Erstellt am: 9. 7. 2010 - 15:00 Uhr
Leere Betten im Klassenzimmer
anna mayumi kerber
Soweto Focus Point hat Hunderte Schulen davon überzeugt, während der Fußball-WM ihre Unterrichtsgebäude zu Besucherunterkünften umzufunktionieren. Es ist eine der zahlreichen Initiativen, die versucht haben, etwas vom WM-Kuchen mitzunaschen. Abbekommen haben die Beteiligten nichts. Es wurden Millionen investiert, schlechtes Marketing betrieben und nun droht das einst so optimistische Unterfangen in einen massiven Rechtsstreit auszuarten.
Die Klassenzimmer der Morris Issacson Schule in Soweto liegen verlassen. Der Schulbetrieb wurde für die Dauer der WM eingestellt. Dennoch sollte es hier hoch zugehen. Die Schulbänke haben Platz gemacht für Wohnmöbel: acht nagelneue Betten stehen in jedem der 33 Unterrichtsräume. Auf der bunten Bettwäsche liegen liebevoll zusammengerollt und mit Schleifchen versehen Handtücher bereit. Neben jedem Bett steht ein Nachtkästchen, in der Mitte noch ein großes Sofa. Die Tafelwände sind von einer Reihe an Kleiderkästen verdeckt. In manchen Klassenzimmern steht zudem ein Flachbildfernseher. Nichts davon wurde jemals benutzt. Alles ist genau so, wie es vor ein paar Wochen bereitgestellt wurde. Unberührt.
anna mayumi kerber
anna mayumi kerber
anna mayumi kerber
Elias Profisi Mashile, Direktor der Mittelschule, hoffte vor zwei Monaten noch, hier Fußballgäste willkommen heißen zu können. Für die Bereitstellung der Unterkünfte hatte der Schuldirektor etwa 5.000 Euro von Soweto Focus Point zugesichert bekommen. Nach offizieller Version von Soweto Focus Point hätten es sogar 150.000 Rand (über 15.000 Euro) sein sollen. Ein Zusatzeinkommen hätten die Schulen gut gebrauchen können. „Viele Eltern haben keine Mittel, um das Schulgeld ihrer Kinder zu bezahlen. Diese Initiative ermöglicht uns ein zusätzliches Einkommen“, gab sich Matshile im Vorfeld optimistisch.
Die Organisation hat 256 Schulen in verschiedenen Townships in ganz Südafrika davon überzeugt, während der WM als Herbergen zu agieren. Rund 7000 Rand (rund 725 Euro) wurden in jedes der Klassenzimmer investiert. Teils durch Soweto Focus Point, teils durch Personen, die eigens dafür einen Kredit aufgenommen haben. Die gesamten Investitionen belaufen sich auf etwa 25 Millionen Rand.
Die Einwohner der ärmlichen Townships wollten Touristen einen Einblick in das alltägliche Leben Südafrikas abseits der komfortablen Touristenpfade gewähren. „Es wäre eine Sünde, wenn die Fußballfans nur die reichen, überwiegend weißen Vororte von Johannesburg zu sehen bekommen“, meinte Channon Merricks, Manager von Soweto Focus Point. „Das ist nicht das echte Südafrika. Wer in einer Schule in einem Township übernachtet, bekommt nicht nur einen Einblick in das Leben dort, sondern unterstützt gleichzeitig die lokalen Communities.“
Für die 250 Rand (ca. 26 Euro), die eine Übernachtung in einer Schule kostet, hätten Besucher der Morris Isaacson Schule zudem eine besondere Geschichtsstunde bekommen: Wie in vielen anderen Schulen in Soweto wurde hier in Zeiten des Befreiungskampf gegen das Apartheidregime mehr demonstriert als gelehrt. Es waren aber Schüler ebendieser Bildungseinrichtung und deren Eltern, die sich 1976 gegen die Einführung von Afrikaans, der Sprache der verhassten Unterdrücker, als Unterrichtssprache auflehnten.
Die friedlichen Demonstrationen am 16. Juli 1976 wurden brutal von der Polizei unterbunden. Die Exekutive eröffnete das Feuer auf die jungen Demonstranten. Einer der über 20 Schüler, die dabei ihr Leben verloren, war Hector Pieterson. Das Bild des 13-Jährigen, wie er kurz vor seinem Ableben von einem Mitschüler aus der Gefahrenzone getragen wurde, entwickelte sich zum Symbol des schwarzen Widerstands. „Unsere Schule erlangte dadurch Weltberühmtheit“, erzählt Mashile. Er wollte die Welt hier willkommen heißen und sehen lassen, wie viel sich seither verändert hatte.
Aber keiner kam.
Warum? Happy Shongwe hebt hilflos die Schultern. Sie arbeitet für Soweto Focus Point und ist für die Reservierungen für Übernachtungen in der Morris Isaacson Schule zuständig. „Am 15. Juni bekamen wir einen Brief von der regionalen Schulbehörde. Darin stand, dass wir keine Bewilligung hätten, die Unterrichtsräume zu vermieten.“ Laut Behörde aber würde Soweto Focus Point eine solche Bewilligung nicht brauchen, die Organisation hätte das Schreiben „falsch interpretiert“. Es sei die Angelegenheit der beteiligten Schulen.
anna mayumi kerber
Diese stehen mit leeren Taschen, unbezahlbaren Krediten und einem Haufen Betten in ihren Klassenzimmern da. Ihr Ärger richtet sich gegen Merricks und Soweto Focus Point, der seine Versprechen nicht halten konnte. Der wiederum scheute sich nicht, nun eine 126-Millionen-Rand-Klage gegen die Behörden einzureichen, weil die ihm in letzter Minute sein Geschäft vermiest hätten.
Shongwe steht hinter Merricks. Es ist schließlich ihr Boss. Außerdem wisse sie nicht so genau, was sich im Vorfeld abgespielt hätte. „Wir haben seit letztem Jahr versucht mit MATCH zu kooperieren, jedoch ohne Erfolg.“ Die MATCH Service AG, mit Sitz in Zürich, wurde von der FIFA beauftragt, Dienstleistungen in den Bereichen Unterkunft und Ticketing bereitzustellen.
MATCH sah keinen Bedarf an einer Kooperation. Und gegen die FIFA-Maschine kam Soweto Focus Point nicht an. „Wir haben eben erst mit Werbung begonnen“, erklärte Merricks wenige Tage vor Anpfiff. Im WM-Zirkus ging das unter. Shongwe bestätigt, dass sie vor Erhalt des behördlichen Schreiben nur „sehr, sehr wenige“ Buchungen vornehmen konnte. Jemand anders spricht von maximal 2.000 Klienten. Von den erhofften 46.000 jedenfalls weit entfernt.
In wenigen Tagen ist die WM vorbei. Die Schüler sind enttäuscht, die Investoren verärgert und verzweifelt und Merricks stürmt einen Ausweg aus der Misere suchend nach vorne.
Gelangweilt lümmeln die bewaffneten Securities vor der Morris Isaacson Schule am Eingangstor herum. Sie wurden eigens für diese Wochen angeheuert, um Touristen zu beschützen. Im Endeffekt waren es Betten und Kästen. Ursprünglich hätten diese nach der WM an lokale Communities und Opfer in Haiti gespendet werden sollen. Nun soll ein guter Teil verkauft werden, um den finanziellen Schaden zu begrenzen. Das einzige was der Schule bleiben wird, sind die Container-Toiletten und Waschräume, die für die Gäste errichtet wurden.