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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

3. 7. 2010 - 09:00

(No) Country For Old Men

In der melancholischen Kinoballade "Crazy Heart" brilliert Jeff Bridges als abgehalfteter Countrysänger.

Ein Leben zwischen endlosen Highways und schäbigen Motelzimmern, schlecht besuchten Auftritten in heruntergekommenen Bowling-Bars und Momenten absoluter Backstage-Tristesse. Ein Leben in Einsamkeit, die nur von gelegentlichen One-Night-Stands mit alternden Groupies aufgebrochen wird.

Ein Leben vor allem zwischen kurzen Momenten der Nüchternheit und langen Rauschphasen, zwischen Wanken, Torkeln und in die Klomuschel Kotzen. Willkommen im Touralltag von Bad Blake.

Jeff Bridges spielt ihn grandios und verdient Oscar-gekrönt, diesen Ex-Countrystar in der Abwärtsspirale, der mit seinem Auto alleine durch die Provinz tingelt. Ganz ohne aufgelegte Manierismen oder große Gesten säuft, raucht und singt er sich als Bad Blake in "Crazy Heart" langsam dem Untergang entgegen.

Seinen Künstlernamen hat sich der Mann nicht nur durch seinen ungesunden Lebenswandel verdient. Blake ist auch textlich ein Country-Outlaw, ein Urgestein wie Hank Williams, Waylon Jennings oder Merle Haggard, das einfach nicht mehr in die Gegenwart passt.

Crazy Heart

Fox Searchlight

Den Erfolg hat ein junger Kollege namens Tommy Sweet, auch ziemlich brillant von Colin Farrell verkörpert. Privat ist der Frauenschwarm mit Pferdeschwanz und Flinserl ein netter Kerl, der seinen alten Mentor Blake immer noch verehrt. Aber Sweet hat sich eben auch an den Nashville-Mainstream angepasst, an die versöhnliche, massentaugliche Variante des Country.

Der "Crazy Heart"-Titelsong "The Weary Kind" von Ryan Bingham:

Your heart's on the loose
You rolled them seven's with nothing lose
And this ain't no place for the weary kind

You called all your shots
Shooting 8 ball at the corner truck stop
Somehow this don't feel like home anymore

And this ain't no place for the weary kind
And this ain't no place to lose your mind
And this ain't no place to fall behind
Pick up your crazy heart and give it one more try

Your body aches
Playing your guitar and sweating out the hate
The days and the nights all feel the same

Whiskey has been a thorn in your side
and it doesn't forget
the highway that calls for your heart inside

And this ain't no place for the weary kind
And this ain't no place to lose your mind
And this ain't no place to fall behind
Pick up your crazy heart and give it one more try

Your lovers won't kiss
It's too damn far from your fingertips
You are the man that ruined her world

Your heart's on the loose
You rolled them seven's with nothing lose
And this ain't no place for the weary kind

"Crazy Heart" erzählt nicht bloß vom persönlichen Verhältnis dieser beiden Männer, sondern auch von den gegensätzlichen Polen einer Musik, die zu Amerika gehört wie Hamburger und Cola.

Was den kitschigen Kommerz-Country mit dem authentischen rauen Stoff verbindet, sind nicht bloß gewisse Akkordfolgen. Sondern die Vorliebe für Verlierer, Gestrauchelte, gebeutelte Existenzen.

Country ist der Sound zerrütteter Pendler, sentimentaler Trucker, frustrierter Bauarbeiter, auch von Frauen, die sehnsüchtig auf den Highway starren, wo ihr Mann gerade unterwegs ist, während im Nebenraum drei Kinder schreien und der Fernseher plärrt.

Crazy Heart

Fox Searchlight

Country mag sich oft reaktionär anhören, aber in den besten Momenten ist es Hardcore-Musik, die einem das Herz herausreißen kann.

Die gelungensten Countryfilme knüpfen hier direkt an. "Walk The Line" (2005) heißt eines der erfolgreichsten Beispiele, Joaquín Phoenix schlüpft darin in die Stiefel des großen Johnny Cash.

Engagierter Bürgerrechtler und tief religiöser Prediger, schwarz gekleideter Desperado und charmanter Showstar, Familienmensch und Drogenwrack: Natürlich gelingt es Regisseur James Mangold nicht, die enorme Widersprüchlichkeit des Mr. Cash in einem konventionellen Biopic zu erfassen.

Trotzdem schafft es der Film, der sich nur auf die Jugendjahre der Legende konzentriert, tatsächlich, den Spirit von Johnny Cash aufblitzen zu lassen.

Walk The Line

Centfox

Einen zu Unrecht miserablen Ruf genießt "The Thing Called Love" aus dem Jahr 1993, der wohl größte Flop in der Karriere des New-Hollywood-Regisseurs Peter Bogdanovich. Die Geschichte einer Gruppe junger Nachwuchsmusiker, die in Nashville ihr Glück versuchen, bleibt zwar ein wenig an der komödiantischen Oberfläche hängen.

Aber dieses Songwriter-Epos strahlt auch eine Warmherzigkeit und sanfte Melancholie aus, die ebenfalls zu gutem Country gehört. Ach ja, Sandra Bullock ist darin noch als Prä-Superstar zu sehen und der tragisch verstorbene River Phoenix in einer seiner letzten Rollen.

Eher ans Eingemachte geht es dagegen in "Tender Mercies" (1983), einer Absturzballade um einen einst erfolgreichen Nashville-Star, der in der Gosse gelandet ist. Robert Duvall, einer von Hollywoods intensivsten und dennoch subtilsten Charakterdarstellern, verdankt der Hauptrolle des ständig betrunkenen Mac Sledge seinen bislang einzigen Oscar.

Es ist die Liebe, die in "Tender Mercies" letztlich zur rettenden Kraft wird, und auch ein Hauch von Spiritualität umweht den Film. Erlösung ist alles, worum sich Country letztlich dreht.

Crazy Heart

Fox Searchlight

Nicht nur, dass Robert Duvall einen kleinen Part spielt und den Film mitproduzierte: "Crazy Heart" schließt in gewisser Weise direkt an "Tender Mercies" an, was die Story betrifft. Es ist eine junge Journalistin (Maggie Gyllenhaal), die den ausgebrannten Bad Blake wieder aufleben lässt.

Wie alle hier erwähnten und auch andere Countryepen ist das Debütwerk des Jungregisseurs Scott Cooper höchst konventionell inszeniert. Das passt jedoch einerseits zur verhandelten Musik, die ihre dramatischen Themen ja auch in klassische Formen packt. Und auf der anderen Seite will "Crazy Heart" natürlich nicht bloß ein feinsinniges Großstadtpublikum ansprechen. Sondern richtet sich an die echten Fans draußen in god's own country.

Das Schöne an diesem höchst sehenswerten Film ist aber, dass Cooper einige inhaltliche Brüche eingebaut hat, die wunderbar zur zurückhaltenden Performance von Jeff Bridges passen.

Weit weg von religiösen Erweckungsszenarien oder Rosemund-Pilcher-Romantizismen ist "Crazy Heart" ein erfrischend bodenständiger, weltlicher Film. Beziehungen zerbrechen, neue entstehen, selbst schlimme Kater vergehen. Aber Loyalitäten bestehen, you have to pick up your crazy heart and give it one more try. Das Leben geht weiter, irgendwie.

Crazy Heart

Fox Searchlight