Erstellt am: 28. 6. 2010 - 11:00 Uhr
Kleine Euphorieschübe
Ist mir schon klar, dass die meisten von euch momentan etwas ganz anderes im Kopf haben, als neue Filme oder obskure Bands.
Und weil auch unter meinen Freunden derzeit für mich völlig obskur klingende Spiele-Analysen die Runde machen, störe ich nur kurz das Vuvuzela-Getröte mit ein paar kleinen Euphorieschüben persönlicher Natur.
Vielversprechend finde ich es etwa, wenn ich lese, dass Mr. David Sitek of TV On The Radio-fame ein Projekt namens Maximum Balloon gegründet hat, in dem er seine Vorliebe für bombastische Radiohits der 80er und 90er Jahre ausleben will. Genau, der sagenumwobene strenge Hohepriester des Artrock begibt sich lustvoll in die Zone der niederen Instinkte.
Beeinflusst von Middle-Of-The-Road-Pop, wobei Sitek neben Cyndi Lauper und Mike & The Mechanics sogar dezidiert von Akkordfolgen in Bon-Jovi-Songs schwärmt, plant er eine Exkursion ins Reich der großen und ruhig auch mal käsig klingenden Emotionen. Rekrutiert hat er dazu unter anderem die wunderbare Karen O und den TVOTR-Vokalakrobaten Tunde Adepimpe. Klingt nach spannender Kollision.
Ich mag es ja immer, wenn hermetische Avantgarde-Grenzen porös werden und durch die Löcher das Billige, Schundige oder Schwülstige eindringt.
Wenn zum Beispiel misanthropisch angehauchter Industrial-Krach von einem Pathos überschwemmt wird, das an überbordenden Synthetik-Pop erinnert und stellenweise sogar an Schlager-Hymnen. Und wenn irgendwann der glückseligmachende Kitsch den Lärm ganz verdrängt.
Siehe das Schaffen der 20-jährigen Nika Roza Danilova, die aus den puritanischen Hinterwäldler-Zonen Amerikas stammt und unter dem tollen Namen Zola Jesus zum Blog-Darling wurde. "Kenn ich schon lange", schrieb mir Kollege Fritz Ostermayer zurück, als ich ihm meine aktuelle Begeisterung für die junge Dame mitteilte, "wird im Sumpf auf und ab gespielt."
Allen Uneingeweihten sei gesagt, dass Zola Jesus die gesamte Geschichte des weiblichen Düstersongs, von Siouxsie Sioux über Cocteau Twins bis, huch, Soap & Skin, in ergreifend schönen Stücken kompiliert, die vor allem eines sind: catchy.
Völlig frei von jeder Angst vor Klischees - da ist von Trockeneis über Latexkostüme bis zu Oden an die Nacht alles drin - schafft es Nika trotzdem, was vielen dämlichen deutschen Wave- und Grufticombos seit zwei Dekaden nicht gelingt. Sie geht mit ihrem sinistren Themenpark lässig und souverän um und berührt auf eine Weise, wie einen ein alter Soft-Cell- oder Kim-Wilde-Klassiker bei frühmorgendlichen Taxifahrten zum Heulen bringen kann.
Apropos Musik und Heulen. Ich erinnere mich noch an meinen Erstkontakt mit einem Song namens "Kids" via Youtube. Ich hab das damals einen ganzen Nachmittag lang auf und ab gehört, nachdem ich den Vormittag mit "Time To Pretend" verbracht hatte. Und ich wollte mir, obwohl dem entsprechenden Alter lange entwachsen, mit einem Messer "MGMT" ins Fleisch ritzen, so gut fand ich das.
Heute, wo "Kids" mit ziemlicher Sicherheit der Soundtrack von Matura-Eventreisen in türkische Ferienparadiese geworden ist, habe ich ein bisschen Abstand gewonnen. Auch dass mir bei meinem DJ-Hobby öfter mal BWL-Studenten "Das ist die Musik unserer Generation!" ins Gesicht brüllen, wenn sie besagten Indie-Evergreen fordern, ließ meine Begeisterung abkühlen.
Vor allem nervte mich aber der Umgang von MGMT selbst mit ihrem Talent. Anstatt die Welt mit weiteren Bubblegum-Electro-Hymnen zu unterwandern, die den Zynismus von Bret Easton Ellis mit heroinartigen Ohrwurm-Qualitäten verbinden, zogen sie sich in die Künstlerklause zurück. Manieristische Sixties-Feinschmecker-Psychedelik sollen andere Bands fabrizieren, von den beiden brauch ich das nicht.
Glücklicherweise gibt es zwei andere Ami-Buben, die dort weitermachen, wo MGMT aufgehört haben. Als mich "Ultra Violence & Beethoven" von Baby Monster mit seinem Sägezahn-Bass, dem Falsett-Gesang und den textlichen Clockwork-Orange-Referenzen das erste Mal überrollte, wusste ich: Ich werde heuer kaum mehr einen Song so lieben.
