Erstellt am: 25. 6. 2010 - 11:29 Uhr
Tage der deutschsprachigen Literatur, Donnerstag
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Bachmannpreis 2010
Klagenfurt also, dieses große Preislesen, und ich bin heuer mittendrin. Der Bachmannpreis ist natürlich völlig falsch und richtig: Erstens die Unmöglichkeit, dass Texte vorgelesen werden, also mit dem ganzen Unfug, den sie am Papier ja eben nicht haben, wieder aufgeladen werden, mit einer Stimme und einem Körper und irgendwelchen Anziehsachen und dann noch der Wettbewerb, also die General-Rezeptionsanweisung, dass alle sie dann gleich irgendwie besser oder schlechter statt einfach nur schön finden müssen.
Klagenfurt, dieser Song-Contest der Literatur, macht natürlich trotzdem oder gerade deswegen alles richtig und war mir über viele Semester stets eine gute Prokrastinations-Hilfe beim Vermeiden von Seminararbeiten, die eigentlich geschrieben werden müssten, während mir im Frühsommer der Fernseher dann immer drei Tage lang Literatur ins Haus brachte.
Das fast schon Beste am Preislesen sind die Vorstellfilmchen, die ich natürlich alle schon vorgeschaut habe, weil sie genau so unmöglich und vollkommen richtig sind wie die ganze Veranstaltung. Ein/e AutorIn mit einem fünf Minuten-Clip vorzustellen ist vollkommener Unsinn, weil die Filme etwas zeigen müssen, worüber es genau nichts zu sagen und noch weniger zu zeigen gibt. Schreiben ist harte und lange und langweilig anzusehende Arbeit am Rechner und sonst gar nichts. Und darum zeigen die Filme dann immer zu Millionenshow-Spannungshintergrundmusik den nachdenklichen Autor im hohen Gras, Blick über die verregnete Ostseelandschaft, die nachdenkliche Autorin beim Betreten von U-Bahnhöfen, oder Brücken (Brücken kommen immer gut). Dazu gibt es aus dem Off die üblichen Klischees von der Sprache, die einen spricht, vom Aufbrechen von Grenzen und Räumen und vom Unterwegs sein statt irgendwo ankommen (und wenn es ganz intellektuell sein muss, ist von Hybridität die Rede). Königsdisziplin ist die Koch-Metapher: Da mischt dann die/der AutorIn X mit Y und würzt mit einer Brise Z. Die andere Variante ist die vollkommene Dekonstruktion der Augabe, heuer schon vorgeführt von Verena Rossbachers Verlangen nach Taschen/Sachen oder Aleks Scholz' Einführung in die Welt des Hunderennen.
Das alles ist wie gesagt vollkommener Unsinn und hat doch seinen Sinn: Nachher bleibt in Verbindung mit dem AutorInnenfoto (über dessen Inszenierung eigentlich auch Bände zu schreiben wären: von Existenzialisten-Uniform über Metzger in einer Wolf-Haas-Verfilmung bis zum klassischen Myspace-Foto ist heuer alles dabei) zumindest ein gewisser Eindruck, was die/der AutorIn in etwa ist, für welche Rolle die/der steht: ist das jetzt die nachdenkliche Intellektuelle, der ausgeschlafene Berliner, der Münchner Pop-Schnösel, der Spaßige oder die Leipzigerin (über das dortige Studium des literarischen Schreibens gibt es im Übrigen hier wie überall sonst auch nur die zwei gleich falschen und richtigen Klischee-Meinungen: "Schreiben ist nunmal nicht lehr- und lernbar" und "wenn BäckerInnen backen lernen, warum sollte es das nicht für SchriftstellerInnen gelten").
Und jetzt also mittendrin im dem ganzen Wahnsinn. Gestern, am Donnerstag, habe ich die Lesungen leider im Zug versäumt beziehungsweise ebendort nachgelesen (die Texte gibt es hier ), am besten hat mir überraschenderweise Volker H. Altwassers Hochseefischerei-Verherrlichung gefallen.
martin fritz
Klagenfurt-Nachlese
Das Bachmannpreisträger Peter Wawerzinek, Katja Lange-Müller, Norbert Niemann und Peter Glaser werden gemeinsam versuchen eine Antwort darauf zu finden, was diesen Bewerb ausmacht und aus ihren Texten lesen.
Moderation: Hubert Winkels (Jurymitglied Tage der deutschsprachigen Literatur)
RadioKulturhaus, 28. Juni, 19.30 Uhr
Am Abend gab es dann einen Empfang des Bürgermeisters von Klagenfurt in einem Schlösschen am Wörthersee. Das Szenario darf man sich in etwa vorstellen wie den Anfang eines Christian-Kracht-Romans, und dann sitzt man auf einmal an einem Tisch mit Tex Rubinowitz, der Sopranisse und der Kaltmamsell und unterhält sich über die Parallelen zwischen Bachmannpreis und Songcontest (These: Kathrin Passig ist mit Thomas Raab sehr wohl zu vergleichen / überhaupt nicht zu vergleichen), über Stirnaufschneiden und Papieressen, über Ausziehtricks und Plexiglasdoppelklaviere und darüber, dass recht eigentlich die Anziehsachen das Allerwichtigste am Preislesen sind. Also kurz gesagt: Die Befürchtung, dass mir hier heuer die Bachmann-MitguckerInnen von Twitter fehlen, hat sich damit schon mal erledigt.
Dann haben wir noch auf Anraten einer Kollegin eine Absturzkneipe gesucht, die dann zu hatte - "die Burg", wenngleich laut den Locals ein "haaßer Tipp", war uns dann zu voll und so haben wir uns dann in noch einer anderen Kneipe alle zum Affen gemacht.
Heute früh dann also schnell diese Zeilen im gut gefüllten und gelaunten Pressecafé im ORF (Vorteil: Live-Lästern möglich) in die grauen Seiten getippt, während Thomas Ballhausen schon liest. Nach dem Lese-Marathon veranstaltet angeblich das erweiterte ZIA-Umfeld ein Wettschwimmen, was laut Tex nicht versäumt werden darf, da Kathrin Passig, Zitat Tex: "alles kann, nur nicht schwimmen". Um 19:30 Uhr lese ich dann mit Annina Schmid im Café des Hotel Moser Verdino und jetzt konzentriere ich mich voll auf ganz auf die Lesungen.
P.S.: Beurteilungskriterien bitte in den Kommentare vorschlagen, einstweilen stehe ich bei "Bestes Wort", "Anziehsachen/Showeinlagen", "Rätselhaftes" und "Ernsthaftigkeitsfaktor".