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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 7. 2010 - 22:44

WM-Journal '10-67.

Afrikanisches Selbstverständlichwerden.

Seit 1. Juni erscheint das WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, gegen Mittag.

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Klar ist das, was bei der WM in Südafrika in den letzten 20 Tagen alles passiert ist, von sportlich eminent hohem Wert. Nicht nur wegen diverser Erkenntnisse oder dem was das Nicht-Erkennen-Können des dort in aller Öffentlichkeit Vorgeführten über die, die sich hierzulande Auskennerschaft zuschreiben lassen, aussagt.

Das ist auch alles ganz unglaublich wichtig, weil - um da einen Profil-Chefredakteur zu zitieren, Fußball kein "flockig-schwereloser Spaß, sondern heiliger Ernst" ist.

Das deswegen, weil er - wie alle Mannschaftssportarten - eine größeren und wichtigeren Sache dient: der Menschwerdung, der humanistischen Durchdringung.
Und, weil er, von einer dubiosen und geldgeilen, aber in all ihrer Absurdität dann immer wieder von ganz schön viel Moral und einem Hang zur Vermittlung von Werten durchdrungenem, Organisation geleitet wird.

Die von Sepp Blatter und seinen Gefolgsleuten selbstverständlich für ihre Eigen-Interessen durchgepreßte FIFA hat (irgendwo, versteckt) nämlich durchaus so etwas wie eine Seele. Und zwar die eines (und das ist heute, just nachdem ich von der Genug ist Genug-Veranstaltung heimgekommen bin, besonders treppenwitzig) Gutmenschen.

Blatters afrikanisches Projekt

Die FIFA mag ein anstrengend riechender, Herrenwitze erzählender Ministerialrat, der sich in erster Linie über seine Verbindungen und Klüngel definiert, sein - inmitten dieses machtbewussten Hofhaltens im Hinterzimmer jedoch steht der Wille die Menschheit zu bessern.

Das zeigt sich nirgendwo deutlicher als in Blatters Projekt der afrikanischen Fußball-Weltmeisterschaft.
Klar kann man sagen, dass es diese WM hauptsächlich gibt, um die vielen afrikanischen Verbände als Hausmacht hinter sich zu scharen - weil es Blatter nur um die Wiederwahl, das Verbleiben an der Spitze einer Organisation, die mehr Mitglieds-Staaten als die UN und demzufolge enorme ökonomische Macht hat, geht.

Ja, auch, klar.
Aber: was diese WM, und vor allem seine unaufhaltsame Medialisierung für den afrikanischen Kontinent und sein selbstverständnis im globalen System bedeuten wird, das hat sehr lange niemand sehen wollen. Bis auf Blatter und die FIFA, die miefigen Figuren.
Und, ja, genau denen ging es auch um genau das: um das Selbstverständlichwerden Afrikas.

Kübelweise rassistische Blödheiten

Jetzt, mitten in einer WM, die so reibungslos funktioniert als würde sie in Deutschland, Südkorea, Japan, Frankreich oder der USA (um da jetzt ein paar ganz bzufällige Beispiele herzunehmen...) stattfinden, läßt sich das, was davor an hegemonistischer eurozentrischer und, ja, auch rassistischer Blödheit medial und real kübelweise ausgeschüttet wurde, leicht verdrängen.

Selbst in diesem Jahr, als längst klar war, dass sämtliche Bauvorhaben zielgenauer fertigwerden als das bei sonstigen Großereignissen der letzten Jahre der Fall war, haben die üblich verdächtigen Dummschwätzer (von Bayern München-Bossen bis hin zu Politikern, nicht einmal nur auschließlich die der reaktionären Sorte, das ging quer durch alle Ideologien; im subkutanen Rassismus einigt man sich ja geren) sich nicht entblödet Horror-Szenarien an die Wand zu malen.
Als Ausrede musste im Jänner ein Vorfall im von Rebellen besetzten angolanischen Problem-Provinz Cabinda herhalten.

Und plötzlich war das mediale Mantra wieder im vollen Gang. Er würde das nicht schaffen, derr Südafrikaner, er wäre ja schließlich doch Afrikaner und sowas schaffe man dort eben nicht, die Sicherheit wäre nicht garantiert, Mord und Totschlag würde herrschen, Anschläge wären unvermeidbar, das Chaos vorprogrammiert. Jeder Wichtigtuer kannte plötzlich jemanden, der schon zumindest zweimal in Südafrika oder zumindest von Schwarzen ermordet worden war. Weil das "dort" ja an der Tagesordnung wäre.