Baby Monster haben angeblich noch kein Label, aber ich kann mir vorstellen, dass sich A&R-Manager blutige Kriege um dieses Duo liefern. Auf meinem privaten Festival of Dreams sind sie jedenfalls mit Cut Copy, den Midnight Juggernauts und Hurts der Co-Headliner.
Dieses ganz spezielle Gänsehaut-Gefühl, das die ganze hier erwähnte Musik zumindest beim Schreiber dieser Zeilen evoziert, sucht man leider im Kino derzeit vergeblich. Aber es ist ein (Projektions-)Licht am Ende des Tunnels in Sicht.
Ende August haben mit "Splice" und "Get Him To The Greek" jetzt doch zwei Filme einen Starttermin bekommen, die zu den Highlights in diesem Jahr zählen. Über letzteren Streifen, die wahnwitzig komische Rock'n'Roll-Hommage aus dem Umfeld von Judd Apatow, habe ich an dieser Stelle schon geschwärmt.
Mitreißend ist aber auch der Genmanipulationsthriller des Genrespezialisten Vincenzo Natali ("Cube"), mit Adrian Brody und der famosen Sarah Polley als hippem Wissenschafterpärchen auf Abwegen. Mit seinem sexuellen und psychologischen Subtext, herrlich monströsen Effekten und provokanten Fragestellungen sollte "Splice" den Preis für die beste David-Cronenberg-Hommage erhalten.
Der atemberaubendste Beitrag zum Genrekino in diesem Jahr dürfte aber vom fantastischen Christopher Nolan kommen. Etliche Male habe ich mir den Trailer zum Ausnahme-Blockbuster "Inception" schon angesehen, immer wieder ruft alleine die Filmmusik von Hans Zimmer ein kribbeliges Gefühl hervor.
Mit seiner Geschichte einer Gruppe von Traumdieben, die sich ins Unterbewusstsein reicher, erpressbarer Leute einklinken, könnte Nolan Maßstäbe setzen, die sein eigenes Meisterwerk "The Dark Knight" übertreffen. Von der ausnahmslos umwerfenden Besetzung über die irren CGI-Innovationen, die der Trailer andeutet, bis hin zum bloßen Mut, in Nummer-Sicher-Zeiten auf eine ganz neue, frische und andersartige Geschichte zu setzen: Christopher Nolan is my man.
Warner Bros
Freuen tu ich mich auch auf die Import-DVD des neuen Films von Philip Ridley, die in einigen Tagen in der Post sein dürfte. Wer diesen Namen noch nie gehört hat, braucht sich nicht wundern. Ridley, ein britischer Bühnen- und Buch-Autor, gehört zu jenen faszinierenden Regisseuren der Gegenwart, deren Werke leider in der Versenkung verschwunden sind.
Mit seinen nur schwer erhältlichen Streifen "The Reflecting Skin" (Schrei in der Stille, 1990) und "The Passion of Darkly Noon" (1995) eroberte sich der Brite einen Platz neben David Lynch als Schöpfer surreal angehauchter Psychostudien. Obwohl Stars wie Viggo Mortensen oder Ashley Judd in Ridleys Werken mitspielten, floppten sie gewaltig.
"Heartless" heißt nun das Comeback des unterschätzen Filmemachers nach fünfzehn Jahren Drehpause. Nachdem Ridleys bisherige Filme in sonnenverbrannten Kornfeldern und schattigen Wäldern spielten, hat er sich nun der Großstadt zugewandt.
"Heartless" verspricht eine urbane Apokalypse im London der Gegenwart, wo ein junger Außenseiter gegen Dämonen antritt. Wenn man bestimmten Kritiken vertrauen darf, ist Philip Ridley ein rabenschwarzer Mix aus Horror, Fantasy und Sozialdrama gelungen.
Weil wir gerade bei rabenschwarzen Filmen aus Großbritannien sind: Kaum Hoffungsschimmer finden sich auch in einer auch bei uns erschienenen DVD-Box, die sich auf die Spuren des kompromisslosen Autors David Peace begibt.
Aber das betrifft nur den Inhalt der "Red Riding Trilogy", in der sich diverse Cops und Journalisten im Yorkshire der siebziger und frühen achtziger Jahre mit grässlichen Mordfällen beschäftigen müssen. Denn gleichzeitig lassen einen diese britischen TV-Produktionen wieder an die Möglichkeit gelungener Literaturverfilmungen glauben.
Virtuos von einem Ensemble britischer Charakterdarsteller gespielt, durchzogen von einer beklemmenden Atmosphäre und stimmigen Bildern, die eigentlich auf die große Leinwand gehören, entfalten die Adaptionen der Romane "1974", "1980" und "1983" einen hypnotischen Strudel. Bessere Streifen zum abgedroschenen Thema "Serienkiller" hab ich seit David Finchers "Zodiac" nicht mehr gesehen.
So, ich danke für die Aufmerksamkeit und möchte das aktuelle Matchgeschehen jetzt nicht länger stören. Viel Vergnügen mit der mir fremden und seltsamen Welt des Sports, ich wende mich jetzt dem ungelesenen Stapel von Filmzeitschriften zu, der sich bei mir angestaut hat.