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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 7. 2010 - 06:00

WM-Journal '10-79.

Ein herrliches Finale (Teil 2) - weil's mir nämlich ganz unglaublich egal ist, wer gewinnt. Weil ich's beiden von ganzem Herzen gönne. Der neuen Liebe Spanien genauso.

Seit 1. Juni erscheint das WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, gegen Mittag.

Die Fakten zum Semifinale. Und aktuell zu Spanien.

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Es war vor fast genau zwei Jahren, am 26. Juni, es war Halbfinale und es war in Wien. Es war ein Europameisterschafts-Halbfinale und es waren Spanien und Russland auf dem Platz.

Die waren einander schon in der Gruppen-Phase gegenübergestanden (und weil die UEFA einen depperten Auslosungs-Modus hat, die FIFA ist da gescheiter) kamen sie da wieder gegeneinander. Die Russen, die sich nach ihrer Auftakt-Niederlage (just gegen Spanien, die sich wiederum nach diesem ersten gloriosen Sieg zu einem der durchmarschierenden Turnier-Favoriten aufgeschwungen hatten) rehabilitieren konnten, hatten eben den anderen bis dahin glänzenden Favoriten geschlagen, die Niederländer nämlich.

Also war das der eigentliche Showdown, das eigentliche Glamour-Spiel, nicht das andere Halbfinale zwischen Deutschland und der Türkei, wo es rein um Emotionen ging.

Ich war im Stadion, schräg hinter dem Tor, in dem Ilker Casillas in der 1. Halbzeit stand. Es gibt Menschen, die diese Sicht hassen, die sich nur dort, wo die TV-Kamera meist agiert, also auf Höhe der Mittellinie wohlfühlen, alles andere gar nicht aushalten.

Wien, 26. Juni 08

Nun, ich habe das wichtigste Live-Spiel meines Lebens aus dieser Sicht gesehen, und ich schätze sie auch sonst. Hinter dem Tor sieht man eine ganze Menge mehr. Es ist ja auch kein Wunder, dass alle taktischen TV-Analysen mit den Kameras hinter den Toren durchgeführt werden. Sogar Roman Mählich erklärt anhand eines von dort aufgenommenen Bildes die nordkoreanische Viererkette (die Herbert Prohaska bis heute nicht erkannt hat).

Ich habe also dann dort, im Wiener Stadion, gesehen, wie die spanische furia roja das einzige spielerische Überraschungs-Team der Euro, Russland, auseinandergenommen hat. Noch nicht in der 1. Halbzeit, da konnte die von Zhirkov, Anjukov, Zyrjanov, Arshavin und der Einstellung von Gus Hiddink nach vorne getriebene russische Elf mithalten. Aber dann, in der 2. Hälfte, brach dieses grandiose Team unter dem spanischen Druck, man könnte fast sagen unter der Last der Intelligenz dieser spanischen Elf zusammen.
Und ich sah das Finale der Euro 88 nochmal ablaufen, als eine ebenso spielerisch grandiose, damals noch sowjetische Mannschaft einer ebenso intelligenten Elf in der 2. Halbzeit nicht mehr widerstehen konnte - dem großen Rijkaard/Gullt/Van Basten-Team der Holländer.

Spanien war davor schon gut gewesen.
Sie hatten schon davor eine blitzsaubere Qualifikation abgeliefert, eine tolle Euro gespielt - ich habe trotzdem diese direkte Begegnung gebraucht, um mich zu verlieben.

Der Neuanfang, nein: der eigentliche Anfang

Luis Aragonés, der Vorgänger von Vicente del Bosque hatte damals fast schon alle an Bord: Iker Casillas, Sergio Ramos, Carles Puyol, Capdevila, Andrés Iniesta, Xavi, Xabi Alonso, Cesc Fàbregas, David Silva, David Villa, Fernando Torres.

Letztlich ist nur der bärenstarke Gerard Pique dazugekommen, der Glücksbringer Carlos Marchena, den Mann, der seine letzten 55 Spiele siegreich bestritten hat und deshalb gern eingewechselt wird, ersetzt hat.
Außerdem hat Sergi Busquets den alten Marcos Senna abgelöst, und ein paar andere Neue sind auch dabei - im Kern spielt aber immer noch genau dieses Team.

Acht von diesen Leuten waren auch schon 2006 dabei, als man gegen einen der späteren Finalisten unglücklich ausschied, als man schon anklopfte. Aber das war trotzdem noch das alte Spanien, die andauernde Konflikt-Zone zwischen Madrid und Barcelona, der Zank- und Zauder-Haufen.
Es musste erst die Symbolfigur dieser alten Zeit, der alte Kapitän Raul abgeschossen werden, um endlich einen Neuanfang, nein, überhaupt erst einmal einen Anfang zu wagen.

