Erstellt am: 23. 6. 2010 - 18:28 Uhr

Wie man den Bachmannpreis gewinnt

"Wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, droht Schlafgemach (Sexszene) oder Ungemach (Dialog)." - Angela Leinen gibt Ratschläge.

Über gute, ehrliche Arbeit zu schreiben hat den Reiz, dass sich die Kritiker und Juroren nicht damit auskennen und das schon aus schlechtem Gewissen würdigen, aber das Risiko, dass ein Auskenner unter den Lesern ist. Folglich muss bestens recherchiert werden.

"Ich freue mich, wenn überhaupt mal über Arbeit geschrieben wird, denn die meisten Figuren in modernen Texten von jungen Autoren scheinen überhaupt nicht viel zu tun zu haben. Sie lassen sich so durch ihre Großstadt treiben, meistens ist es Berlin. Sie heißen Luna, Lena oder Leander, trinken Milchkaffee und haben eigentlich keine Erklärung dafür, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die meisten Leser dagegen gehen einer Arbeit nach und würden sich auch dafür interessieren, wie es einer Figur geht, die einer Arbeit nachgeht." erklärt Angela Leinen in Klagenfurt. Hier müssen wir ihren vor kurzem erschienenen Ratgeber besprechen: "Wie man den Bachmannpreis gewinnt. Gebrauchsanleitung zum Lesen und Schreiben".

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Angela Leinen: "Wie man den Bachmannpreis gewinnt. Gebrauchsanleitung zum Lesen und Schreiben." Heyne 2010

Sie wolle Leser ermuntern, eigene Kriterien für gute Literatur zu schaffen - einen "Dreck" auch einen "Dreck" zu nennen, selbst wenn dieser in einem viel gerühmten Buch steht. Analog dazu können Autoren erkennen, wie bestimmte Dinge beim Leser ankommen.

Beispielsweise schreiben viel zu viele Autorinnen über ihren Nachwuchs. Angela Leinens Praxistipp für Autoren: "Lassen Sie nach der Geburt Ihres ersten Kindes erst mal 14, 15 Jahre ins Land gehen. Im pickeligen Angesicht der Pubertät des hilflosen Wesens von einst sehen Sie vielleicht auch Ihre rührselige Story aus dem Wochenbett nüchterner."

Ob Stoffe, Schauplätze oder Erzählformen, wie der Text Tiefe erhält, welche Sorgfaltspflichten der Autor bitteschön einzuhalten hat und die Schwierigkeit menschlicher Zwischenfälle:

"Wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, droht Schlafgemach (Sexszene) oder Ungemach (Dialog)." Wie im richtigen Leben ist beides auch in der Literatur schwierig: "Das Schreiben von Dialogen gehört wahrscheinlich zum Schwierigsten überhaupt und ich hab mich darauf beschränkt, Unfallstellen zu markieren. Ich kann nicht sagen: so geht’s aber vielleicht, so geht‘s nicht."

Angela Leinen ist seit Jahren begeisterte Bachmannpreiswettlesenverfolgerin. Ob auf ihrem Weblog sopranisse oder im Gemeinschaftsweblog der Lesemaschine.de. Mit dieser hat sie unter anderem die automatische Literaturkritik entwickelt. Das Hilfswerkzeug schlechthin, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Was man in Südafrika kann, soll auch in Kärnten möglich sein: klare einfache Regeln.
Pluspunkte gibt es etwa für das Vorkommen von feuchten Frotteetüchern und/oder miefigen Sporttaschen oder von Nagetieren. Und so wird auch schon auf Seite 18 lobend Martin Fritz, Wortlautgewinner 2009, erwähnt, in dessen Text "Mein neues Hobby" - jedes fünfte Wort "Eichhörnchen" gewesen sein soll.

Somit schließt sich der Kreis für die Berichterstattung aus Klagenfurt in den nächsten Tagen: Martin Fritz wird online berichten und Angela Leinen täglich resümieren, in wieweit die AutorInnen ihre Ratschläge befolgen.

Was auch immer man von dem Wettlesen um den Bachmannpreis halten mag - "Diese fehleranfällige, alberne, tapfere, manchmal furchtbare und regelmäßig scheiternde Auseinandersetzung mit Texten ist die beste Literaturkritik, die wir haben." (Kathrin Passig)