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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 6. 2010 - 21:30

WM-Journal '10-64.

Das iberische Duell: Auf "höchstem taktischen Niveau". Zum Achtelfinal-Hit Spanien vs Portugal.

Seit 1. Juni erscheint das WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel Spanien - Portugal.

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Manchmal ist es sehr einfach.
Heute etwa bekommen wir einen Klassiker vorgeführt.

Spiel 1: wegen des Drucks, den die Akteure per fester Einbildung gefühlt haben, völlig verhunzt.
In der Erkenntnis der Ergebnisfixierten sind da die "taktischen Zwänge" schuld.
Das ist zwar ein Blödsinn, aber nicht rauszukriegen aus österreichischen Schädeln, die alles, was nach Überlegung und Strategie riecht, fürchten wie der Untertan den Widerspruch.

Spiel 2: zur Halbzeit auch ein 0:0, und tatsächlich ein Aufeinandertreffen auf "höchstem taktischen Niveau".
Und selbst der Dümmste schnalzt mit der Zunge und sagt zumindest so was wie "toll, wie die mit dem Ball umgehen." Weil er nicht anders kann.

Das hat natürlich mit den großen Namen zu tun - Spanien und Portugal, das bürgt für Fußball-Kunst. Und die Vorab-Zuschreibung macht ja die halbe Rezeptions-Miete.
Es erklärt sich aber auch aus dem tatsächlich deutlich sichtbarem Patt dieser beiden Teams, die einander ganz unglaublich genau kennen.

Und dann ergibt es sich ganz von selber, ganz simpel: dieses Abendspiel eröffnet auch dem Nichts-Wisser (ein wenig Neugier und Interesse vorausgesetzt) einen Einstieg in die Fußball-Kunst.

Fußball-Kunst? Fußball-Kunst!

Und die, die Kunst, die wird durch die taktischen Leitlinien nicht behindert, sondern im Gegenteil - erst ermöglicht.
Das (artifizielle) Bild des Sauvage, des edlen Wilden, dieser Schimäre aus dem alten Luis-Trenker/Leni-Riefenstahl-Gedächtnis, das uns esoterische oder gottgebene Prädisposition einreden will, ist so platt wie der Rest dieser protofaschistischen Ideologien, die die Kraft ders rein körperlichen Heldentums beschwören wie es alle Verblöder und Blender in der Geschichte immer schon getan haben.

Mit der komplexen Erklärung der Hintergründe, die tatsächlich zu etwas allgemein ersichtlichem geführt haben, halten sich nur die großen Geschichtenerzähler (seit Homer) auf. Und die sprechen dann von nichts anderem als dem Dahinter, den Beweggründen, den Zusammenhängen und ja, genau, der "Taktik", mit der die einzelnen Player ins Spiel gegangen sind.

Bei einem großen homerischen Topos sind das eine ganze Menge Mitspieler - im Fußball sind es immer zwei Camps, die einander belauern und austricksen wollen.

Am heutigen Abend eben die iberischen Nachbarn, die eine wechselvolle gemeinsame Geschichte verbindet, die sich auch in der Sport-Strukturen niederschlägt. Natürlich kommt Portugal als der Underdog daher, natürlich ist Spanien im Selbstverständnis vorne.
Noch dazu wo das durch die Resultate der letzten beiden Jahre bestätigt wird: Europameister Spanien, so gut wie unbesiegt; das ewige Co-Favoriterl Portugal zuletzt mit Ach und Krach.
Spaniens letzten WM-Spiel gegen Chile ein Kracher - Portugals letztes WM-Spiel gegen Brasilien ein Lüfterl.

Schief ist das neue Geil

Genau so geht man rein in dieses Match.
Portugal mit viel Vorsicht und dem 4-5-1-Fächer, der auch schon gegen Brasilien ausgepackt wurde.
Und Spanien mit - wie in bisher letztlich jedem Match - einem schiefhängenden System.
Schief, das ist nämlich das neue Geil. Zumindest sechs der besten Teams dieser WM pflegen das so - dazu kommt in den nächsten Tagen ein eigener Eintrag (mit schönen Zeichnungen, damit es alle auch sehen können).

