Erstellt am: 26. 6. 2010 - 21:26 Uhr
WM-Journal '10-57.
Seit 1. Juni erscheint das WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit (meist) einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.
Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.
Die Fakten zum Spiel USA - Ghana 1:2 nV.
Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen. Inoffizielles: die Ligen-Verteilung der WM-Starter.
Preview auf Sonntag.
Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika.
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Während es bislang eindeutig eine südamerikanische WM ist, hatte der gastgebende Kontinent wenig zu lachen.
Die Großen (Nigeria, Kamerun, Cote d'Ivoire) von inneren Problemen und zuviel übertriebener Star-Power zerfressen, der Gastgeber an seiner überhöhten Erwartung und dem zu schwachen Personal, Algerien an geringer Risikonahme gescheitert - es bleibt alles an Ghana, der deutlich besten afrikanische Mannschaft unserer Tage (U20-Weltmeister, Afrika-Cup-Finalist) hängen.
Im Gegensatz zu dem, was Südamerika aktuell so stark macht (a: die geringer werdende Kluft zwischen heimischen und den "großen" Ligen. b: einer längerfristigen Philosophie, die System und Taktik bestimmt) knabbert der Fußball der afrikanischen Nationalteams noch an akuten Problemen. Ihre Ligen sind (noch) zu schwach; und Philosophien und Systeme werden noch allzu kurzfristig reingeholt und implementiert - Verbände und Stars, die europäischen Coaches, die wissen, dass sie keine Zeit haben, reinquatschen: das kann nix werden.
Ghana hat Milovan Rajevac, den Serben, schon ein kleines bisschen länger als die anderen großen Nationen. Aber: warum nicht der einheimische Sellas Tetteh, mit dem die U20 Weltmeister wurde, den Job übernehmen darf?
Sind Europäer soviel besser?
Diese WM erzählt eine andere Geschichte.
Immerhin: da die gefährliche Mischung, die Rajevac auch auf Geheiß des Verbandes für diesen WM-Kader vorgenommen hat (sowohl die alten Recken als auch die jungen, die U20-Weltmeister, als auch den neu eingebürgerten, Boateng) nicht explodiert ist, sondern funktioniert hat, steht Ghana dann auch völlig zurecht in der 2. Runde.
Als Einzige im Achtelfinale
Die Rajevac-Mischung hat sich über die drei bisherigen Partien aber recht gut eingespielt.
Und heute wird es noch besser.
Rajevac kann mit seinen bisherigen rechten Flügeln (Tagoe, Muntari) nicht zufrieden sein. Und so stellt er den eigentlichen Rechtsverteidiger, das Supertalent Inkoom, dorthin.
Eine tolle Idee, denn Inkoom muss einfach spielen - und an Paintsil kommt er nicht vorbei; warum also nicht beide, als Flügelpaar.
Dazu haben Annan, Kevin-Prince Boateng und Asamoah im Zentrum eindlich ihre ideale Rollenverteilung gefunden. Der kleine Annan sperrt den Rückraum, dem Prinzen gehört das linke Halbfeld, auf dem darf er auch marschieren, und Asamoah gehört die rechte Seite und auch die Offensiv-Zentrale, wenn sich Solostürmer Gyan fallen läßt.
Andre Ayew, der Kapitän der U20, Abedi Pele wie aus dem Gesicht gerissen, bleibt heute stur auf der linken Flanke und tut den Amerikanern das eine ums anderemal weh.
Dass Jonathan Mensah, der 19jährige Risik-Boy, weiter Innenverteidiger neben Kapitän John Mensah (no relation) spielen darf, ist ebenso eine mutige Entscheidung. Und weil auch Hans Sarpei, der Deutsche hinten links und Richard Kingson, der Tormann, heute eine gute Leistung bieten, führt Ghana vollständig verdient.
Da ist mehr Witz, mehr Spielverständnis, mehr Variationsbreite.
