Erstellt am: 8. 7. 2010 - 10:19 Uhr
Monatsblut, Selbstentjungferungsblut, Haariges

Library of Congress PD
Martin Luther King (1929-1968) ist mit seiner Rede Where Do We Go from Here?, die er im Jahr vor seiner Ermordung in Atlanta, Georgia hielt, Stichwortgeber für den Titel der aktuellen Ausstellung in der Wiener Secession.
Nach dem Gruppensex wurde aufgeräumt in der Secession: Platz für die Gruppenausstellung, die alle paar Jahre "Junge Szene" überblicksmäßig einfangen soll. Während "Lebt und arbeitet in Wien" und die "Triennale" in Linz einen bunten Überdrüberblick versuch(t)en, bettet die prestigeschwangere von 50-Cent-Münzen herunterlachende KünstlerInnenvereinigung die Überblicksübung in eine dicke Rampendiskursjacke: Mauerfallgeneration, Kreativprekariat, Empire, Krise - zugespitzt: Wohin gehen wir? Bürgerkrieg oder "friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben als Gemeinschaft"?
Um meine abgetrübten Möglichkeitssinne wieder aufzugeilen, schaue ich also dorthin.

FM4 Lukas Tagwerker

gemeinfrei

Nilbar Güres
Schamhaarig geht es im kühlen Inneren des Musentempels weiter:

FM4 Lukas Tagwerker
Käthe führt mich zu ihrem Showcase in die U-Bahn-Passage, hier kommt es zur Konfrontation.

FM4 Lukas Tagwerker

FM4 Lukas Tagwerker
- Anything is possible
- I create my circumstances, my circumstances don´t create me
- The only thing I can control is my attitude towards life
- I always have a choice
Multiple Choice Tests wie dieser zum obigen Bild decken die Selbstbelügungsnotwendigkeiten eines prekären, aus den Fugen geratenen Kreativdaseins auf, in dem der Ausnahmezustand zur Norm und die ökonomischen Zumutungen von "Flexibilität" und "Mobilität" hinterlistigerweise zu Zielen und Motivationen der sich selbst testen Müssenden geworden sind.

FM4 Lukas Tagwerker

FM4 Lukas Tagwerker
"The enemy is profit!" schallt es im Sprechchor über eine Sitztribüne vor dem Doppelscreen-Video von Anna Witt. Körperliches Unterworfensein unter politische Gewalt und die Formen des Widerstands dagegen interessieren Anna Witt in ihren Filmen und kollaborativen Projekten. Ausgehend von der Widerstandsform des radical cheerleading, dem organisierten Anfeuern von Straßenprotesten, hat die Künstlerin eine Wiener Cheerleader-Gruppe dazu angestiftet, politische Reime zu entwickeln und zu cheeren.

FM4 Lukas Tagwerker
Decolonize your Mind

Marissa Lobo
Marissa Lobos Installation Iron Mask, White Torture geht aus von der Geschichte der heiligen Anastácia, einer blauäugigen Bantu, die nach Brasilien verschleppt und versklavt wurde. Als Vergeltung für ihren Widerstand gegen sexuelle Ausbeutung zwangen ihre weißen Peiniger ihr eine metallene Maske auf. Diese Maske als Symbol der kolonialen Brutalität, der Sprachlosigkeit abzunehmen, führt zu der Frage: Was würde Anastácia erzählen? Wovon kann gesprochen werden?

FM4 Lukas Tagwerker
Neun schwarze Aktivistinnen sprechen mit blauen Kontaktlinsen in den Augen zum weißen Publikum. Es sind Worte, Zitate, Statements, die von den verborgenen Geschichten schwarzen Widerstands ins Hier und Jetzt führen, wo Alltagsrassismen zähe koloniale Traumata züchten. Das Begehren nach den blauen Augen ist eine nach innen gekehrte rassistische Schönheitsnorm, die den Blick auf die schwarze Identität vernebelt.

FM4 Lukas Tagwerker
"Even the most subjected person has moments of rage and resentment so intense that they respond, they act against. There is an inner uprising that leads to rebellion (...)" bell hooks
"Psychological freedom, a firm sense of self-esteem, is the most powerful weapon against the long night of physical slavery." Martin Luther King

FM4 Lukas Tagwerker
Where do we go from here?
Die Ausstellung Where do we go from here? umfasst interessante Werke von noch 22 weiteren KünstlerInnen, die ich nicht alle besprechen kann, und ist noch bis 29. August 2010 in der Secession in Wien zu sehen.