Schief heißt, dass David Villa, eigentlich Stürmer hauptsächlich an der linken Flanke hängt und von dort in die Mitte stößt. Rechts hat er keine Entsprechung - dort wirft sich aber das gesamte Spiel über Verteidiger Sergio Ramos (der heute ein Sensations-Spiel abgeliefert hat) in die freien Räume.

Vicente del Bosque muss das nicht tun, er hätte mit Silva oder Navas genug echte Flügel - er macht das absichtlich.

Xavi und vor allem Iniesta sind so nicht wirklich auf eine Seite festgelegt und können in der Zentrale machen was sie wollen - und das ist eben genau ihr Spiel.

Das wird in der 2. Hälfte noch besser, weil sich Xabi Alonso, der sich zuvor bemüht hatte die hängende Flanken-Politik auszugleichen ganz in die Defensive zurückbeordert wurde. Spaniens schiefe Angriffs-Formation war in ihrer Ungewöhnlichkeit dadurch noch unberechenbarer. Und als auch noch Fernando Llorente (warum hat man den bisher versteckt? Und: warum?) für den merklich immer noch nicht fitten und viel zu früh ins Feld geworfenen Nino Torres kommt, schlägt sich das dann auch nieder.
Die Chancen häufen sich und aus einem der Angriffe, die das Doppelkopf-Monster Xavi-Iniesta reitet entsteht das Tor von, eh klar, David Villa.

Um diesen Treffer ist die rote Furie auch tatsächlich besser.

Portugal ist nicht Chile

Apropos "auf höchstem taktischem Niveau": beim letzten Spiel gegen Brasilien wurde Portugals Linksverteidiger Coentrao in einigen Previews als linker offensiver Mittelfeld-Spieler angekündigt. War dann natürlich nicht so, vor ihm hat der heute verletzte Duda gespielt.

Nur: die Macht dieser irgendwo noch herumschwirrenden Fehlmeldung ist größer als das, was jedermann mit Augen im Kopf sehen kann. Im heutigen Match erklärte ein Kommentator allen Ernstes, dass Coentrao heute "ja wieder" links hinten spielen würde.
Eine Kettenreaktion der Fehleistungen also.

Carlos Queiroz ist ein großer Coach; und auch er hat eine Taktik für jede Lebenslage.
Warum die heutige auf wüstes Pressing und Vorsicht angelegt war, erschließt sich logisch. Warum sich aber daran nichts wirklich geändert hat als man in Rückstand geriet, ist nicht so recht nachvollziehbar.
Jeder Wechsel hatte seine Logik, aber der Umstieg auf ein 4-3-3 war in seiner Wirkung zu gering. Portugal hielt den 0:1-Rückstand mit einer strengen Viererkette und einer Dreier-Mittelfeld-Reihe davor - die drei Angreifer (ab der 72. Minute Liedson - Ronaldo - Danny) davor hingen in der Luft.

Hoffte Queiroz mit einem Zufalls-Konter auszugleichen?
Chile hätte/hat sich in einer ganz ähnlichen Situation gestellt und die Chance gesucht - Portugal stellt sich nicht, sucht nicht und kann deswegen gar nicht in die Verlegenheit auf eine Chance kommen.
Das entspricht der Mannschaft gar nicht. Irgendwas ist da also krass schiefgelaufen.

Wenn man bedenkt wie hoch für den Sieger dieses Matches die Semifinal-Chance ist, dann sind diese Minder-Bemühungen wirklich bemerkenswert.
Aber auch das mag mit den eingangs erwähnten Ängsten im Halbinsel-Duell zu tun haben.

PS:

Heute später noch eine Achtelfinal-Bilanz. Und morgen dann die Sache mit "schief". Und der Hinweis darauf, dass der Weltfußball aktuell überwiegend spanisch (und ein bissl portugiesisch) spricht, wird auch nicht fehlen.