Erstellt am: 26. 6. 2010 - 18:22 Uhr
Tage der deutschsprachigen Literatur, Samstag
Wie das Bildchen nebenan beweist, ist die Rahmenprogramm-Lesung mit Annina Schmid gestern Abend auch gut über die Bühne gegangen, aber da ich dabei ja auch beteiligt war, kann ich mich schlecht selbst loben. Darum überspringen wir diesen Teil (und einige danach) in der Berichterstattung und kommen gleich zu den Lesungen von heute.
martin fritz
Peter Wawerzinek (übrigens mit Aphex Twin-Zitat im Vorstellfilmchen) las eigenartig, stockend und irgendwie aber doch charmant einen für Hubert Winkels zu heterogenen Text über ein sprachloses Waisenkind in einem DDR-Kinderheim. Der Rest der Jury war größtenteils begeistert und mittlerweile wird Wawerzinek in der allgemeinen Tratschbörse neben Aleks Scholz und Dorothee Elmiger als Favorit für den Hauptpreis gehandelt. Was ich davon halten soll, ist mir nicht ganz klar - einerseits vermittelte Wawerzinek durchaus glaubwürdig den Eindruck, etwas Wichtiges zu sagen zu haben, andererseits ist zu der von Meike Feßmann auf Karin Fleischanderls Einklagen von "Feuer" festgestellte "Authentizität" dann auch wieder nur zu sagen: So will ich's doch nicht haben (siehe Deep Purple im Vorstellfilmchen). Es fällt mir soundso nach den ganzen Diskussionen langsam immer schwerer, eine Meinung zu jedem einzelnen Text zu haben, lieber hätte ich jeweils zwei bis drei. Wie dem auch sei, bestes Wort war ganz klar: "Im Prinzip ja aber" und Sonderpreis für den schönsten Verleser geht an: "höre meine Gedanken knacken" statt "höre meine Gelenke knacken".
Der Preis für die meiste und beste Tiernamen-Nennung gebührt fraglos Iris Schmidt: Siebenschläfer und Haselmaus in einem Satz, was will man mehr (zudem gutes Wort: "Papierkrempe").
martin fritz
Und wenn wir schon bei Preisen sind: Rote-Socken-Spezialpreis geht an Christian Fries, dessen Vortrag für meinen Geschmack zu viel von allem war - der Text selbst hingegen hat mich schon mit der Schilderung des Nicht-Entstehens einer vergleichenden Studie zu Nietzsche und Wilhelm Reich gekriegt und wenn das Publikum bei der Publikumspreisabstimmung nach dem Saalpublikum geht, muss sich Fries keine Sorgen um den Publikumspreis machen.
martin fritz
Verena Rossbachers Vortrag und Text polarisierte, denn das Spiel mit laut/leise, schnell/langsam und mit dem Kopf vor und zurück ist nunmal gewöhnungsbedürftig. Inhaltlich ging es im Grund um die Widerlegung der im Text aufgestellten Behauptung, man dürfe "nicht in den Kategorien alles verwursten [endlich wieder Wurst!] und miteinander fruchtbar machen". Ich mag ja solche nicht-linearen, lyrischen Prosa-Texte generell sehr gerne, unter anderem, weil sie es durchaus verzeihen, wenn man mal ein paar Seiten aussteigt und dann einige Seiten später wieder in den Textstrom einsteigt. Aber kein Verständnis gibt es dafür, dass im Text ein Eichhörnchen zu Tode gehackt wird. Die bizarrste Metapher eines Jury-Mitglieds während des gesamten Wettbewerbs brachte Hubert Winkels hervor, für den Rossbachers Texte "träufelnde Sex-Worte ins Ohr"“ waren. Da halte ich persönlich es dann wieder mehr mit Blumfeld: "Lass uns nicht von Sex reden".
martin fritz
Klagenfurt-Nachlese
Das Bachmannpreisträger Peter Wawerzinek, Katja Lange-Müller, Norbert Niemann und Peter Glaser werden gemeinsam versuchen eine Antwort darauf zu finden, was diesen Bewerb ausmacht und aus ihren Texten lesen.
Moderation: Hubert Winkels (Jurymitglied Tage der deutschsprachigen Literatur)
RadioKulturhaus, 28. Juni, 19.30 Uhr
alle Texte zum Nachlesen
Überhaupt schraubten sich die Jurymitglieder (die sich ja ihrerseits gegenüber dem Publikum profilieren müssen, also keineswegs an der Spitze der Machtpyramide des Gesellschaftsspiels Bachmannpreis sind) heute mehr als gestern gegenseitig in unsinnige Abwege (etwa die unvermeidliche Humor-Debatte anlässlich von Fries) oder ein Disput darum, was eine Katachrese ausmache. Karin Fleischanderl versuchte sogar zum Schluss einen Streit mit Burkhart Spinnen anzubandeln (es ging bis zur Diskussion der schwurbligen These, ob Frau/Mann-Verhältnisse und österreichischer Tonfall miteinander zu tun hätten), der jedoch an der immer stärker hervortretenden Spinnenhaftigkeit des Spinnen ("die beste, die man kriegen kann!", Zitat Tex) scheiterte.
Was heuer fehlte war die Einlage (Papieressen o.ä.), ob dieses Fehlen besonders zu betrauern ist, darüber ließe sich trefflich streiten, wie sich auch trefflich resümieren ließe, wie das durchschnittliche Niveau der Texte war (eine Frage, die hier auch gern und viel diskutiert wird, ohne zu fragen, wie aussagekräftig ihre Antwort eigentlich ist), aber das muss bis morgen nach der Entscheidung warten, jetzt geht’s los zum ZIA Schwimmwettbewerb.