Das US-Team, ich wiederhole mich da bewußt, hat in den bisherigen spielen bereits seinen Leistungs-Höchststand erreicht. Ihre doppelte Viererkette steht erstklassig. Aber: mehr ist da an spielerischer Substanz nicht vorhanden - was kein Vorwurf ist; das Achtelfinale ist verdient, aber zu mehr reicht es eigentlich nicht.
Und nachdem auch das Glück (Tor in der Nachspielzeit gegen Algerien) ausgereizt ist, glaube ich nicht mehr an ein Comeback. Da kann Bill Clinton die Hymne noch so schön mitsingen.
Risiko, was?
Sich zur Halbzeit schon festlegen - im Wissen, dass Bob Bradleys US-Team in etwa so viele Leben hat wie Arnold in Terminator 1... Aber wie soll ich anders, wenn ich mir sicher bin?
Ja, die USA haben mit ihrer Umstellung auf ein 4-2-3-1, wie schon im 2. Spiel gegen Slowenien, auch nach Rückstand, einiges aufgewirbelt. Wie sich dann Dempsey, Donovan und Feilhaber, der Neue, 25 Minuten lang ins Match reingespielt haben - aller Ehren wert.
Aber, ein letztesmal noch: die waren am Limit. Und mehr als 100% (und glaubt mir, die Werbe-Fuzzis, die euch einreden wollen, dass es mehr als 100% gibt, die lügen) geht eben nicht.
Weshalb das Pendel dann auch wieder umschlug. Ghana bekam die zweite Luft und war gegen Ende der regulären Spielzeit wieder das Team, das es im Griff hatte.
Da können die auf "white supremacy" gepolten "Experten", bei denen immer ein leiser, aber umso widerlicherer Unterton der Verächtlichkeit, des Patronizings mitschwingt, wenn sie über afrikanische Fußballer sprechen, ihre Klischees noch so redundant vor sich hinblöken.
Dabei hat es Rajevac diesen Krypto-Rassisten leicht gemacht: als er den halbinvaliden Appiah für den verletzten Kevin P. Boateng gebracht hat, opferte er dafür seinen universellsten Spieler, nämlich Kwadwo Asamoah (von Udinese) und schob ihn neben Annan ins defensive Mittelfeld.
Es bedurfte einer Einzelleistung von Asamoah Gyan, dem körperlich vielleicht stärksten Angreifer des Turniers, der sich trotz Foulversuche gleich zweier Gegenspieler durchsetzte und schon zu Beginn der Verlängerung die Entscheidung herbeiführte.
Da kam der US-Terminator dann nämlich endgültig nicht mehr zurück.
An der afrikanischen Krise ändert das nichts
Wobei es sich da ausschließlich um eine Krise der afrikanischen Nationalmannschaften handelt, nicht um eine der Spieler, die sich in Europa tummeln - die sind besser denn je.
Aber dazu gibts ohnehin mehr hier zu lesen.
Ghanas Erfolg (als drittes Team des Kontinents je und überhaupt ein WM-Viertelfinal erreicht zu haben) wird darüber nicht hinwegblenden. Zumal die problematischen Strukturen in Verbänden, Ligen, halblegalen Verschub- und Dock-Stationen von Spielermaterial ins verheißungsvolle Europa, Zwischen- und Menschenhändel, Star-Hörigkeit, Regierungs-Einmischung, politische Instrumentalisierung (so wie aktuell in Frankreich, nur halt als Dauerzustand) durch diesen Erfolg nicht verschwinden.
Da hülfe nur mehr Vertrauen in eigene Kräfte und eigene Fußball-Philosophien, wie es seit immer die Europäer und seit kurzem wieder verstärkt vor allem die Südamerikaner pflegen.
Erst wenn die einheimischen Coaches, die die großenm Erfolge der afrikanischen Nachwuchs-Teams einfahren auch die Nationalmannschaften trainieren dürfen (und zwar länger als die dort sonst üblichen paar Monate) anstatt dass man abgetakelte Bertivogts herankarrt - erst dann wird sich da was zum Positiven ändern.