Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Das erotische Talent meines Vaters"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

1. 7. 2010 - 12:36

Das erotische Talent meines Vaters

In Björn Kerns neuem Roman ist die Generation 60+ immer noch auf einem Selbstfindungstrip. Stellt sich nur die Frage: So what?

Björn Kern: Das erotische Talent meines Vaters

C.H.Beck

Björn Kern: "Das erotische Talent meines Vaters" ist 2010 im Verlag C.H. Beck erschienen.

Der 23-jährige Philip aus Berlin besucht seinen 60-jährigen Vater Jakob am Bodensee. Eigentlich sollte es ihn nicht wundern, dass ihn sein alter Herr nicht vom Bahnhof abholt. Denn nachdem sich Philips Mutter recht überraschend vor zwei Jahren von Jakob getrennt hat, um gleich mit mehreren "Liebhabern der schönen Künste" neue Erfahrungen zu sammeln, hat sich der Vater ziemlich verändert. Äußerlich wirkt er zunehmend vitaler, er hat sich sogar die Haare gefärbt. Aber innerlich ist er zum sturen Trotzkopf mutiert, dessen väterliches Bewusstsein sehr zu wünschen übrig lässt.

Und da ist noch die Sache mit den Frauen. Jakob lebt wie gesagt von seiner Ehefrau Iris getrennt. Aber kein Anlass zu glauben, Jakob vereinsame deshalb: Seinen "Klagen" (!) zufolge wird er regelrecht von anderen Frauen verfolgt. Da wäre etwa Alma: unbefangen, tanzfreudig, leicht somnambul, attraktiv, erotisch und nebenbei 40 Jahre jünger. Aber da gibt es auch Karen, die pikanterweise die beste Freundin von Iris ist. Eigenen Aussagen zufolge wollen sie ja alle nur das eine, nämlich Jakob ins Bett zerren.

Die trotzköpfigen Eltern

Während in Björn Kerns Roman der Vater als Problemfall geschildert wird, sind auch Mutter und Sohn eine Erzählung wert. Mutter Iris hat nicht nur nach 30 Jahren Ehe ihren Mann verlassen, sondern stattdessen auch wilde Sex-Bekanntschaften rund um den Globus. Passendes Bindeglied zwischen Vater und Mutter ist Sohn Philip, der ein Pfleger in einer pychiatrischen Klinik ist, am liebsten die Küche putzt und den Lebensstil beider Elternteile verurteilt.

Trotzdem will er, wie wohl jedes Kind getrennter Eltern, dass sie wieder zusammenkommen. Und daher kommt ihm Iris' Wunsch ganz recht: Er soll den Vater im Auftrag der Mutter ausspionieren. Denn die hätte den Tony Curtis-Verschnitt eigentlich doch gern wieder zurück.

Tony Curtis

Tony Curtis

Tony Curtis: So könnte Vater Jakob aussehen

In Björn Kerns "Das erotische Talent meines Vaters" wird die Beziehung zwischen Eltern und Kindern auf den Kopf gestellt. Der Vater lebt einen jugendlichen und freizügigen Körperkult, die Mutter verlässt ihre Familie Hals über Kopf und reist in der Weltgeschichte herum und der Sohn ist bürgerlicher als es die Eltern je waren. Der Titel des Romans ist ein wenig irreführend: Beide Elternteile werden als unreife Teenager geschildert, die nicht in der Lage sind ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Fast schon exemplarisch ist die Vermittler-Rolle, die der Sohn zwischen den Beiden einnehmen muss. Einerseits wird er als konservativer Typ geschildert, andererseits ist er aber auch immer noch Kind genug, um die Trennung seiner Eltern zu negieren: "Sie sind nicht getrennt! Darauf bestehe ich!"

Die Lebenslügen der 68er-Generation

Nach "Marseille" und "Die Erlöser-AG" legt Björn Kern einen weiteren Roman vor, in dem er wunderbar seinen manierierten Erzählton mit der äußerlichen Umgebung verbindet. Die Familienvilla, in der der Vater seit der Trennung allein wohnt, verfällt zunehmend, ist aber gleichzeitig auch ein Setzkasten alter Erinnerungen, in dem diese verstauben, weil hier niemand einen wirklichen Neuanfang startet und die Vergangenheit aussortiert. Gleichzeitig werden damit die Ideale und Mythen der 68er-Generation als Lügen entlarvt, auch wenn sich die Protagonisten mit aller Gewalt an diese klammern.

Björn Kern

Suskia

Björn Kern

Bei allem Wortwitz und der fast schon melancholischen Tonart der in die Jahre gekommenen Väter-Generation sind die Weltbilder, die in diesem Roman geschildert werden, ein bisschen zu bürgerlich, um sie auf Dauer komisch zu finden. Ein Vater über 60, der sich die Haare färbt, ist schon lange kein Skandal mehr. Und die Mutter, die sich nach 30 Jahren Ehe dazu entschließt, aus der vorgegebenen Rolle der Mutter und Ehefrau auszubrechen, ist es genauso wenig. Und nur weil der Sohn gerne die Küche putzt, kein Bier trinkt und sich wünscht, dass seine Eltern wieder ein Paar werden, ist er deswegen nicht gleich konservativ. Anhand dieser im Roman als so schockierend dargestellten Charakterzüge stellt sich also die Frage: So what?

Mancher könnte dem Autor selbst ein solch rückständiges Familienbild unterstellen, er lässt jedoch Ich-Erzähler Philip diese Sichtweise vortragen. So humorvoll und liebevoll die Befindlichkeiten und Lebenslügen der einzelnen Charaktere geschildert sind, so sehr bleibt auch ein komischer Beigeschmack beim Lesen. Trotzdem: Kernfrage des Romans bleibt immer noch, wie man mit den Eltern im Alter umgehen soll. Vor allem, wenn sie weit davon entfernt sind Pflegefälle zu sein. Denn wie heißt es so schön bei Udo Jürgens: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.