Erstellt am: 6. 7. 2010 - 22:35 Uhr
WM-Journal '10-75.
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Die Fakten zum Semifinale Niederlande - Uruguay 3:2.
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Es gab durchaus Phasen in diesem Semifinale, in denen man beginnen mußte, sich mit dem eigentlich für nicht möglich gehaltenen Gedanken anzufreunden, dass der einzige verbliebene wirkliche Außenseiter sich dich ins Finalspiel reinspielen würde können.
Ende der 1. Halbzeit, oder dann rund um die 50. Minute, als der holländische Kapitän den Ball aus dem leeren Tor bugsieren mußte. Und sogar noch in der 67. Minute, als Diego Forlan (wegen Luganos Verletzung heute Kapitän seiner Himmelblauen) einen Freistoß-Ball fast ins Ziel setzte, zuckte dieser Gedanke durch sicher viele Köpfe.
Aber nur eine Minute später gab es business as usual. Und die Rollenverteilung war wieder wie gehabt.
Uruguay der individuell deutlich unterlegene, aber strategisch, taktisch und mannschaftlich deutlich über die eigentlichen Möglichkeiten hinausgewachsene "Kleine", auf der einen Seite.
Und die Niederlande, die Elftal, das Oranje-Team, das seit fast 40 Jahren für den attraktivsten und weltläufigsten Fußball überhaupt steht, der Große, der Schöne halt, auf der anderen.
Gelbe Sonne, blaue und weiße Streifen: La Celeste
Zu Uruguay ist das meiste schon gesagt.
In dieses Spiel ohne echte Chance ging Tabarez' Team übervorsichtig, mit einem echten 4-4-1-1, eine Spur zu gerade und mit ein paar echten Wachhunden. Martin Caceres als linker Verteidiger hatte Robben über, Arevalo und Gargano waren zentral gegen Sneijder gestellt. Rechts war mit Diego Perez ein defensiver Mann aufgestellt, links mit Alvaro Pereira ein offensiver - und beide durften nicht.
Erst nach der Führung durch dieses Gio-Traumtor in der 18. Minute stellte sich das Uru-System wieder auf die schiefe Achse, mit der man bislang so viel Erfolg hatte. Alvaro Pereira gab einen quasi linken Flügel, Cavani kam eher über rechts, Forlan durfte überall. Aber so richtig traute man sich dann erst ab der Einwechslung von Abreu über ein richtiges 4-3-3.
Irgendwie, irgendwo hatte Tabarez, hatte das Team ohne Lugano, Fucile und Luis Suarez, den Glauben an das Unmögliche verloren. Da kam alles zu spät, auch das letzte Anrennen, das die letzten paar Minuten noch zu einem Tollhaus werden ließ.
Oranje ist die Farbe des holländischen Königshauses
Zu den Niederländern ist allerdings auch das allermeiste bereits gesagt.
Denn wieder war da Vorsicht und Ballhalten angesagt, wieder war es nix mit Zauber- und Risiko-Fußball, wieder alles sehr nüchtern, sehr unberauscht. Was dann eben dazu führte, dass ein Gegner, der eigentlich schon besiegt war, zweimal wieder herankommen konnte. Das birgt dieses "Schaumermal"-Spiel unter Van Marwijk als Gefahr durchaus in sich.
Allerdings war es auch ein entscheidender taktischer Wechsel in der Halbzeit, der die entscheidende Nuance nach vorne brachte. De Zeeuw, der Backup für den gesperrten Nigel de Jong, war nach seiner Kopfnuß aus der ersten Halbzeit eh angeschlagen, also brachte das Coaching-Team einen offensiven Akteur für die defensive Zentrale, und zwar Rafael Van Der Vaart, bislang den einzigen Verlierer bei den Holländern.
Van Der Vaart hatte sich mit zuviel Eigensinn aus dem 1. Team, in dessen Offensive er stand, rausgeschossen. Und jetzt, heute kam er wieder, als Bindeglied zwischen defensive und dem zentralen Wesley Sneijder vor ihm.
Matchwinner Van Der Vaart
In der 2. Halbzeit hat man dann wenig von ihm gesehen, keine spektakulären Aktionen, keine Tricks, aber seine Verbinder-Funktion erlaubte (sowohl taktisch, als auch psychologisch) mehr Druck nach vorne.
Und dann rollte es.
Nicht im Sinn der großen holländischen Mannschaften, die den "totalen Fußball" erfunden bzw bewahrt haben. Den haben Van Marwijk, Van Bommel, Robben, Sneijder und Kuyt zuletzt in der Quali gesehen, und danach in den Schrank gesperrt. Den lassen sie vielleicht nachher wieder frei.
Es rollte im Sinn der aktuellen holländischen Mannschaft, die sich so zurückgehalten hat, die so leisetritt.
Und das genügte dann halt auch wieder.
Und weiter ist das Team der Niederlande das einzige bei dieser WM, das alle seine Spiele gewonnen hat. Es ist auch weiterhin das einzige bei dieser WM, das einen Rückstand noch in einen Sieg zu drehen vermochte.
Das nur als Fingerzeig fürs Finale, an dem sie teilnehmen werden. Und: dass ich diesen Satz irgendwann noch schreiben würde dürfen (Die Niederlande sind im WM-Finale), an das habe ich ja schon nicht mehr wirklich geglaubt.