Das Nationalteam als Opfer des Franquismus

Denn: ein spanisches Nationalteam - was war das denn bis dorthin? Ein unsympathisches arrogantes postfranquistisches Etwas. Bis tief in die 70er galt dieses Team als Symbol der Herrschaft einer faschistischen Zentralregierung, die damit die aufmüpfigen Provinzen regulieren wollte, die damit Autonomie und Sprachfreiheit zu dämpfen suchte.

1978 war sie eines der Opfer der österreichischen Sensations-Auftritts in Argentinien, eine überschätzt tänzelnde Diva. 1982 beim Turnier im eigenen Land war man peinlich schwach, 1984 bei der Euro und auch bei der WM 86 schlug Spanien zweimal mit fadem, stocksteifem Spiel bzw. vom Glück begünstigt die beste dänische Mannschaft der Geschichte und zog sich dadurch nicht nur meinen Unmut zu. Dass sie daraufhin jeweils postwendend besiegt wurden und seitdem eine Art Viertelfinal-Fluch (dort war spätestens Endstation) auf ihnen lastete, störte niemanden. Denn das spanische Spiel war pomadig und giftig, unschön und langweilig, herzlos und wenig mitreißend.

Wer genau wissen will wie die aktuellen Teamspieler regional zuzuordnen sind, erfährt das (und andere wichtige Hintergründe) hier.

Es störte auch die spanischen Fans, die sich viel eher an den Erfolgen der Club-Teams aus ihren Regionen berauschten, kaum. Erst nach und nach wuchs nämlich so etwas wie eine gesamtspanische Fußball-Identität zusammen - es brauchte 30 Jahre nach dem Ende der mörderischen faschistischen Diktatur, die den Fußball der Nationalmannschaft politisch instrumentralisiert hatte (von Real Madrid ganz zu schweigen), um die Gräben zuzuschütten und so etwas wie ein neues, gesundes Bewusstsein zu entwickeln.

Tiqui-Taca

Seit ein paar Jahren geht es nämlich plötzlich: Real und Barca-Spieler können miteinander, Basken, Katalonen und Kastillier überwinden alte Konflikt-Zonen für ein gemeinsames Ziel. Dass nämlich endlich auch das, was die Clubteams seit Jahrtzehnten vorführen, in der Nationalmannschaft auch gelingt.

Dazu waren zwei alte Grummelsäcke nötig, zuerst Aragones, eine echte Krätze, und jetzt Del Bosque. Zwei Senores, die sich die Aufstellungen nicht von den Club-Präsidenten vorsagen ließen und paritätisch aufstellen, damit keiner angefressen ist, sondern tatsächlich eine Einheit, einen Stil, eine Philosophie gesucht haben. Das, was Aragones Tiqui-Taca genannt hat, entspringt dem von Johan Cruyff bei Barcelona eingeführten Stil der offensiven Dominanz, treibt es sogar noch auf die Spitze.

Und dieses Spiel habe ich vor zwei Jahren, am 26. Juni, zum ersten Mal in Cinemascope gesehen. Ramos und Capdevila ackern rechts und links ihre Seiten ab, Senna macht den zentralen 6er und davor tun Iniesta, Xavi, David Silvam später dann auch Cesc Fabregas und Xabi Alonso das, was sie am besten können: Tiqui-Taca, das selbst Cruyff die Tränen der Freude in die Augen treibt; und die Lust auf der Suche nach dem tödlichen Lochpass, den sie dann auf David Villa oder El Nino, Ferndando Torres spielen.

Die Sache mit den verschiedenen Lieben

An diesem Abend machen sie damit drei Tore in der 2. Halbzeit; und ich gehe beseelt nach Hause. Vor der U-Bahn-Station treffen wir auf Manolo, den Edelfan schlechthin, den Mann mit der Trommel und machen ein Erinnerungs-Foto.
Und seitdem ist klar: Spanien ist mein Team.

Es gab im folgenden EM-Finale keinen Zweifel, auch seither nicht, selbst die Niederlage im Confed Cup oder jetzt hier gegen die Schweiz - unwichtig.
Ich habe in der Preview für diese WM mein Traumfinale ja deutlich annonciert: Spanien gegen Chile, hab ich gesagt.
Chile, weil ich da den meisten grenzwertigen Input erwartet habe, und Spanien, ja, das sollte mittlerweile klar sein.

Mit dem, was jetzt wirklich rausgekommen ist, kann ich also gut leben.

Holland, das ist die alte Liebe.
Das sitzt tief und fest, das ist der Ursprung von vielem.
Spanien, das ist die neue Liebe.
Aber es fühlt sich genauso gut und sicher an, als ob sie schon lang vorhalten würde, dabei sind das noch keine 5 Jahre.

Aber es ist so wie im echten Leben: Wer sagt, dass man nur einmal lieben kann, der hat keine Ahnung.