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Susi Ondrušová

Preview / Review

30. 6. 2010 - 09:14

Arcade Fire in Helsinki

Erster Vorgeschmack auf das dritte Album "The Suburbs".

Durchhörbarkeit ist ja eigentlich ein Schimpfwort. Da rein, da raus. Kein Widerhaken, kein Umdrehen, passieren lassen ohne Widerrede. Mit "Funeral" haben Arcade Fire 2004 ein Album veröffentlicht, dem man sechs Jahre später nach dem hundertsten Mal hören noch immer etwas Neues, Frisches abgewinnen kann. Lyrisch und musikalisch erwischt es einem mit dem Aufsteh-Fuß. Ein emotionaler Marathonlauf. Das Jahrzehnt-Platz-Eins-Album für FM4. Mit dem Nachfolgealbum "Neon Bible" haben Arcade Fire dann 2007 alle Spielwiesen-Register des möglichen Hochgefahren: Studioaufnahmen in einer ehemaligen Kirche, Orgel, Orchester, orgiastische Chöre. Und natürlich: ein Konzept geliefert, das die elf Tracks thematisch zusammenhält. 2010 wird das dritte Arcade Fire Album "The Suburbs" erscheinen, der Titel gibt hier auch schon das Thema vor.

Für die anlaufenden Promoaktivitäten haben Band und Management nach Helsinki geladen. Aus der finnischen Hauptstadt - so Win & Will Butler im Interview mit NPR - erreichten die Band Konzert&Fan-Anfragen schon vor Erscheinen des Debütalbums, weiterhin erzählte Bassist Tim Kingsbury im Interview, dass die beiden befreundeten Songwriter Spencer Krug (Wolf Parade) und Dan Boeckner (Handsome Furs) seit Jahren in den höchsten Tönen von der Stadt sprechen. Letzterer macht Reisetagebücher als Alben getarnt – die Handsome Furs müssen es also wissen.

ondrusova

Nach sechs Jahren sollte es also dann endlich zu dem beidseitig lang ersehnten Kennenlernen kommen. Das in Helsinki angesetzte Konzert fand Open Air am Senatsplatz statt, als Kulisse diente der imposante Helsinki Dom, als Tribüne die Treppen zum Eingang, als Hintergrundbild eine "I Love Helsinki"-Fassade.

ondrusova

Ein Setting, das in keinem Märchen schöner sein könnte. Aber bevor ich hier weiter in einer Trockenübung Hauptsätze aneinanderschlichte, fangen wir doch von vorne an: 1. Ankunft, 2. Interview vorbereiten. Eigentlich müsste es heißen: Album anhören, ankommen, Album anhören, Interview vorbereiten, Album anhören. Aber da war doch was mit dem Internet.

Hier mal kurze Werbeunterbrechung um ein paar passende Albumabhör-Örtlichkeiten von "The Suburbs" vorzustellen:

Eine Band wie Arcade Fire kann für ein Label ein Goldesel sein. Der Grund, warum man in neue Artists investiert und sie aufbaut: weil ein Act das Label und ihre Infrastruktur überhaupt bezahlt macht. Es geht um Verkaufszahlen und darum, die Aufmerksamkeit der potentiellen Interessenten Raum- und Zeitgebunden zu lenken, auf den Moment hinzuarbeiten bei dem Musik gegen Geld getauscht wird. Leaken, ein Album darf alles außer leaken. Auch wenn das ein Wegfallen der Arbeitsgrundlage bedeutet. So wie Bleistift und Papier. Das Ladegerät des Computers in den ich diese Zeilen reinhake. Ja, es ist ein Privileg, das Album weit vor Erscheinungsdatum als physische Kopie oder digitalen Stream zu Gehör zu bekommen, nein es ist keine Eitelkeit, sich mit einem Album, an dem die Band immerhin ein Jahr gearbeitet hat, öfter als einmal auseinanderzusetzen. Um ein Gefühl für das Werk zu bekommen und vor allem auch, um einigermaßen fundiert(er) die Meinungskeule schwingen zu können. Tim Kingsbury, Arcade Fire Gitarrist/Bassist/Sänger, kann beim Interview meinen Frust zwar verstehen aber mit der Pro/Contra-Argumentefindung nicht weiter behilflich sein.

juha Kurri

Ja, Musik auf Datenträgern hat an Wert verloren, das Ereignis an dem Musik stattfindet und das Erlebnis, das mit der Musik verbunden wird, hat an Wert gewonnen. Ein begleitendes Preisschild um diesen Dschungelzustand zu entwirren, ist noch nicht gefunden. Ein Fluchtweg aus der Misere scheint für die Industrie einzig durch Kontrollmaßnamen möglich. Und um über die Verantwortung einer Band zu sprechen - die der Grundstein dieser Infrastruktur ist – ist er schlicht der falsche Ansprechpartner.

Im Sinne der Fan-Gebundenheit hat die Band den sympathischen Schritt gemacht, eine limitierte 12 Inch-Edition der ersten beiden Album-Songs "The Suburbs"/"Month Of May" an Independent Recordshops in Glasgow (wahllos) zu verschicken, um die Fans an das greifbare Gefühl zu erinnern, im Plattenladen das erste Mal über etwas gestolpert zu sein. Vielleicht sind es eben auch diese kleinen ideologischen Schritte, die man zynisch auch als Marketinggag bezeichnen könnte, mit denen man den Fan erreicht und den Glauben an haptisches Hab&Gut sanft wach küsst. Ich weiß es in dem Fall auch nicht.

Juha Kurri

Jedenfalls hab ich also das Album gehört. Alle 16 Tracks in einer Reihenfolge durch und hier ist erstmals die schlechte Nachricht: "The Suburbs" ist kein Funeral. Das ist auch gleichzeitig die gute Nachricht. "The Suburbs" ist eben nicht Zucker knapp vor dem karamellisierten Zustand. Das wäre vielleicht beim dritten Album fad. Es ist nach einmal hören aber nicht mehr als eine brave Ansammlung von lieben Songs. "It´stripped down" wie Kingsbury meint. Keine Überproduktion, straight, klassisch, rockig. Gegen Ende macht die Band es sich gar im Synthie-Garten bequem, auf zwei Tracks tobt sich Will Butler mit exzessivem Kmöpferl&Tasten-Einsatz aus. Beieindruckend in Erinnerung geblieben Track Nummer 3 "Modern Man", der perkussiv heraussticht und "Empty Room", über den mein Schummelzettel sagt: "Owen Intro/Regine vocals!!!"

Juha Kurri

Dann folgt eine Ansammlung von Songzitaten:

"Business man drink my blood."

"Like a record that is skipping and the clock keeps ticking i´m the modern man."

"Maybe when you´re older you will understand why you don´t feel right."

"Let´s go downtown and watch the modern kids"

"The build it up just to burn it down"

"First they build the road and then the town"

"This town´s so strange they build it to change."

"Some people say we´ve already lost but they´re just afraid of the cost"

"One day they´ll see it´s not done."

"Where to go and what to do"

"La la la la"

Nicht wirklich zufriedenstellend. Vor allem, wenn einen das Gefühl erschleicht, "The Suburbs" besingt Biederkeit und das auch noch mit vollem Nostalgie-Einsatz. Mal sehen also, nein, mal hören!

Das Konzert hingegen: berührend und bewegend. Fünf neue Songs in ein Best-Of Set integriert. Meine Geduld muss jetzt nur noch bis zum 30. Juli halten, wenn "The Suburbs" erscheint.