Erstellt am: 4. 7. 2010 - 18:54 Uhr
WM-Journal '10-73.
Seit 1. Juni erscheint das WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.
Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, gegen Mittag.
Die Fakten zum Viertelfinale.
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An Tagen danach ist das Standard: ale jemand, von dem alle wissen, dass man sich damit beschäftigt und dem man womöglich sogar Auskennerschaft zuschreibt, kriegt man ganz automatisch Fragen gestellt. Sehr einfache. In der Art von "Und wer wird jetzt Weltmeister?" oder "Warum sind Argentinien und Brasilien draußen?" oder mehr in der Art von "Wieso ist passiert, was passiert ist - und was wird weiter passieren?".
Diese Fragen erfüllen zum einen Smalltalk-Zwecke, weil aber aktuell an jeder Ecke Menschen über Fußball, also die WM reden und über die Basic Facts ja recht gut informiert sind (womöglich auch ein paar Spiele gesehen haben) ist das auch durchaus ernst gemeint.
Denn: wo eine scheinbar fatalistische, sich logischen Parametern enziehende Dramaturgie am Werke ist, giert man nach Erklärungs-Modellen.
Bloß: wenn ich versuche diesen Fragen wahrheitsgemäß nachzugehen, enttäusche ich zumindest 90 % der Menschen auf das Tiefste. Denn die wollen die "einfache Erklärung", am besten monokausal, leicht nachvollziehbar, vielleicht mit einem leichten verschwörerischem Touch. Das kommt gut.
Die Annäherung an die Wahrheit, der oft quälende Prozeß sich über Nuancen an die vielschichtige Wirklichkeit anzunähern, interessiert die allerwenigsten.
Schnell, billig, ressentimentgeladen...
Nicht mir jetzt mit einem "Ja, das ist doch eh klar!"-Satz kommen und für diese Haltung Verständnis aufbringen.
Denn: dieses sich leicht und schnell mit dem simpelsten zufriedengebende Pseudo-Interesse ist nichts als die Durchreiche zur Resignation vor der Herrschaft des Populismus.
Ein populistischer Politiker nämlich hätte, als Auskenner nach der WM befragt, sofort die einfache Antwort parat. Und zwar irgendeinen Schas, der ihm von seinen Redenschreibern erfunden, von Umfragewerten und ideoligischen Eigeninteressen gestützt, billige schnelle Punkte bringt.
Am besten wäre irgendein Modell, dass Ressentiments mit ins Boot bringt, man könnte (als Rechtspopulist) die Überlegenheit einzelner Nationalitäten oder der Festung Europa ins Spiel bringen, aber auch ganz Blödsinniges wie Höhenlagen, alte Vulkanausbrüche, Schiedsrichter-Verschwörungen oder das Versagen der durch Überlastung geschändeten Premier League als Schuldige benennen.
Es ist eigentlich ganz egal: hauptsache catchy und einfach zu merken, nach dem KISS-Prinzip.
Und sofort wären 90 oder 95% der Menschen glücklich und würden ihre Bürgerpflicht-Aufgabe des kritischen Hinterfragens als erledigt abhaken.
Wo nur der populistische Gag verfängt, wächst kein Nachdenk-Grashalm
Dabei ist in der "Wieso denn jetzt?"-Fragestellung an die (oft genug selbsternannten) Erklärer die Kapitulation des eigenverantwortlichen Denkens ja schon oft genug enthalten. Wer sich in punkto WM so leicht mit der einfachen Antwort zufriedengibt, der tut das auch in allen anderen, gesellschaftlich relevanten Bereichen - es sei denn irgendwo gibt es eine tatsächliche eigene Expertenschaft (was bei 90/95% eben nicht der Fall ist).
Diese Lust am Sich-Wegbluffen und Sich-Verarschen-Lassen ist mir recht unbegreiflich; sie ist aber in hohem Mass vorhanden. Sie speist sich aus der massiven Unlust sich ein paar Millimeter mehr als der kleinste kollektive gemeinsame Nenner es erlaubt, mit etwas auseinanderzusetzen, für das der eigene Kopf gebraucht werden würde.
