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Daniel Eberharter

Fotografie, Design und Handwerk. Kunst ohne künstlich.

5. 7. 2010 - 18:21

Politische Bildung in der Arena

Jello Biafra und die Guantanamo School of Medicine in der Wiener Arena. Und das am Independence Day.

Mein Englischlehrer, der Herr Eder, hatte eine schöne Idee. Ich war in der Unterstufe, ca. 15 Jahre alt, und war in Englisch ziemlich schlecht. Um den Stoff seines Faches näher an seine Schülerinnen und Schüler zu bringen, machte er listening comprehension mal andersrum. Die Schüler konnten ihre Lieblingslieder mitbringen, den Text ausdrucken, für die gesamte Klasse kopieren und der Klasse vorspielen. Der Text wurde dann gemeinsam übersetzt und analysiert. Die meiste Zeit gab's da Bangles zu hören, Right Said Fred vielleicht, mit viel Glück auch The Cure.

Ich habe California Über Alles von Dead Kennedys mitgebracht. Es war toll. Mitunter merkwürdig. Aber ich konnte "meine Musik" anbringen und eine eigene Lehrstunde veranstalten, in der ich vermitteln konnte (zumindest fühlte es sich für mich so an), dass Liedertexte auch zum Denken anregen können. Und sollten.

Ich habe trotzdem einen Fünfer gekriegt. Mein Englisch hat sich durch die Analyse von Punk- und Hardcore-Texten nicht von einem Tag zum nächsten verbessert. Aber ich wollte immer noch Jello Biafra verstehen. Ich wusste, dass es in Texten wie Let's Lynch The Landlord oder Chickenshit Conformist Like Your Parents um mehr geht. Biafra hat also sowohl mein Englisch als auch meine politische Bildung, oder nennen wir sie politische Grundeinstellung, maßgeblich beeinflusst.

Die Dead Kennedys waren zum Zeitpunkt meines Teenagertums schon doppelt dead. Jello Biafra hat nach dem Ende der Band aber alleine weitergemacht, hat einzelne Alben mit D.O.A., No Means No und Ministry (Lard - "When people are asleep we must all become alarm clocks") gemacht, aber auch eine Palette von Spoken Word-Scheiben herausgebracht, wie zB. zum Zeitpunkt des ersten Irak-Kriegs Die For Oil, Sucker.

Mehr Info zu Herrn Biafra: Alternative Tentacles (Jello Biafras Plattenlabel)

Der Mann hat eindeutig was zu sagen. Doch nie habe ich ihn live erlebt. Hat sich einfach nie ergeben, und so oft war er ja auch nicht auf Tour durch Europa. Mitunter befürchtete ich auch, dass seine Zeit, nun ja, vielleicht schon vorüber ist. Und die US-amerikanische Innenpolitik ist für Mitteleuropäer dann auch nicht unmittelbar weltbewegend.

Kein Nostalgietaschentuch

Und dann ist diese neue Band mit der Guantanamo School of Medicine. Ich war da etwas skeptisch. Zur Zeit häufen sich diese Reunions, und obwohl das derzeitige Projekt von Biafra (sein echter Name ist Eric Reed Boucher) keineswegs als Renion-Abcashen zu verstehen ist, gibt es trotzdem nichts Traurigeres als alte Frontmänner, die einen alten, schon längst verblichenen Moment der guten alten Zeit aufleben wollen. Siehe Garcia plays Kyuss, welche im letzten Monat ebenfalls in der Arena spielten. Das war doch recht pathetic, Hand aufs Herz.

Und zur großen Erleichterung war das, was Jello Biafra gestern in der Arena geliefert hat, wirklich eine Klasse für sich. Und keineswegs nostalgisch. Jello lebt im Jahr 2010. Er mahnte, erklärte, gestikulierte und schnitt Grimassen, machte allen Anwesenden klar, dass politisches Engagement und Denken nicht nur zeitgemäß sondern auch bitter nötig ist. Jails for Profit mag es vielleicht nur in den USA geben, aber seinen Appell, sämtliche Anstrebungen dies in Europa und Österreich ebenfalls einführen zu wollen, vehement zu verhindern zu versuchen, der ging ins Mark. Da ist viel Gefühl und Herzblut dabei.

Insgesamt war Jello Biafra knappe 2 Stunden auf der Bühne und gab drei wohl durchdachte Zugaben. Den Klassiker California Über Alles gab es auch zu hören, gleich als fünftes Lied, und es war nicht Governor Jerry Brown in der Hauptrolle, sondern Governor Schwarzenegger.

Das alleine zeigt, wie sehr Biafra im Heute verankert ist und eigentlich gar nicht viel mit der Vergangenheit zu tun haben will. In einem Interview meinte er, es gäbe nichts Schlimmeres für ihn, als Menschen die ihn anraunen, wie wichtig Dead Kennedys für sie doch waren, wie sehr Jello ihnen damals den Horizont geöffnet haben. Und was ist jetzt mit diesen Leuten? Gibt es heute nichts mehr, was ihnen den Horizont erweitert?

Nur nicht bequem werden

Die wichtigste Message des Abends war auch jene, dass man niemals aufgeben sollte sich für etwas einzusetzen. Ab 30 werden die meisten Menschen, auch Ex-Punks ja irgendwie bequem. Und was macht Biafra mit seinen 52 Jahren? Stagediven! Vor allem jedoch: Seine Meinung sagen.

Der Abschiedssatz ans Publikum zu Ende des regulären Sets war übrigens einfach nur: Think about it.

Jello Biafra, 4.7.2010, Arena Wien

Daniel Eberharter

Jello Biafra, 4.7.2010, Arena Wien

Daniel Eberharter

Jello Biafra, 4.7.2010, Arena Wien

Daniel Eberharter

Auch das ist Jello Biafra 2010: Punk mit Iro filmt Jello für Youtube.

Jello Biafra, 4.7.2010, Arena Wien

Daniel Eberharter

Jello Biafra, Arena, 4.7.2010

Daniel Eberharter