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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 6. 2010 - 17:49

WM-Journal '10-56.

Warum Südamerika? Zum Achtelfinale Uruguay gegen Südkorea; und zur lateinamerikanischen Dominanz.

Seit 1. Juni erscheint das WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit (meist) einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel Uruguay - Südkorea 2:1.

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Preview zu USA - Ghana und auf Sonntag.

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Es wird einiges an orakelnden Erklärungs-Versuchen und klischeedurchzogenen Begründungen herbeigezerrt in den letzten Tagen in den heimischen Mainstream-Medien, um die unerwartete Überlegenheit der Nationalmannschaften aus Südamerika zu erklären.

Alle fünf Vertreter des südamerikanischen Kontinentalverbands Conmebol sind weiter, vier haben ihre Vorrunden-Gruppe auch gewonnen; 10 Siege, 4 Remis nur eine Niederlage (und die gegen Spanien).
Argentinien sieht weltmeisterlich aus, Brasilien noch nicht, aber denen traut man alles zu, Chile hat begeistert, Paraguay überrascht und Uruguay raunt man sich mittlerweile als Geheim-Favorit zu.

Während Europa solala abschneidet, Afrika - aus hier bereits oftmals ausgeführten Gründen - ordentlich absackt und Asien ein bissl mitschwimmt, schlagen sich die beiden Ordnungs-Mächte aus Nord/Mittelamerika (USA und Mexico) durchaus anständig und übertreffen die Erwartungen bereits.
Und Südamerikas Vertreter schlagen dann eben alles und (fast) alle.

Das südamerikanische Comeback

Dafür gibt es einige strukturelle Gründe. Das globale Fußball-Business hat sich eingespielt, praktisch jeder gute Spieler jedes Landes kann in jeder anderen Liga spielen.
Und damit sind auch die in den 80er, 90er und 00er-Jahren etgwas ausgedünnten lateinamerikanischen Ligen wieder näher dran an der Weltspitze. Das kommt den mittleren Nationen entgegen - es muss nicht mehr jedes Talent nach Europa gehen, die großen Nachbarn Brasilien oder Argentinien tuns auch, ja selbst von Chile, Ecuador oder Mexico kann man sich in die jeweilige Landesauwahl spielen. Und der Grundstock an Superstars, der in den großen europäischen Ligen spielt, macht dann den entscheidenden Unterschied.

Auf diese Weise haben sich die Nationalmannschaften von eben Uruguay, Chile und Paraguay in den letzten Jahren wieder freigespielt - die Kluft zwischen der Heimat und dem Ausland ist nicht mehr so groß. Dementsprechend selbstbewusster gehen die Einzelspieler dieser Nationen ins Turnier.
Das hat auch damit zu tun, dass sich Argentinien in der WM-Quali mehr als schwer tat, dass Chile und Paraguay lange vor ihnen rangierten und Uruguay sogar eine Art Entscheidungsspiel gegen den großen Nachbarn zustande brachte.
Und weil auch der andere Riese, Brasilien, in der Qualifikation der Südamerika-Gruppe (wo alle neun gegeneinander spielen) nicht so gut aussah, wuchs das Selbstvertrauen umso stärker.

Dazu noch die Dynamik des WM-Turniers und fertig ist eine Entwicklung.

Die südamerikanische System-Analyse

Ein weiterer wichtiger Grund: alle südamerikanischen Teams sind von System und Taktik her ausgesprochen geschickt und clever aufgestellt, verfügen über zumindest zwei, wenn nicht drei jederzeit abrufbare Varianten.

Brasiliens 1er-Panier (mit Kaka und Robinho hinter der einzigen Spitze) ist jederzeit (mit Nilmar) in ein 4-4-2 morohbar.
Argentinien kann sein 4-4-2 scheinbar endlos variieren (rund um Messi), aber auch mit einer defacto-Dreier-Abwehr spielen.
Paraguay kann von 4-4-2 lässig auf 4-3-3 switchen.
Und Marcelo Bielsas unglaubliches und unpackbar riskantes 3-3-1-3 oder 3-3-2-2 biegt und wiegt sich sowieso wie ein Weidenkorb auf den Nilwellen.

Das hat alles Stil und riecht nach jeder Menge Philosophie und Überlegung.

Vor allem auch beim ersten Weltmeister der Fußball-Geschichte. Uruguay hat es im ersten Spiel mit einem 3-4-3 probiert, war nicht zufrieden und überzeugt seither mit einem ganz famos flexiblen 4-3-3.

Dabei fällt in der Abwehr Rechtsverteidiger Maxi Pereira eine offensivere Rolle zu als Fucile links. Und im Mittelfeld hängt Diego Perez halbrechts deutlich weiter hinten als Alvaro Pereira links, der fast einen Flügel gibt.
Der Dreier-Angriff hängt auch schief, ergänzt aber die anderen schiefen Formationen ideal: Cavani, der rechts spielt, sorgt sich auch um die Defensive. Forlan als zentraler Freigeist spielt den 10er mit Tordrang und Luis Suarez ist ein Mittelstürmer mit leichtem Linksdrall.

Zum heutigen Achtelfinale:

Das ist brillant durchdacht und auf die individuellen Fertigkeiten abgestimmt - und überragt das ebenso gut erdachte, aber vergleichsweise doch statische südkoreanische 4-4-1-1.

Das wäre zwar auch ein System, von den ich als regelmäßiger Zuschauer österreichischer Strategie-Fertigkeiten nur träumen kann - vor allem die exzellent abgestimmte Abwehr, das klug arrangierte Mittelfeld, die Rochaden zwischen Park (ManU) und Lee (Bolton), das ist alles großartig - aber gegen das fluide Uru-System ist derlei einfach unterlegen.

Uruguay erreicht damit erstmals seit 1970 (!) ein Viertelfinale. Damals kam man sogar in die Top 4 - und genau an dieser WM hängt eine frühe Kindheitserinnerung von mir, anhand derer ich Uruguay wohl immer noch bewerte.

Klar war es knapp in diesem Achtelfinale - aber allein die Tatsache, dass dieser Text direkt zum Schlusspfiff online geht, soll zeigen, dass es für mich im gesamten Spiel keinen Zweifel gegeben hat, wer da aufsteigt.
Nie.

Da konnte auch der zwischenzeitliche Ausgleich, der - durchaus problematische - Rückfall der Himmelblauen und die Druckphase der Koreaner nichts dran ändern.
Als es nötig war, wieder Power zu machen, haben Forlan, Suarez, Cavani und ihre Assistenten wieder Tempo angezogen und ihr Tor gemacht.

Und die aktuelle Überlegenheit der Südamerikaner eindrucksvoll bestätigt.
Gerade weil das scheinbar knapp/eng war. Und gerade weil es dann doch so leicht ging, das Spiel wieder zu drehen.
Mit der philosophischen Überlegenheit dahinter ist das keine Hexerei.