Erstellt am: 21. 6. 2010 - 16:55 Uhr
WM-Journal '10-44.
Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.
Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.
Die Fakten zum Spiel Chile - Schweiz 1:0.
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Ich habe ja nichts gegen an sich defensiver ausgerichtete Mannschaften, die ihr Heil in einer präzisen Taktik suchen - vor allem gegen sogenannte Große ist das oft die einzige Möglichkeit der Kleinen.
Ich unterstütze das durchaus - auch gegen den verblüffend naiven, von populistischer Verdummung angesengten Schmäh vom "einfachen" Fußball.
Noch lieber ist mir aber das riskante Gegenteil.
Also der offensive Wahnsinn, den "kleinere" Teams inszenieren, um damit die Großen zu verwirren oder gar zu überrumpeln.
Das kommt höchst selten vor und ist deshalb so kostbar.
Im Falle des Aufeinandertreffens von Chile und der Schweiz tu ich mir dann folgerichtig schwer.
Denn mein Respekt vor dem eingeschworenen, seit Jahren gut aufgebauten und extrem schlau abgehangenem System des SFV ist groß. Und, dass man sich nach einer schwachen Vorbereitung und Testspiel-Pleiten über die Einhaltung einer mehr als defensiven Marschroute wieder in die Winner-Position brachte - das ist aller Ehren wert.
Respekt und Verehrung
Aber.
Der heutige Gegner, Marcelo Bielsas Chile, probiert eben das Andere. Das Schwierige, das fast Unmögliche.
Als unterlegenes "kleines" Team (auch rein körperlich gesehen) das Spiel zu bestimmen, die Angriffs-Wellen so zu konstruieren, dass der Gegner gar nicht zu so etwas wie Dominanz kommen kann - das fordert nicht nur meinen Respekt, sondern auch meine tiefe Bewunderung.
Deshalb wiegt die Verehrung von Chile '10 mehr als der Respekt vor Switzerland '10.
Und weil in dieser Gruppe eben auch noch Spanien, der aktuell eigentlich schönstspielende Große der Welt mitmacht, ist das ganz übel. Weil von diesen Dreien eben einer rausfliegen wird.
Und was mir in anderen Gruppen gar nichts ausmacht (oft brauche ich nicht einmal ein Team pro Gruppe) - hier tut mir das weh.
Deshalb ist das jetzt gerade ein böses Spiel für mich. Eins in dem ich mir schwertue.
Trotzdem. Zum Spiel.
Chile legt es an wie in der 2. Halbzeit gegen Honduras, mit dem Unterschied, dass Humberto Suazo, der Mittelstürmer wieder dabei ist. Im ersten Spiel hatte man seine Position ja einfach ausgelassen.
Das macht ein 3-3-1-3, ein tolles flexibles System, wo im Angriffs-Fall sieben Leute attackieren.
Leider ist es nicht allen vergönnt, das zu sehen: sowohl die Preview-Analytiker als auch der Kommentator sehen schon wieder Viererketten, wo keine sind oder verorten Arturo Vidal auf der rechten Seite - obwohl der doch schon das gesamte erste Spiel links aufgeboten war (zu Beginn sogar als Verteidiger). Was kann diese Sehschwächen bloß verursachen?
Hitzfeld hat seine zuvor Verletzten gebracht - ein gutes Zeichen, weil Frei offensiver agieren darf als Derdiyok im ersten Spiel, und auch weil Behrami besser drauf ist als zuletzt Barnetta.
Bloß: das ist nach 30 Minuten vorbei. Behrami muss nach gleich zwei Ellbogen-Checks hintereinander vom Feld, was dann auch Frei seinen Platz kostet. Die Schweiz muss auf ein 4-4-1 umstellen.
Das ist bitter. Man wollte es eigentlich offensiver angehen als gegen Spanien - steht jetzt aber wieder genauso defensiv da.
Dann überrascht Bielsa wohl alle
Er nimmt den (allerdings nicht ganz fitten) Mittelstürmer Suazo raus, bringt Valdivia und setzt damit auf sein 3-3-4 aus der 2. Halbzeit des 1. Spiels. Da unterstützen zwei zentrale Spielmacher (Mati Fernandez und even Valdivia) die beiden Außnestürmer (Sanchez und Beausejour).
Dazu ersetzt Mark Gonzales (auch ein Hochoffensiver) noch Arturo Vidal auf der linken Halb-Position - der wird auch vorstoßen.
Das ist (obwohl ohne zentrale Spitze) noch offensiver als zuvor - erinnert mich an die alte Poker-Regel, dass man verdoppeln muss, wenn man grade verloren hat; bzw wie im Fall von Chile, noch nicht gewonnen hat.
Und dann stößt Bielsa wieder alles um, wohl weil es ihm nicht gefällt, was sein Team fabriziert und bringt mit Paredes eine echte Spitze statt Mati Fernandez, stellt also wieder auf ein 3-3-3-1 um.
Dass es wieder so lange dauert; dass es dann wieder nur ein Tor, und wieder nur ein knapper Sieg wird, dass so viele Chancen vergeben werden, beunruhigt mich natürlich für den weiteren Verlauf dieser WM.
Schon fürs nächste Spiel gegen Spanien.