziell ausstellenden Firmen gestrichen. Eine Fortsetzung der GCO im kommenden Jahr gilt als fraglich.

So erklärt der schwedische Games Researcher Staffan Björk sinngemäß seine etwas provokante These in Bezug auf Online-Games im FM4 Interview. Er ist einer der wenigen Kulturwissenschafter, die bei der - mittlerweile von einer Spielemesse zur kleinen Business-Konferenz geschrumpften - diesjährigen "Games Convention Online" als Referenten geladen sind. Björk hat einen Punkt: Bei den derzeit viel beschworenen sozialen Spielen, die alle im Netz bzw. in der Cloud schweben und in Facebook eingebettet sind, geht es kaum um Kreativität, Ästhetik oder Eigenständigkeit.

Alles dreht sich ums Service: Der Einstieg ins Spiel soll friktionsfrei ablaufen, das Gameplay simpel und überschaubar sein. Die Server sollen verlässlich laufen und die Community gepflegt werden. Weil viele "Free to play"-Games ursprünglich aus Asien stammen, fließt auch viel Manpower in Lokalisierungsarbeit.

Waren die hohen Ansprüche an ausgeklügeltes Game Design, innovative Spielkonzepte und verblüffende Immersionsmomente gegenüber Videospielen der letzten drei Jahrzehnte also bloß elitäre Wünsche von ein paar tausend Nerds, die die sozial zweckgebundenen Spiele viel zu ernst nehmen? Sind Online-Games nun die ehrliche, weil bodenständige Form des Computerspielens?

Gaming literacy

Der britische Computerspiele-Designer Richard Bartle.

Robert Glashüttner

Richard Bartle

Richard Bartle macht sich um die Kreativität bei Videospielen und die Zukunft des Gameplay keine Sorgen. Der 50-jährige Co-Entwickler einer der ersten Online-Welten namens "MUD" (1978) hat Pionierarbeit geleistet und beschäftigt sich bis heute sowohl als Spieler als auch als Designer sehr intensiv mit virtuellen Welten. Für ihn ist das pragmatische Design vieler zeitgenössischer Online-Games eine temporäre Erscheinung. Durch das Erlernen des Mediums werden sich die grundlegenden Spielprinzipien für die User nach und nach erschließen. Danach würden die Ansprüche steigen.

"Wenn jemand heute das erste Mal eine virtuelle Welt betritt, ist sie oder er zunächst mal vom sozialen Aspekt des gemeinsamen Spielens begeistert. Wenn aber das - meist simple - Gameplay mal verstanden und internalisiert ist, wollen Spieler mehr. Die meisten Online-Gamer lernen noch. Es ist wie beim Film, wo man früher glaubte, der Zug, der auf die Kamera zufährt, komme durch die Leinwand. In 20 Jahren wird man die heute auf uns verblüffend wirkenden 3D-Kinoeffekte als nervig empfinden. Ebenso wird man sich wundern, warum sich so viele Menschen so sehr für 'Ultima Online' oder 'World of WarCraft' begeistern konnten." (Richard Bartle)

Ein Bild mit dem eingeblendeten Text: "Games are an intellectual pursuit ... we must design for the demographics of the mind."

Robert Glashüttner

Game Design wird nicht so schnell zu einer Tugend der Vergangenheit.

Markt der Vielfalt

Die Erscheinungsformen von Online-Games sind zu vielfältig um dafür glaubwürdig bloß eine lineare Entwicklungsform zeichnen zu können. Ein aufwändig entwickeltes und spielerisch herausforderndes MMO mit monatlichen Abokosten hat mit einem neckischen Facebook-Spielchen für zwischendurch soviel zu tun, wie ein "Game & Watch"-Gerät aus den 1980er Jahren mit "Super Mario Galaxy 2".

Sowohl Björk als auch Bartle werden Recht behalten: Die künstlerisch belanglosen und spielerisch oberflächlichen Games als Mittel zum Zweck des sozialen Beisammenseins - ob physisch oder online - werden noch zahlreicher und erfolgreicher werden. Ebenso wird das konservative Spielsystem vieler großer Online-Games - der ewige, dröge Loop aus Gegner töten und Erfahrung und Waffen sammeln - in den nächsten Jahren erfolgreich aufgebrochen werden.

Ein Bild einer Präsentation, das eine Fußmatte zeigt, auf der "Slide to unlock" steht - eine Anspielung auf das iPhone und dazugehörige Applikationen.

Robert Glashüttner

Die Verknüpfung von physischer und virtueller Realität als Schlüssel zum Erfolg.

Weiterlesen:

Nadja Igler von der ORF Futurezone war ebenfalls bei der "Games Convention Online" vor Ort.

Sie berichtet über "Die Tücken der Gratiskultur" sowie den "Kampf um die Anonymität im Netz".

Manchmal überlege ich trotz persönlicher Skepsis schon jetzt, mich auf den einen oder anderen großen Multiplayer-Titel einzulassen. Neben des hohen Zeitaufwandes war bisher das austauschbare Artwork vieler Online-Games ein Hauptargument dagegen. Glücklicherweise gibt es bereits zaghafte ästhetische Revolutionen in virtuellen Welten - zu sehen etwa bei der österreichisch-britischen Papierwelt "Papermint" oder dem handgezeichneten, französischen Spiel "Dofus".

Bis eine Entscheidung für eine virtuelle Welt getroffen ist, bleibe ich vorübergehend bei den sozialen Spielchen für Zwischendurch. Wusstet ihr schon, dass das gute, alte "Icy Tower" für Facebook erschienen ist?