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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 6. 2010 - 19:03

WM-Journal '10-47.

Das französische Debakel und die Nicht-Absprache. Zufriedenheit mit der Gruppe A - trotz eines nicht erfüllten Traumes. Und ein wenig Schande.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.

Die Fakten zu den Spielen Südafrika - Frankreich 2:1 und Uruguay - Mexico 1:0.

Die beste Preview zu England - Slowenien.

Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.

Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika.

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Ich hatte einen Traum heute Nacht - keine Ahnung mehr was, wie und warum. Nur: es ging ums WM-Finale und das hat, Achtung, Südafrika (gegen keine Ahnung mehr wen, ich merk mir meine Träume immer nur zehn Sekunden lang, in denen ich alles auschreiben müsste) gewonnen. Ich bin aufgewacht und habe irgendwie gewusst - darauf lässt sich trotzdem nicht wetten.
Obwohl's schön war, im Traum, belebt und schillernd.

Ich hatte vor Beginn der WM eine kleine Vision was die Gruppe A betrifft. Dass es nämlich hier, in dieser Ansammlung von Patienten riecht. Selbstzitat: "Es riecht nach einem Ausrutscher von Frankreich, es riecht nach einem Fehlstart von Südafrika. Allerdings: Mexico und Uruguay - das kann doch auch nicht sein? Mindestens eines dieser traditionell fragilen Team-Gebilde wird sich selbst zumindest ein Spiel kosten."

Dachte ich; und hab mich geirrt. Was die traditionelle Fragilität betrifft. Denn Mexico (von Beginn an) und vor allem auch die ewig zaudernde Braut Uruguay (ab dem 2. Spiel) waren weder fragil noch filigran, sondern formschön, zielorientiert und deshalb auch die berechtigten Aufsteiger in die zweite Gruppen-Phase.

Und das auch ohne den Hauch des zuvor in europäischen Luftraum schwebeneden Schiebungs-Verdachts: auf das Remis das beiden gereicht hätte, wurde in der direkten Auseinandersetzung, einem Match auf gutklassigem Niveau, niemals gespielt.

Honi soit qui mal y pense

Die 22 Sport-Verbrecher von Gijon:
Schumacher, Briegel, Breitner, Karl-Heinz Förster, Dremmler, Littbarski, Hrubesch, Karl-Heinz Rummenigge, Magath, Stielike, Kaltz, Fischer, Matthäus, Koncilia, Krauss, Obermayer, Degeorgi, Pezzey, Roland Hattenberger, Hintermaier, Prohaska, Krankl.
Allesamt haben sie es damit auf ewig verwirkt sich über Ungerechtigkeit im Sport zu erregen.

Das zu vermuten war ein klassischer Honi-Soit der neidigen und gerne-schlechtes-denkenden Europäer. Besonders im Zentrum der diesbezüglichen Missgunst, in Österreich und Deutschland (die zusammen '82 in Gijon diese Art der Schiebung erfunden hatten) war im Vorfeld kloakiges Geunke zu hören.
Klar, man wäre an diesen beiden Erfinder-Orten des Übels (zwei Weltkriege und dann auch noch die Schande von Gijon, wie peinlich...) natürlich immer heilfroh über andere, die "das auch" machen. Als ob dann die eigene Schuld gemindert würde. Aber so brabbeln Gijon-Veteranen diversen Ablenkungs-Dreck und machen sich die heimischen Berichterstatter, von den Algerien-Diffamierern bis hin zu den Print-Chefkommentatoren zu Komplizen dieser historischen Widerlichkeit. So wie der Nazi-Opa die Wehrmachts-Gräuel schön redet, versucht die Gijon-Betrüger-Generation und ihr entsprechend gepolter Nachwuchs sich die historische Schuld wegzuquatschen.

Und die ist allein deshalb allgegenwärtig, weil erst seit Gijon die Abschluss-Spiele bei großen Turnieren parallel ausgetragen werden müssen und ich hasse Konferenz-Schaltungen.