Das mit den Gutmenschen, auf die keiner gehört hat

Die Vernünftigen, die, nocheinmal sag ichs, und wieder muss ich lachen, die Gutmenschen, die darauf hinwiesen, dass die Statistiken eigentlich anderes aussagen, dass ein Übergriff in Angola mit Südafrika etwa so viel zu tun hat wie ein brenndendes Banlieu oder ein Aufstand in Athen mit einem Turnier in, sagen wir, Portugal zu tun hätte (nämlich echt nichts), haben recht behalten.

Die Suderanten und Niedermacher, die versteckten und die offenen Rassisten, die Afrika-Nichtszutrauer aller Sorten, die im Vorfeld jahrelang und bis kurz vor der WM Horror-Szenarios an die Wand gemalt, sich an Negerwitzen delektiert und Gottseibeiunse angerufen hatten, sind seit Beginn der WM soooo klein mit Hut: so klein wie unsichtbar.

So lustig der Spott über die Ulihoenesse dieser Welt aber auch ist - so wenig zählt das.
Wichtig ist die Wirkung, die diese wie selbstverständlich durchgeführte und ebenso selbstverständlich in alle Wohnstuben und PublicViewings der Welt übertragene WM hat: dass nämlich ab sofort jeder der Ulihoenesse, der wieder einmal sein dürftig unterfüttertes Stimmlein erhebt um antiafrikanische Blödheiten im arroganten Tonfall des Eurozentristen abzusondern, von jedem nur noch als Depp reinsten Wassers angesehen wird.

Afrika soll etwas nicht können?
Hallo?
Wieso nicht bitte?
Wir habens doch gesehen.
Alle.
Also - was willst du uns erzählen, komischer aufgeregter Mann?

Es ist also vorbei mit der Schwarzmalerei, was den schwarzen Kontinent betrifft. Wer ein logistisches komplexes Trum wie eine Fußball-WM derhebt, kann alles.

Und wer hat's immer schon gewusst und sich nie und niemals und in keiner Minute durch das Geblöke der Suderanten beeindrucken lassen? Die miefige FIFA. Und der Blatter-Sepp, die Ausgeburt der Hölle.

Jedes Gezweifel, egal ob vom kaiserlichen Firlefranz oder von sorgenvoll die Volksmeinung scheinrepräsentierenden Politiker-Parodien, hat er weggelächelt, kamerafüllend und mit größter Beharrlichkeit.

Der sture Glaube an die afrikanische WM

Sein Projekt, die afrikanische WM, das wusste der Blatter-Sepp, das wusste die FIFA, wird ein Erfolg, das wird klappen, und das wird seine Organisation zur Mutigsten der Welt machen; und es wird - quasi als Nebeneffekt - auch noch die Welt verbessern.

Denn Blatters sturer Glaube hat diese afrikanische Selbstverständlichmachung befördert. Und das war Teil des Zieles dieses Projekts.

Da ging es nicht so sehr um die Öffnung neuer ökonomischer Verbindungen - die passieren ebenso eher nebenbei von selber, wie zb die Neupositionierung von Südafrika am Kontinent (denn das Land war da jahrzehntelang nicht auf der Karte, man kannte sich nicht - und das hat sich in den letzten Tagen auch drastisch geändert). Da ging es in erster Linie um die Akteptanz südafrikanischer und in weiterer Folge afrikanischer Normalität. Und die zeigt sich nirgendwo besser als in der Organisation eines Events, den jeder weltweit kennt und somit jeder weltweit bewerten kann (zumindest glauben wir das).

Überfällige Selbstverständlichmachung

Das also ist das große Verdienst dieser FIFA WM 2010. Und, nochmal, das ist kein zufälliges Abfall-Produkt, das ist eine der zentralen Absichten dahinter.
Und der Erfolg, der das Geunke der Festung-Europa-Suderanten jetzt als den puren Schwachsinn hinstellt, der er immer schon war, ist unbezahlbar.

Das ist keine PR-Campagne, da geht es nicht um ein pures Image oder ein Produkt mit Ablaufdatum: jetzt, mit/nach dieser WM weiß jeder weltweit, dass Afrika dasselbe kann wie alle anderen auch. Und diese neue Normalität wird schon ab jetzt für eine ganz andere Betrachtungsweise dessen, was aus Afrika rüberkommt sorgen.
Und zwar in den Köpfen der Normalos, die bislang die Basis für den Krypto-Rassismus waren, der auf nix-zutrauen und Ungläubigkeit aufgebaut waren.

Danke WM, und danke Fußball dafür. (Und ja, auch danke Blatter-Sepp!)
Das war verdammt wichtig und höchst überfällig.