Erstellt am: 2. 7. 2010 - 17:50 Uhr
WM-Journal '10-68.
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Die Fakten zum Spiel Brasilien - Niederlande 1:2.
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Vorweg: ich sage nicht, dass es mir so wirklich recht ist, vom Geschmäcklerischen her.
Aber: ich hab's gerochen - nachzulesen hier im Achtelfinal-Fazit.
Denn die bisherige Leistungen der Niederländer waren nicht inhaltlich, aber formal überzeugend, sie waren das einzige Team, das sich bislang bedeckt gehalten hat, die einzigen, die noch nicht wirklich "mussten".
Alle anderen sind nämlich schon einmal gestrauchelt (Deutschland, Spanien) oder haben zumindest schon geschwitzt (Argentinien und eben Brasilien). Holland kam staubtrocken ins Viertelfinalspiel - hatte also noch alle Asse im Ärmel
Mir ringt dieser Mourinhoeske Stil, den Bert van Marwijk sein spielerisch humorloses Team da spielen lässt, durchaus Respekt ab - Liebe ist das allerdings keine.
Bloß: Liebe zum Dunga-Spiel Brasiliens hat sich auch keine entwickelt.
Wie auch.
Das war nix vor der WM, das war auch nicht wirklich was in der Gruppen-Phase, selbst im einzig engagierten Match gegen die Cote d'Ivoire - nur solala.
Und warum ich im Achtelfinale immer mehr auf das was Chile tut geachtet habe, sagt mir einiges über die brasilianische Grundverfassung. Die ist strategisch gefinkelt, aber von zuviel Vorsicht geprägt.
Brasilianische Überschätzung
Warum just nach diesem Match alle so überzeugt vom Rekord-Weltmeister waren? Ich habs nicht ganz verstanden und mich ja auch dementsprechend geäußert.
Ja, das war alles knapp.
Und, ja, das hätte auch andersrum laufen können.
Aber die Details, die zusammengerechnteten Kleinigkeiten, die haben auch nach den überzeugenderen Auftritten nicht für Brasilien gesprochen.
Diese so unüberwindliche Inneneinheit Lucio-Juan, ich hab sie nicht gesehen, Michel Bastos links, das ist ein großes Naja. Gilberto Silva und Felipe Melo in der Zentrale - oft zu destruktiv eingestellt, Kaka: immer noch nicht echt fit, Robinho: zu oft Opfer seiner Nerven, Luis Fabiano: schwankend. Und mit nur dreieinhalb offensiven Akteuren geht dann in entscheidenden Phase doch zu wenig.
Das ist dann der Fluch des Dunge-Defensiv-Systems.
Get my point: das sind alles grandiose Spieler in einem umwerfenden Team.
Aber: bei vorgezogenen Finals, auf diesem Level, geht es um Details. Und in denen hab ich Brasilien nicht so grandios gesehen wie viele andere.
Nicht, dass mir das jetzt wirklich recht ist.
Denn: dieses verhaltene holländische Spiel, die Imitation eines wenig schönen Italiens, die nervt mich auch ganz schön.
Holländisches Generve
Und auch die Fehler bei den Oranjes, unübersehbar: die Innenverteidiger, ojeh, vam Bommel-de Jong allzu statisch, ausrechenbar, Robben noch auf einen Trick beschränkt, Van Persie unbeherrscht.
Eine gute Konsequenz hat das ganze aber in jedem Fall: Dungas 'Jogo Non-Bonito' ist damit am Ende.
Brasiliens Öffentlichkeit wird ihn und sein System zum Teufel jagen und wieder eine offensive Truppe, die nach vorne spielt, aufstellen. Auch weil man bei der WM 2014 nicht nur gewinnen, sondern schön spielen will.
Und das ist mir, mit Verlaub, durchaus recht.
Da bringe ich gern das Opfer, das mit Brasilien einer der Vertreter des dominierenden südamerikanischen Fußballs ausscheiden musste.
Taktisch gab es in diesem Spiel durchaus eine Überraschung: nicht von Seiten der Holländer, die haben ihr 4-2-3-1 so runtergklopft wie immer, aber von Seiten der Brasilianer. Denn die haben sich ihr flexibles System, wohl aus Angst/Respekt vor der Disziplin der Holländer, wegnehmen lassen und ihr bravstes, taktisch konventionellstes Spiel gemacht. Dani Ales und Robinho haben ganz brav auf ihren Mittelfeldseiten gespielt, Kaka ganz brav direkt hinter Luis Fabiano. Das nahm ihnen die bisher lauernde Unberechenbarkeit, zudem hatte Maicon nicht so viele Vorstoß-Freiräume über rechts, die Rochaden von Robinho und Kaka blieben aus, und, natürlich, die überragende Spielintelligenz von Elano fehlte stark.
Seltsame Systemstarre
Wie wenig Coach Dunga und sein Betbruder Jorginho zuzusetzen hatten zeigt sich anhand ihrer Wechsel und Umstellungen - die gab es nämlich nicht (die reinen Positionswechsel rechne ich nicht).
Sich auf die Qualität seines Teams und die Sicherheit seines Systems zu verlassen ist schon okay - wer allerdings einen Vorsprung aus der Hand gibt (was bei dieser WM das allererstemal lethal endete) der muss dann (zumindest für die letzten 20 Minuten) auf den eingelernten Plan B umstellen.
War nicht.
Andererseits: auch Van Marwijk hat nichts geändert; und auch er kann das nicht, weil auch bei den Holländern das System über alles andere geht. Allerdings könnerten die (siehe Elia, Afellay, Van Der Vaart...).
Die von Anfang an im Spiel befindlichen Härten und kleinen Widerlichkeiten haben all das, denke ich, nicht beeinflusst. Da standen einander die Kontrahenten auch in Augenhöhe gegenüber. Wie in eigentlich alles Bereichen.
Weshalb dieses in großen Teilen an Spannung und auch Klasse kaum zu überbietende Spiel ja auch ein vorweggenommenes Finale war.