Anti-Schandisten

Also: weder Tabarez' Uruguay noch Mexicos Aguirre machten den Schandisten den Gefallen eines Ballgeschiebes um eines gefixten Resultats hin. Beide wollten dem drohenden Achtelfinale gegen Argentinien entgehen.
Und Uruguay hatte mit der formidablen Taktik, die sie zuletzt gegen Südafrika eingesetzt hatte, mehr Fortune als Mexico, das mit dem alten Blanco anstatt des verletzten Vela antrat.

Es gab einen leichten Durchhänger im Spiel, als die Kunde von der klaren Führung im Parallelspiel durchdrang, aber natürlich nahm Mexico die Verfolgung wieder auf und ließ bis zur letzten Sekunde nicht nach.

Ich wünsche beiden Teams das Beste im weiteren Verlauf.
Mexico, weil sie mich wieder einmal, wie so oft, nicht enttäuscht haben. Und auch Uruguay, weil sie - nach gefühlten Jahrzehnten der Dauer-Enttäuschung - diesmal endlich gehalten haben.

Das südafrikanische Drama...

Parreiras südafrikanischerr Versuch konnte nicht erfolgreich abgeführt werden. Dazu war die Substanz zu schwach, das merkte man auch im dritten Gruppenspiel der Bafana. Womöglich wären sie in einer schwächer besetzten Gruppe ins Achtelfinale durchgerutscht, weil ja doch einige Ansätze zu sehen waren, aber bei der Konkurrenz hier...

Im Spiel derr letzten Mini-Chance stellte Parreira endlich ein wenig um, auf ein 4-4-2 mit zwei Spitzen und Pienaar nicht zentral dahinter, sondern rechts, wo sich bisher Modise abgequält hatte. Dazu mit Sibaya (endlich!) und Khuboni zwei neue in der defensiven Zentrale und auch ein neuer Rechtsverteidiger.
Letztlich war das aber nur Kosmetik. Die Probleme nach vorne wurden nicht viel besser. Die Schlaftablette Mphela und der außer Form befindliche Parker zeigten, warum sie so umstritten sind, Einwechsler Nomwhete hatte wenigstens Zug zum Tor, ist aber schon überm Zenit. Hätte Benni McCarthy das Kraut fett gemacht? Wäre Matthew Booth der bessere Mokoena, ja vielleicht sogar der bessere Kapitän gewesen?

Südafrika scheitert an der eigenen Unzulänglichkeit; der spielerischen wohlgemerkt.

...und das französische Debakel

Frankreich scheitert an der eigenen Unzulänglichkeit; der persönlichen, der menschlichen wohlgemerkt.

Was da alles abseits des Platzes schiefgelaufen ist, passt nicht in einen abendfüllenden Thriller. Und wie sich das auf die Leistung auf dem Platz selber ausgewirkt hat - das ist die vielleicht erstaunlichste Erkenntnis dieses Turniers so far: dass nämlich gruppendynamische Scheiße und menschliche Unzulänglichkeit das individuelle Spiel mehr beeinflussen als jegliches Können, jegliches Training, jegliche Vorbereitung und jegliche Taktik.

Wenn sich Individuen weigern zusammenzuarbeiten, dann kommt nichts heraus. Wenn sich Gruppen in die innere Emigration zurückziehen, dann entsteht keine Leistung. Wenn sich die Egos aufblasen, bricht jedes Gefüge zusammen.

Dabei hat man es alles kommen sehen.
Jedem und allen war im Vorfeld klar, dass es krachen wird, wenn sich die Streitgruppen (Trainer Domenech, ein Lunatic sondergleichen und seine wenigen Gefolgsleute auf der einen - die Spieler-Egos wie Henry, Anelka, Gallas, Evra, Ribery etc., die sich in diverse Sub-Gruppen aufteilen, auf der anderen Seite) nicht zusammenraufen. Dümmste Wickel ums Kapitäns-Amt traten im Trainingslager die ersten Donnerschläge los. Dann sorgt die erste Aufstellung für Ärger, bei der Trainerliebling Govou schon, der besser in Form befindliche Malouda nicht spielen darf. Henry weiß auf der Bank alles besser als Anelka am Feld, Gallas mag nicht mit Evra zusammenspielen (wegen der Kapitänssache), weicht deshalb nach rechts aus. Und Ribery rotzt alle an.

