Erstellt am: 2. 7. 2010 - 22:59 Uhr
WM-Journal '10-69.
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Die Fakten zum Spiel Uruguay - Ghana 1:1, 4:2nE.
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So, ich gestehe.
In Uruguay, die mich seit Ewigkeiten enttäuschende alte Liebschaft, setze ich gerne Hoffnungen, mische sie allerdings mit zarter Bitterkeit. Und auch hier, in der ersten, dann doch wieder in die alten Muster zurückfallenden Partie, hab ich sie reflexartig zurückgestoßen. Nur um sie, die Celeste, dann nach und nach wieder zurückzuholen in mein Herz.
Ghana, mein Lieblingsteam beim Africa-Cup diesen Jahres, habe ich, aufgrund der etwas seltsamen Einberufungs-Politik des Kaders (und wohl auch, weil mir bei den anderen afrikanischen Teams schon vor dem Turnier klar war, dass sie es nicht weit bringen würden) quasi sicherheitshalber heruntergeregelt, um nicht allzu sehr an der Qualität des afrikanischen Fußballs zweifeln zu müssen. Ich nehme das nämlich irgendwie persönlich.
Beides also echte Lieben von mir, mit denen ich mehr leide als mit den üblichen Verdächtigen, den Favoriten, die sich eh immer durchsetzen. Denn diese Kleineren, die haben oft nur ein Turnier, um Geschichte zu schreiben.
Genau das taten sie heute, die letzte Hoffnung Afrikas ebenso wie Sebastian Martinez' Landsleute im heutigen Viertelfinale in Johannesburg.
Und auf beide Lieben bin ich, egal wie es ausgeht, stolz.
Ghanas Drama
Zu dem Irrsinn, der da grade abgelaufen ist, muss ich nichts weiter anmerken, oder? Drehbuchwilder geht's nicht mehr: zuerst hält Luis Suarez, der Bomber von Uruguay, sein Team mit einem Hands im Spiel, dann vergibt Asamoah Gyan, der Bomber von Ghana, den Strafstoß und stößt seine Mannschaft in ein Elferschießen, das sie dann auch verliert.
Uruguay hat ebenso überlegene Spiel-Phasen (vor allem die ersten Teile beider Halbzeiten) wie Ghana, das vor allem in den Schluss-Phasen große Power gezeigt hat - insofern lässt sich also nicht wirklich sagen, wer es eher verdient gehabt hätte.
Uruguay hatte vielleicht das Südamerika-Momentum auf seiner Seite, das über dieser WM schwebt, immer noch, trotz des heutigen Ausscheidens von Brasilien.
Und Ghana hat vielleicht das Afrika-Momentum als Bürde, das bei dieser sportlich unglücklich verlaufenen WM schon seit Wochen diverses anrichtet.
Das einzige, was man Ghanas heutigem Spiel anlasten kann: die Einwechslung von Stephen Appiah, dem alten Kapitän, der dann das spielte, was er aktuell kann: Nichts.
Wieder musste dafür Asamoah hinter ihn rücken, wieder beraubte man sich so einiger Kreativität.
Alles andere war stimmig wie in den letzten Spielen. Inkoom rechts, der Berliner Prinz in der Zentrale und Problemboy Sulley Muntari an der linken Flanke, alle hinter dem Superblocker Gyan und vor einer insgesamt wirklich guten Abwehr - das hat gepasst.
Uruguays Glück
Bei Uruguay hingegen war vom bisher so grandiosen schiefen Spiel lange nichts zu spüren. Das kann nicht allein an der Verletzung des linken Flügels Alvaro Pereira liegen - es war eher auf das unglaublich kreuzbrave 4-4-2 zurückzuführen, das die Celeste recht lang recht ausrechenbar macht.
In der 2. Halbzeit stellte Tabarez um, nahm Lodeiro auf die linke Position und schob Cavani wieder nach rechts rüber, in die Offensive. Dieses neue 4-3-3 war weniger windschief als das, was Uruguay bislang gespielt hatte - und wieder war es nicht ganz so effektiv.
Erst, als Abreu reinkam und Forlan sich noch stärker hinter die Spitzen zurückzog, war wieder das wilde uruguaynische Nach-vorne-Rollen zu spüren.
Und das machte die Schlussphase dieser Partie zum offensten, packendsten und erinnerungswürdigsten, was man seit langem gesehen hatte.
Klar war das fehlerhaft in Ab- und Anspiel, klar war das nervös und zerfahren, aber der Willen beider Teams, die Entscheidung herbeizuführen, war in jeder Sekunde zu spüren.
Und das ist, so meine ich, die Seele von Fußball.
Die war heute im Soccer City zu Gast.
Geschichte schreiben...
... konnten beide.
Ghana ist so weit gekommen wie noch kein anderes afrikanisches Team zuvor. So knapp war man noch nie an den letzten 4 dran.
Afrikas Fußball ist unaufhaltsam - und es wird wohl diese ghanesische Mannschaft sein, die in 4 Jahren noch weiter vordringen wird. 16 Spieler des aktuellen Kaders werden da (großteils deutlich) unter 30 sein, die restlichen U20-Weltmeister werden nachwachsen.
Ghana kann auf Jahre hin das beste Team seines Kontinents sein.
Uruguay konnte den großen Fluch der 50er und 70er endlich brechen. Der erste Fußball-Weltmeister gab ein Lebenszeichen, ist erstmals nach 40 Jahren (wo man auch im kleinen Finale stand) wieder in einem erlauchten Kreis anzutreffen. Das ist keine vorwärtsgerichtete Geschichte wie die Ghanas, aber eine, bei der sich ein Kreis schließt.
Außerdem: eine Nation mit nur 3 Millionen Einwohnern und so einem fußballerischen Output, das ist ein Signal für alle; dass nämlich alles möglich ist.
So sehr mich schon Brasilien - Niederlande emotional zerrüttet hat, so sehr hat mich das heutige Abendspiel mitgenommen, in jeder möglichen Hinsicht.
Das mag kein vorweggenommenes Endspiel gewesen sein, aber es war das, was ich mir als ein "kleines Finale" wünschen würde anstatt der dort sonst immer stattfindenden lustlosen Ballschiebereien.