Erstellt am: 25. 6. 2010 - 22:05 Uhr
Tage der deutschsprachigen Literatur, Freitag
Es war ein so unterhaltsamer wie anstrengender Lesungs-Tag im ORF Studio. Da an die wissenschaftliche Präzision, Vollständigkeit und Neutralität der automatischen Literaturkritik sowieso sonst niemand rankommt, fasse ich im Folgenden mit purer Subjektivität und Willkür kurz zusammen, was mir am Wichtigsten war.
Martin Fritz
Weil schaaaf das frug: Max Scharnigg las mit roten Socken und kam damit beziehungsweise mit seinem Treppentext im Pressecafé recht gut an. Den Tagessieg für die besten Anziehsachen teilen sich Thomas Ballhausen (dessen Text übrigens gewohnt verkopft war, und nein, "verkopft" ist kein schlechtes Attribut) und Aleks Scholz, ersterer mit tadellosem schwarzen Anzug, letzterer mit einem Pferd auf dem T-Shirt. Denn Tiere geben immer Pluspunkte, die Scholz aber gar nicht gebraucht hat, denn sein Text war so oder so der Höhepunkt des heutigen Tages. Der Text "Google Earth" macht sich die Erzählperspektive seines Titels zu eigen und spricht mit der selben eleganten (und ja: witzigen) wissenschaftlichen Präzision von den zwei kauzigen Schrebergärtnern Trampe und Liebke, Gletschermuränen, Schweinegeräuschen und Mettwürsten. Hubert Winkels ließ sich davon sogar zu dem Gedanken hinreißen, man müsse Scholz den Büchner- und Nobelpreis auch noch verleihen, wenn die Geschichte gezeigt haben würde, dass ihm damit wirklich eine fundamental neue Erzählhaltung gelungen sein würde.
Klagenfurt-Nachlese
Das Bachmannpreisträger Peter Wawerzinek, Katja Lange-Müller, Norbert Niemann und Peter Glaser werden gemeinsam versuchen eine Antwort darauf zu finden, was diesen Bewerb ausmacht und aus ihren Texten lesen.
Moderation: Hubert Winkels (Jurymitglied Tage der deutschsprachigen Literatur)
RadioKulturhaus, 28. Juni, 19.30 Uhr
alle Texte zum Nachlesen
Apropos Mettwürste: Es wird allgemein viel und vor allem abwegiges gegessen in den Klagenfurt-Texten 2010: Paprikahenderln, Wurstsalat und Grützwurst - was auch immer Grützwurst ist, die in Judith Zanders Text gegessen wurde, der gerade wegen der Unrührbarheit seiner Protagonisten sehr berührend war, anders als Zanders nicht gerade lebhafter Vortrag. Josef Kleindiensts Gewaltprotokoll-Text ließ mich dagegen, höflich gesagt, vor allem ratlos zurück.
Die Jury groovt sich nach dem etwas unschlüssigen Auftreten am Donnerstag schön langsam ein, wie ich vernommen habe, vor allem Burkhard Spinnen findet zu seiner gewohnten - wollen wir es einmal so sagen - Prägnanz. Zumindest für einen effektvollen One-Liner pro Kritikrunde ist er stets zu haben - inhaltlich stimme ich ihm meist nicht zu, aber so kommt wenigstens Bewegung in die Runde, siehe seine Rolle als Bad Cop bei Scholz, den er herzlos fand. Also wenn Google Earth herzlos ist, dann mögen herzlose Texte lange und glamourös leben.