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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 7. 2010 - 17:47

WM-Journal '10-70.

Vorweggenommenes Finale, Teil 2. Deutschland zerlegt Argentinien.

Seit 1. Juni erscheint das WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel Argentina - Deutschland 0:4.
Preview zum Abendspiel.

Nachlese zu gestern: Holland jubelt, Brasilien ist entsetzt, Suarez gar ein Schurke.

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Heute hat mich mein bislang recht verlässliches Gefühl erstmals betrogen: ich dachte nämlich, Deutschland marschiert raus, und zwar sogar als bessere Mannschft in diesem Duell der Ex-Weltmeister.

Zu clever erschien mir das, was Argentinien bislang da in die Stadionrunde gestellt hatte, allen negativen Begleiterscheinungen (zu viele Szenen für ein Tor) und auch dem Glück (das Tor gegen Mexico) zum Trotz.
Und zu unausgereift waren dann auch noch die bisherigen deutschen Vorstellungen, trotz ihres erfrischend jugendlich ungestümen Spiels nach vorne: das Nichts-Mehr-Zulegen-Können gegen Serbien, das Gewackel gegen Ghana und das (verdiente) Glück gegen England.

Das alles roch mir zu sehr nach einem guten Spiel der Deutschen und einem unglücklichen Ausscheiden gegen die sehr flink durch die Schnittstellen stoßenden argentinischen Angreifer.

Der deutsche Matchplan griff

Es kam ganz anders.
Schuld daran natürlich - das schnelle Tor, das dem deutschen Team die erste Halbzeit einbrachte.
Als klar wurde, dass Argentinien solange, nämlich fast 45 Minuten, braucht, um über den Rückstand hinwegzukommen, war Feuer am Dach.

Denn: wenn sich Löws Truppe einmal eingespielt hat und eben nicht nervös wird, dann setzt sie ihren Matchplan rigoros um.
Weil heute Bastian Schweinsteiger in der Zentrale ein Spiel gezeigt hat, wie man es dort (auf so einem Level, in so einer wichtigen Situation) von Michael Ballack noch nie gesehen hat. Weil Thomas Müller (nach seiner Saison logisch) und Lukas Podolski (nach seiner Saison absurd) an den Flanken Unglaubliches leisteten. Weil Neuer-Mertesacker-Friedrich-Khedira, also die Männer in der Defensiv-Zentrale, nie ins Schwitzen kamen, sich vom Gewusel der argentinischen Angreifer nie beunruhigen ließen.

Nicht vercoacht und doch versemmelt

Und auch, weil Camp Maradona sich mit der konservativen Grundaufstellung (Mittelfeld-Diamant-Raute) begnügte und nicht reagierte, als Rechtsverteidiger Otamendi schon in der 10. Minute am Rande des Nervenzusammenbruchs (und eines Ausschlusses) wandelte. Der Umstieg auf das offensive und den Gegner gut beschäftigende System des ersten Matches (mit einer Offensiv-Variante auf rechts) hätte die deutsche Übermacht im Mittelfeld ausgeglichen - und genau an der bissen sich Messi und Di Maria die Zähne aus.

Das ist nun nicht so vercoacht wie 2006 von Pekerman (mit der dumpfgummigen Herausnahme von Riquelme, auch gegen Deutschland), aber auch ganz schön versemmelt.

Die 2. Halbzeit gehörte dann Argentinien, aber bis auf ein paar Distanz-Versuche (Di Maria, Higuain) gelang nichts. Und dem deutschen Team passierte genau das, womit ich auf der anderen Seite gerechnet hatte: ein Tor gegen den Spielverlauf. Und dieses 2:0 von Klose war auch die Entscheidung.

Die Hereinnahme von Pastore und später Aguero, die Umstellung auf eine Art 4-1-5, brachte nichts mehr, Argentinien hatte sich totgespielt. Der Rest war dann nur noch demütigende Draufgabe.

Zitat von vor dem Turnier:

"Ich werde, wie schon die beiden letzten Turniere, mindestens bis zum Viertelfinale eindeutig Pro-Deutschland sein. Und zwar schon allein deswegen, weil bei einem frühen Scheitern die Betonkopf-Mafia aus dem Bayern-Umfeld wieder ans Ruder kommt und die DFB-Mannschaft wieder in die Untiefen der Marke Derwall-Ribbeck-Vogts-Völler führen wird. Dort taugte man dann zwar wieder als Lieblingsfeind und Hass-Objekt - ich will von Deutschland aber Fußball sehen; weil der nämlich gut sein kann."

Der ist, das hat man deutlich gesehen, tatsächlich gut. Unter anderem auch deshalb, weil der Verzicht auf die älteren Herren und die Verletzung von Ballack ein neues Herz geboren haben, eines, das Khedira-Schweinsteiger-Müller-Podolski-Özil heißt und das wohl kompletteste Mittelfeld dieses Turniers stellt.

Argentinien hat nach zwei exzellenten Spielen dann zwei gehabt, in denen man sich eher zurückgelehnt und vom erworbenen Ruhm gelebt hat, also vom Bluff.
Das geht dann auf, wenn man jederzeit einen Zahn zulegen kann. Genau das habe ich Messi und Co zugetraut. Und genau das ist bei diesem Turnier im entscheidenden Moment nicht gelungen.

PS.: der wichtigste Nebeneffekt - Diego Maradona, kein Coach, sondern reiner Motivator, wird sich die Mühen der nun folgenden Ebenen nicht mehr antun. Vielleicht kommt dann ja ein richtiger Coach nach, einer, der wirklich was aus dieser hypertalentierten Truppe rausholen kann.

Es macht nämlich, und das ist (sportlich) die wichtigste Erkenntnis dieses Spiels schon einen (unerhörten) Unterschied ob man einen echten Coach, einen echten Strategen auf der Bank hat oder nicht. Denn die Analytiker im Hintergrund, auf die sowohl Maradona als auch Löw vertrauen können sind schön und gut - wenn es aber drauf ankommt, mitten im Spiel drin, dann muss auch der Typ an der Linie was davon verstehen, blitzschnell reagieren und umbauen können, also strategische Intelligenz haben. Motivator allein sein, reicht da nämlich nur um bei der Mama und den Fotografen Punkte für die tollen Grimassen und Gesten zu sammeln. Das mag bei den Hanskrankls dieser Welt in der Fußball-Provinz genügen.

Um ein Spiel das an der Kippe steht zu gewinnen reicht es eben bei weitem nicht aus nur ein fuchtelnder Motivations-Maradona zu sein.
Denn da wird seine inhaltliche Hilflosigkeit offenbar.