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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

7. 7. 2010 - 16:38

Apachen über Hamburg

Deutschpunk-Avangardist Jens Rachut und seiner Band Kommando Sonne-Nmilch ist mit "Pfingsten" wieder mal ein großer Wurf gelungen.

Bis vor kurzem gab es wohl kaum ein musikalisches Genre, das toter war als Deutschpunk, und das natürlich zurecht. Anfang der Achtziger haben Bands wie Slime, die Mimmis oder Normahl einer Generation in den Hintern getreten, die von der im Spaßterror versunkenen Neuen Deutschen Welle angeekelt war. Die dem Zweck entsprechende Simplizität ließ Deutschpunk aber schon in der zweiten Hälfte des gleichen Jahrzehnts am Dinosaurier-Syndrom scheitern: zu doof zum Überleben, zumindest außerhalb von Bierzelten und Schlagerparties, und die wenigen intelligenten Ausnahmen wurden früher oder später beim Untergang mitgerissen oder erfanden sich neu.

Gleichzeitig - bei der Simplizität kein Wunder - bedienten sich eine Menge Arschlöcher und Kasperl an dem Genre, die dafür sorgten, dass Deutschpunk außerhalb der Gruppe heranwachsender junger Männer vom Lande weiterhin den zweifelhaften Ruf hatte, den er sich auch redlich verdiente.

Die Mitglieder der Band Kommando Sonne-Nmilch in Priesterkleindung.

Kommando Sonne-Nmilch

Kommando Sonne-Nmilch

Blumen am Arsch der Hölle

Doch was wäre die Menschheit ohne die Sturschädel? Ohne die Dinosaurier, die sich dem Aussterben verweigern, weil sie intelligent genug sind, sich anzupassen, aber stur genug, Dinosaurier zu bleiben? Auch am Arsch der Hölle wachsen Blumen, und schuld daran ist so ein Sturschädel. Jens Rachut ist ein Dinosaurier, und Jens Rachut hat erst mit Deutschpunk angefangen, als das Ende schon absehbar war. Angeschissen hieß seine Band Ende der Achtziger, und sie bediente sich aus den Trümmern der Legenden von Slime. Die Überlebensstrategie war, die damals wichtigsten und aufregendsten Punkgenres, Post-Hardcore und frühen Emocore, zu integrieren, aber nicht, indem man einfach die Riffs von Rites of Spring abkupferte. Nein, Jens Rachut ging mit der von Deutschpunk bewahrten Simplizität an die Sache heran, und Simplizität bedeutet hier Reduktion. Die Genres werden auf ihre Essenz reduziert statt mit Haut und Haaren einverleibt.

Weil Banddinosaurier schwerfällig und nicht anpassungsfähig sind, waren Angeschissen bereits Ende der Achtziger wieder Geschichte, Blumen am Arsch der Hölle folgten ihnen, dann Dackelblut, schließlich Oma Hans und Kommando Sonne-Nmilch. Bei Blumen am Arsch der Hölle tat sich Jens Rachut erstmals mit dem Gitarristen Andreas Ness zusammen, der ihn seither in allen Bands begleitet. Produziert haben sie mit einem anderen großen Punk-Sturschädel, Frankie Stubbs von den englischen Punk-Großmeistern Leatherface. Auch bei Dackelblut-Aufnahmen war Frankie Stubbs beteiligt, Schlagzeuger war übrigens Heiner Ebber aka Jacques Palminger.

Mit Dackelblut wurde Jens Rachut auch außerhalb des Punk-Umfelds wahrgenommen. Der Theaterregisseur Peter Stein veröffentlichte nach der Auflösung der Band den Konzertfilm Der Taucher mit dem Anorak, und immer wieder steht Jens Rachut auch auf der Theaterbühne oder vor der Kamera, oft in Stücken, die Schorsch Kamerun inszeniert. Letztes Jahr hat er das dreiteilige Hörspiel Der Seuchenprinz (Teil III, Teil IV, Teil II) produziert.

Er ist kein Schauspieler, sagte Jens Rachut im House of Pain Interview vor ein paar Jahren, sondern Darsteller, denn er kann, sagt er, nicht schauspielen. Und so reduziert, wie er seine Darstellungen anlegt, so wie er musikalische Einflüsse auf ihre Essenz eingedampft, so arbeitet er auch an seinen Texten, wie er in einem schönen Spex-Interview erzählt hat.

Die Band Kommando Sonne-Nmilch trägt lustige Hüte und trinkt Bier und Sekt

Kommando Sonne-Nmilch

Kommando Sonne-Nmilch

Kommando Sonne-Nmilch war ursprünglich das Pop-Nebenprojekt Jens Rachuts neben Oma Hans. Das erste Album Hässlich und neu wurde in Zweierformation eingespielt, mit Brezel Göring von Stereo Total. Seit der zweiten, Der Specht baut keine Häuser mehr ist Kommando Sonne-Nmilch eine Band, und seit dem Ende von Oma Hans eine Punkband.

Das Album Jamaica und das Mini-Album Scheiße, nicht schon wieder Bernstein haben sehr an Oma Hans erinnert, auf Pfingsten gehen Kommando Sonne-Nmilch aber über den Punk hinaus und verbinden alle Phasen der Band zu einem Ganzen. Clash-Style-Reggae und Popelemente finden sich ebenso darauf wie in Songs verpackte Mini-Hörspiele vom Ende der Welt und Astronauten auf der Suche nach einem Planeten mit geilen Weibern. Ist das hier noch das Halbfinale? Oder schon das Finale?

Der Gott der kleinen Dinge

Cover der CD "Pfingsten" von Kommando Sonne-Nmilch

Kommando Sonne-Nmilch

Das neue Album von Kommando Sonne-Nmilch wird heute Abend in der Basement Show im House of Pain (22-0) vorgestellt.

Jens Rachut ist Deutschpunk-Avantgarde. Er ist ein Original, kein Intellektueller Hamburger Schule. Jens Rachuts Kunstform ist die Einfachheit und die Reduktion bis zur Ungewissheit. Widersprüche und Verwirrtheit zeigen die Existenz von menschlichem Leben an, und Dada ist hier zwar nur Punk, aber trotzdem irgendwie auch Kunst. Es geht das Gerücht, Jens Rachut habe in einer ehemaligen Wohnung ein Zimmer gehabt, das nur zum Anschauen von Spielen des FC Barcelona diente, mit dementsprechender Deko, versteht sich. Er soll auch schon mal im Ganzkörper-Hahnenkostüm zu Hause angetroffen worden sein.

Politische Texte zu machen ist ihm zu uninteressant, aber ihn oder seine Bands als unpolitisch zu bezeichnen, schlüge fehl: es ist der Punk-immanente Dadaismus, der sein Werk politisch macht, es sind die kleinen Dinge, die er in seinen Songs beschreibt, die Geschichten, die er erzählt, die oft mehr und tiefere politische Kraft haben als plattes Parolengeschrei.

Ob Kommando Sonne-Nmilch (und ihnen nachfolgende Bands wie Turbostaat) jetzt ein advanced Deutschpunk Revival einläuten, wird die Zukunft zeigen. Aus so mancher Ecke hört man jedenfalls immer wieder simpelste Arschkick-Rhythmen mit einfach gestrickten deutschen Texten. Und es klingt gerade alles andere als fehl am Platz. Die Geschichte wiederholt sich, sagte ja schon Karl Marx. Erst als Tragödie, dann als Farce.