Erstellt am: 28. 6. 2010 - 19:00 Uhr
Von Winden gebläht
- Leben, Werk Skandale: Christian Fuchs über Serge Gainsbourg
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Die Legendenbildung ist ein gemeiner Hund, irgendwann ist die betreffende Person von einem Anekdotenwald überwuchert, der einem den Blick versperrt. Hört man Serge Gainsbourg geht ein Assoziationsfeuerwerk los, man beoht das künstlerische Schaffen, man beaht die Skandale, man summt "Melody Nelson" und selbst als Nichtraucherin hat man plötzlich unbändige Lust, sich gleich zwei Gitanes anzuzünden. Fassbar wird Serge Gainsbourg dadurch nicht: Chansonnier und Skandalbolzen. Vom schüchternen Lucien Ginsburg zum Pariser Lebemann und französischer Institution. Er entzieht sich schon alleine musikgenretechnisch jeglicher Zuschreibung und irgendwann hat sich die popkulturelle Geshichtsschreibung darauf geeinigt, ihn unter "Bürgerschreck" und "Agent Provocateur" abzulegen. Das ist nur leider nicht genug. Neben Musiker, Komponist, Filmemacher und Schauspieler war er vor allem ein schlauer, gewitzter und hinterlistiger Wort- und Sätzeschleifer; seine Songs würden bei der Übersetzung in eine andere Sprache entleert werden.
Furzgeschichte
Deswegen sollte man wahrscheinlich das Schulfranzösisch - wenn vorhanden - zusammenkratzen und seinen einzigen Roman "Das heroische Leben des Evgenij Soklov" aus dem Jahr 1980 auf Französisch lesen. Schon alleine, um sich von Sprachkundigen auf alle Zwei-, Drei- und Vierdeutigkeiten hinweisen lassen, die Gainsbourg sicherlich auch hier konstruiert hat. Und der Lautmalerei und dem Klang zuliebe. Weil wie viel schöner klingt flatuosité als das deutsche Darmgas. Und genau darum geht es hauptsächlich und vordergründig in Gainsbourgs 59-Seiten Buch. Der Maler Sokolov wird zeitlebens von heftigen Blähungen geplagt; so heftig, dass er sich einen Hund zulegt, um die lautstarken und geruchsintensiven Ausgeburten seiner Magen/Darmhölle auf eben jenen zu schieben.
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Gevattter Zufall macht schließlich aus der Not eine Tugend, aus einem Furz große Kunst. Als Sokolov an der Leinwand stehend wieder einmal von Flatulenzen durchgebeutelt wird, funktioniert sein Arm wie ein Seismograph und pinselt die Blähungseruption auf. Padauz, denkt sich der nicht ungewiefte Sokolov und feiert von nun an mit den Gasogrammen Erfolge - natürlich ohne ihre Entstehungsgeschichte preiszugeben.
Das Kunstmilieu ist hocherfreut, "Hyperabstraktion", "formaler Mystizismus" und "stilistische Strenge" murmeln die Kritiker. Mit dem Erfolg kommt der Druck, nur der im Darm, der will plötzlich nicht so Recht, Sokolov ist nun abhängig von den Launen seines Gedärms und wird zum akribisch medizinisch Interessierten, um seinen Darm und dessen Winde zu manipulieren.
Während das vorherrschende Geräusch bei diesem Buch eindeutig Blähungen in verschiedener Länge und Heftigkeit sind, so ist man sich irgendwann ziemlich sicher, da noch was zu hören: Das Kichern des Autors, der eine große Freude daran hatte, mit seiner nicht ganz unalbernen Flatulenz-Ballade un petit peu die Bürger zu schrecken, wie es so oft zwar nicht Hauptmotivation aber häufiger Nebeneffekt seiner Arbeit war.
Blumenbar Verlag
Sokolov und Gainsbourg
Anstatt aber den Skandal zu suchen, den man im Post-"Feuchtgebiete"-Zeitalter im neuaufgelegten Buch eines Mannes (der Skandal an "Feuchtegbiete" war ja mitunter die Tatsache, dass das Buch von einer Frau ist) über Aufstieg und Fall eines furzenden Malers (oder malenden Furzers) ohnehin nicht finden wird, ist es weitaus interessanter und unterhaltsamer den roten, biografischen Faden aufzugreifen. Wie Evgenij studiert auch Serge Gainsbourg an der Akademie der schönen Künste, findet Gefallen am Militärdienst, macht erste sexuelle Erfahrungen bei Prostituierten. Man findet biografische Fleckchen in dem Roman, der eine kleine Abrechnung mit und große Persiflage auf den Kunstbetrieb ist, in knappen Worten, die wohlkomponiert und rhythmisiert große Bilder entfachen, erzählt es die Geschichte von Aufstieg und Fall eines Künstlers, berichtet Skandalen und Exzessen, schildert Künstlerkrisen und ironisiert den Geniekult.
Die Lust an der Möglichkeit albern zu sein schimmert genauso durch, wie die Lust an der Arbeit mit Sprache. Die Freude an der Provokation kann man sicher auch rauslesen, aber durch das ewige in-den-Fokus-rücken der Gainsbourg'schen Skandale und Skandälchen verbaut man sich den Blick auf sein umfangreiches und alle Zuschreibungen sprengendes Schaffen. Die Anekdoten über die Reggae-Marseillaise, das Whitney Houston-Interview oder den im Fernsehen verbrannten Franc-Schein sind schnell erzählt, aber danach weiß man so gut wie nichts über den Komponisten, Musiker, Filmemacher, Schauspieler - und eben auch Schriftsteller. "Er ist immer ein Kind geblieben. Das ist alles, was es mit dem spitzbübischen Versuch, die Leute andauernd zu schockieren, auf sich hatte.", so Jane Birkin in der Serge Gainsbourg-Biografie von Sylvie Simmons. Kinder hätten auch garantiert ihre diebische Freude an Geschichten über einen Dauerfurzer. Gainsbourg-Verehrer werden die auch haben; gesamtoevretechnisch ist der dünne Roman zwar nur eine Fußnote, dafür aber eine Best(fuß)note.