Ich merke das an den Augen der Probanden, an denen ich (in Feldversuchen, die bereits über Jahrzehnte gehen) meine Antworten durchteste. Wenn ich auf Fragen nach dem Wieso im aktuellen Fußball einen populistischen Gag riskiere, bekomme ich akute, glitzernde Aufmerksamkeit. Wenn ich dann sowas wie "Nein, war ein Schmäh. In Wahrheit liegt es an der Effizienz ganz simpler Struktren." sage, driften die Augen ab, setzt das Interesse aus.
Wer über die dümmsten Reime lacht, kriegt eben einen Zsak
Das Dahinter, dessen Analyse nominell immer alle ganz unglaublich hoch einschätzen, verursacht nur ein geistiges Gähnen.
Und dabei ist es völlig egal, ob es um ein lebenswichtiges Thema wie Integration und Zusammenleben in einer globalisierten Welt oder um etweas scheinbanales wie die Fußball-WM geht. Der Aufmerksamkeits-Preis geht an die, die die dümmsten, aber auffälligsten Reime anbieten. Und die kalte Schulter (samt: is mir zu anstrengend da mitdenken zu müssen-Ausrede) gilt denen, die versuchen Zusammenhänge zu erhellen.
Dass nur die, die diese Erhellung auch anstreben und sich kundig machen wollen, jemals hinter die Gründe für Handlungen steigen werden, dass nur die, die vernetztes, multikausales Denken zumindest zulassen, Entscheidungs-prozesse nachvollziehen können, ahnen zwar eine ganze Menge Menschen - es ist ihnen aber unfaßbar egal. Sie haben sich mit dem Outsourcing ihrer eigentlichen Macht, den eigenmächtigen Denken und Nachfragen, abgefunden - mit zunehmend steigender Tendenz die letzten Jahre über.
Unter anderen deshalb haben etwa die Österreicher nicht nur die Politiker, die sie verdienen, sondern auch die Experten, die ihrem oberflächlichen Interesse nachkommen. Anders gesagt: an Manfred Zsak sind wir schon alle ganz selber schuld.
Wir sind zurück beim Fußball, bei dieser WM.
Jetzt zu ein paar dieser Fragen...
Und, ja, die versuche ich jetzt eben für die restlichen 5-10% zu beantworten. Die anderen sind mir, längst, sorry, sehr egal.
Ist Europa jetzt wieder besser als Südamerika?
Anmerkung: all die hier gestellten Fragen sind natürlich höchst unzureichend beantwortet. Ich kann da maximal Möglichkeiten anreißen, mehr nicht.
Die Frage kommt, weil es vor Wochenfrist ja noch deutlich andersrum war, auch im Mainstream, auch bei den Nicht-Nachdenkern.
Die deutlich zu beobachtende europäische Krise ist wegen des Vorrückens von Deutschland, Holland und Spanien keineswegs vom Tisch.
Denn hinter diesen Dreien klafft eine enorme Lücke. Die alten Power-Houses Italien, Frankreich und England sind, aufgrund der Struktur-Probleme ihrer Ligen bzw ihres Verbandes, nicht in der Lage alte Erwartungen zu erfällen.
Und die zweite Reihe hat, von Portugal abwärts, dort völlig ausgelassen, wo etwa die zweite Reihe der Südamerikaner alles niedergerissen hat.
Denn das was kleine Verbände wie Chile, Paraguay und Uruguay mit wenigen Mittelns und durchschnittlichen Ressourcen geleistet haben, überragt alle Vorstellungen von in sich seit Jahrzehnten ideal aufgebauten und mächtigen Groß-Verbänden wie dem DFB oder dem KNVB.
Denn die Erfolge der Lateinamerikaner der 2. Reihe (und da zähle ich auch Mexico mit dazu) sind allesamt auf gezieltes Coaching, gute System- und Taktik-Wahl und die Originalität, die der Kleine entwickeln muss, wenn er gegen den an sich Überlegenen antritt, zurückzuführen. Also auf aus dem eigenen Geist Geschöpftes.
Wieso haben so viele europäische Favoriten abgekackt?
Läßt sich auch nicht über ein Kamm geschoren sagen. Spanien und Deutschland etwa kommen mit (fast) durchaus aus den heimatlichen Ligen besetzten Mannschaften aus - England und Italien aber auch.
Die übergroße Internationalität der Premier League wird oft als Ursache ausgemacht - aber wird nicht auch zb Bayern München von den großen ausländisches Stars getragen?
Klar, bei Inter Mailand spielt kein Italiener, während Barcelona mit Spaniern durchsetzt ist - aber sind Lampard, Gerrard oderr Rooney bei ihren Teams Mitläufer?