Frankreich schlägt sich selber

Nach dem ersten Unentschieden grollt der Donner noch stärker - ein "alle gegen alle"-Schlammcatchen ist die Folge. Nach der Niederlage gegen Uruguay brechen alle Dämme. Anelka nennt Domenech in der Halbzeit einen Hurensohn. Domenech lässt ihn im Spiel (warum?), nimmt ihn erst nach Minuten der zweiten Halbzeit runter und schickt ihn dann nach Hause. Ehe das bekannt gegeben wird, steht das Zitat in der "L'Equipe". Ribery schäumt und will den Verräter köpfen. Evra (mit Hilfe von Henry) setzt ein Communique auf, in dem sich die Spieler von der Nachhause-Schickung distanzieren - und das Team bringt Domenech dazu dieses Papier in einer Live-TV-Schaltung zu verlesen. Sarkozy bekommt einen Schreinafall, die Sportministerin pfeift alle bei einer Teamsitzung zusammen, daraufhin verweigert die Mannschaft eine Trainingseinheit, der Konditionstrainer rastet aus worauf der Chef de Mission seinen Rücktritt erklärt und heimfliegt.
Domenech tritt vor die Weltpresse und sagt er weiß nicht ob er für das dritte Spiel ein Team zusammenkriegt.

Es ist also bereits vor dem Match gegen Südafrika alles verloren. Allou Diarra führt die Parodie einer Mannschaft als Not-Kapitän aufs Feld, Evra, Abidal, Henry und Govou sind draußen (alle als politische Opfer um den Fraktionen zu gefallen). Cisse spielt vorderste Spitze, Gignac und Ribery an der Flügeln, dahinter ein Dreier-Mittelfeld mit Allou, Diaby (dem einzigen Franzosen, der spielerisch auffällig war) und Gourcouff davor.

Nachdem sich die umgestellte Abwehr ein Tor nach einem Corner einfängt (bei dem der von den Wickeln schwer angekrankte Tormann Lloris wie schon in den Spielen davor schlecht aussieht) haut Gourcouff bei einem Luftduell Sibaya versehentlich mit dem Ellbogen um.
Der fällt bewusstslos um und der erschrockene Schiri zeigt die rote Karte.

Die Franzosen, vorher schon unbeweglich und wie immer eben kein Team, erstarren komplett, bekommen das zweite Gegentor und liefern etwas ab, was man nur noch mit dem Begriff "entwürdigend" ansatzweise beschreiben kann.

Entwürdigende Selbstdemontage

Die Luft ist raus, sie haben abgeschlossen, diese Mannschaft hat sich selber umgebracht.

Apropos Domenech: dessen größter Fan ist ÖFB-Coach Constantini. Der sagte dieser Tage, dass jeder öffentlich geäußerte Zweifel über Domenechs Fähigkeiten ein Skandal sei und unzulässig wäre.

Dass Constantini Probleme mit politischen und demokratischen Kategorien hat, ist bekannt: aber in diesem Fall hat ihn auch noch sein populistisches Gespür verlassen.

Immerhin wechselt Domenech bei seiner Abschluss-Vorstellung noch zweimal richtig (Malouda für Gignac, Henry für Cisse), immerhin gelingt noch das Consolation-Goal, das erste und letzte der Tricolore bei dieser WM (Sagna zu Ribery zu Malouda).

Es bleibt aber nichts über von dieser Raubauken-Truppe. Sie werden in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten Spott und Häme ausgesetzt sein. Der neue Coach Laurent Blanc hat Glück, dass sich die nächste EM-Quali (man darf da nur mit Rumänien und Bosnien rechnen) als Neuaufbau ausgeht.

Frankreich hat das, was bei Kamerun oder der Cote d'Ivoire gönnerhaft als eh logischer Aufstand "unreifer" Stars abgenickt wird, mitten ins scheinbar über solche Kindereien erhabene Europa gebracht. Und damit exemplarisch vorgezeigt, dass es eben nicht reicht, wenn elf Könner "rausgehen und Fußball spielen".