Erstellt am: 30. 6. 2010 - 06:00 Uhr
Auf Kreuzfahrt durchs Plastikmeer
27 Grad 34 Min. Nördliche Breite/46 Grad 22 Min. westliche Länge: So lautet die aktuelle Position der SSV Corwith Cramer im Atlantischen Ozean. Drei Wochen sind vergangen, seit das Schiff von den Bermudas aus Kurs Richtung Südosten genommen hat. An Bord des Zweimasters: Ein 33-köpfiges Forschungsteam der US-Organisation Sea Education Association. Ihre Mission ist der Müllfang.
Sea Education Association
David Lawrence, Sea Education Association
Der bisher wenig beachtete Atlantische Müllteppich hat einen bekannteren, größeren Verwandten im Pazifik – der 1997 entdeckte Great Pacific Garbage Patch, dessen Fläche mit der Mitteleuropas vergleichbar ist. Seit über 22 Jahren erforschen die Teams der SEA diese Gebiete. Über 100.000 Stücke Plastik sind in dieser Zeit gesammelt und katalogisiert worden. Die bisher umfangreichste Analyse des Datenmaterials über den Great Atlantic Garbage Patch wurde Anfang dieses Jahres präsentiert.
Denn die SSV Corwith Cramer befindet sich mitten im "Great Atlantic Garbage Patch" – ein mehrere tausend Quadratkilometer großer Müllteppich, der im nordatlantischen Wirbel zwischen den Bermudas und den Azoren treibt. Über seine tatsächliche Ausdehnung sind sich Forscher jedoch noch im Unklaren. Die Expedition der SEA soll nun darüber Aufschluss geben. Forschungsleiterin Kara Lavender Law erklärt: "This cruise is the first federally funded cruise in the US that is specifically looking at this question. It is a fairly narrow band in latitude, but we're not sure how far it extends to the East. And even if we manage to map that region, there is no saying that this boundary is going to be there in the future, because the ocean currents are constantly shifting."
Die Müllsuppe besteht zum Großteil aus Plastikresten – an manchen Stellen in der Region sind es über 200.000 Stück pro Quadratkilometer. Davon stammt nur ein kleiner Teil von der Abfallentsorgung der Schifffahrt, das Meiste wird von Mülldeponien aufs offene Meer hinausgeweht. Dort treiben die Müllreste dann nicht nur an der Oberfläche, sondern werden durch hohen Wellengang oft bis zu 20 Meter in die Tiefe getragen.
Plastik in Sicht
Mehrmals täglich wirft die hauptsächlich aus Studenten bestehende Crew auf ihrer Trash-Exkursion feinmaschige Netze aus um nach Abfall zu fischen. Anschließend wird die Beute eingeholt und untersucht. Von Autoreifen und Fischfanggeräten bis zu Schuhen, Zahnbürsten und Einkaufswägen wurde schon so ziemlich alles zu Tage befördert. Doch großteils setzt sich das Plastikmeer aus viel winzigeren Stücken zusammen. "What we are finding are pieces that are typically smaller than a pencil eraser – very very small fragments of plastic", erklärt Kara Lavender Law.
Sea Education Association
Viele der Plastikstücke sind mit freiem Auge gar nicht sichtbar – was auch ein Aufsammeln des Mülls unmöglich macht. Fatal für Fische, denn die halten die mikroskopisch kleinen Plastikteilchen für Plankton – und somit für Nahrung. Neben Delfinen und Walen, die sich häufig in alten Fischernetzen verfangen, zählen vor allem auch Meeresschildkröten und Seevögel zu den Opfern des Müllstrudels. Albatros-Junge etwa, die von ihren Eltern mit den vermeintlich essbaren Plastikstücken gefüttert wurden, sterben mit vollen Mägen den Hungertod.
David Lawrence, Sea Education Association
Sea Education Association
Die Müllteppiche entstehen durch Strömungen, die die Plastikpartikel zusammentragen. Der "Great Atlantic Garbage Patch" befindet sich im nordatlantischen Wirbel (auch Sargasso See genannt), beim "Great Pacific Garbage Patch" ist der nordpazifische Wirbel für die Akkumulation des Plastiks verantwortlich. Insgesamt gibt es fünf vergleichbar große Wirbel in den Ozeanen, wobei jene in der südlichen Hemisphäre bisher noch nicht auf ihren Müllgehalt untersucht wurden. Da die Südhalbkugel jedoch weniger bevölkert ist, wird vermutet, dass sich dort auch weniger Müll ansammelt.
Wie man's hineinwirft, so kommt es heraus
Das Plastikmeer hat natürlich noch weitere Auswirkungen auf das marine Ökosystem: Es fördert auch die Verbreitung invasiver Arten, die sich über lange Distanzen an den Müllteppich anheften und so in andere Regionen treiben. Und dann wären da noch die im Plastik enthaltenen Schadstoffe, die sich freisetzen und potenziell die chemische Zusammensetzung des Ozeans verändern können.
Nicht abwegig ist da die Vermutung, dass unser eigener, längst aus der Existenz gedachter Müll über die Nahrungskette letztlich wieder auf unserem Teller landet. Kara Lavender Law dazu: "The impact on human health is very unclear at this point. We don't know if those toxins accumulate and get passed up the food chain or not."
Zwar ist die SEA nicht die einzige Organisation, die mit ihren Teams die Plastikmeere im Atlantik und Pazifik erforscht und auf die Problematik aufmerksam machen will. In der internationalen Umweltpolitik nimmt unser "plastic footprint" in den Weltmeeren jedoch nach wie vor keine prominente Rolle ein: "There is an international marine debris conference that will be held in Hawaii and there are folks thinking about this internationally, but I wouldn’t say that there is a masterplan or any agency that has tried to put together a plan to try to tackle this", meint Kara Lavender Law.
Leslie Peate, Sea Education Association
Andere Müll-Expeditionen in den Weltmeeren:
Selbst wenn man wollte, wäre die Reinigung der Meere von der Müllsuppe ein aussichtsloses Unterfangen. Was also tun, um den schon angerichteten Schaden nicht noch weiter zu vergrößern? "We have to limit the amount of disposible plastic items that we use and stop putting it into the ocean", lautet Kara Lavender Laws simple Antwort. Bis dies passiert, wird sie mit ihren Teams aber wohl noch viele weitere Exkursionen in die schwimmende Müllkippe unternehmen.
Zwei weitere Wochen und 1095 Seemeilen im Plastikmeer stehen der Crew der SSV Corwith Cramer noch bevor. Tägliche Updates dazu gibt es auf der Website der SEA-Forschungsexpedition. Mehr über den Great Atlantic Garbage Patch könnt ihr auch heute Nachmittag in FM4 Connected (15-19) hören.