Die Niederländer sind ebenso fremdbestimmt wie die Franzosen, aber gerade deren Liga gilt als einer der Aufsteiger der letzten Jahre.
Es geht wohl eher um eine sinnhafte Balance zwischen der Konstruktion der Liga und dem Organisations-Grad des Verbandes. Und da schlagen sich dann langfristige Versäumnisse deutlicher nieder.
In Italien etwa wurden die seit Jahren akuten Probleme durch den Erfolg des 06er-Teams unter den Teppich gekehrt. In Deutschland hat sich der DFB nach jedem Rückschlag (der letzte war 2004) noch mehr ins Zeug gelegt und noch gründlicher in die Basis- und Struktur-Arbeit investiert.
Über Holland höre ich ähnliches. Spanien profitiert von seiner aktuellen goldenen Generation, ist aber gut beraten das als Basis für ein funktionierendes Modell nach deutschem Vorbild zu nehmen, wenn man nicht so enden will wie beim französischen Nachbarn, der nach dem Ablauf-Datum seiner großen Generation so große Umstellungs-Probleme hat.
Wie wäre Österreich dagestanden?
In der aktuellen Verfassung von Liga und ÖFB (Stichwort Balance) katastrophal. Der Standard im österreichischen Nationalteam reicht nicht einmal ansatzweise an das was die Schweiz, die Slowakei und auch Slowenien hier gezeigt haben, heran.
Die Schweiz verfügt über eine Philosophie, der alles untergeordnet wird, hat einen langfristigen Aufbauplan.
Die Slowakei hatte einen Coach, der sein Team für jedes Spiel neu erfand, der damit imstande war Italien kaputtzuzwicken.
Slowenien konnte, nicht aus reinem Zufall, sondern wegen eines ausgreiften Systems und taktischer Cleverness mit überlegenen Engländern und Amerikanern mithalten.
Österreich ist in all diesen Bereichen aktuell im Niemands-Land, fußballerisch Dritte Welt.
Alle Schein-Experten, die sich aus der Distanz des zurecht und mit weitem Abstand Vorab-Eliminierten, über eine einzige hier in Südafrika abgegebene Leistung erheben, pfeifen bloß im Wald.
Wieso hat es bei Argentinien und Brasilien nicht geklappt?
Bei den beiden südamerikanischen Weltmächten waren alle Vorraussetzungen da, beide sind letztlich an ihren Coaches und deren Ideologien gescheitert (wobei "gescheitert" ein zu wildes Wort ist - beide Teams könnten genauso auch im Halbfinale stehen).
Argentiniens Problem ist, dass die Rehabilitations-Personalie Diego Maradona dem Team an der Seitenlinie außer optisch gutaussehender Motivation nichts gebracht hat. Die Figuren dahinter, die Analytiker und Aufsteller dieses Teams hatten keine Durchgriffs-Möglichkeit während des Spiels. Dort stand nur der hilflose Kleine, der selbstverständlich keine Idee hatte, was jetzt zu tun wäre.
Und das ist nur der offensichtlichste der durchaus mehreren Gründe dieser im Viertelfinal offenbarten Schwächen.
Das Problem Brasiliens mit der unattraktiven Spielweise von Dunga ist noch wesentlich vielschichtiger. Dungas Vorsicht hat Brasilien den Kontinental-Titel, den Confed-Cup und immerhin Olympia-Bronze gebracht. Die schwelende Unzufriedenheit mit dem unschönen Spiel war aber immer ein Dorn in der Pranke dieses Löwen. Und die (verwunderliche) Unfähigkeit auf einen Rückstand mit einem Plan B zu reagieren, kostete auch das an sich taktisch durchaus beschlagene Camp Dunga letztlich das entscheidende Spiel. Und auch die Tatsache, dass im Kader kein weiterer wirklicher Kreativspieler zu finden war, den man im Moment des Rückstandes hätte zusetzen können.
Und, komisch, keiner weint wirklich große Tränen um dieses so kalte Team.
Wie wird es mit Afrika weitergehen?
Das ist mir jetzt, nach soviel Text, zu groß. Dazu später mehr.
Und das wird wieder nur die interessieren, die sich nicht mit der simplen "einfachen Erklärung", dem Info-Häppchen, das wie eine Hostie übergeben wird, zufriedengibt.