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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 6. 2010 - 16:46

WM-Journal '10-41.

Wie gleich nach dem heimischen Expertentum auch der künftige Ex-Weltmeister in eine echte Blamage schlittert. Und: ein Bravo für Neuseeland.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel und zusätzlichen Analysen.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel Italien -Neuseeland 1:1.

Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.

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So gut in der TV-Preview das italienische System (das von einem 4-3-3 ausgehend auch in ein 4-4-2 kippen kann, was vor allem dem flexiblen Pepe, dem einzigen guten Mann im 1. Match zu danken ist) erklärt wurde - so grauenvoll nichts wusste man auch beim 2. Antreten über die Neuseeländer.

Obwohl ja jeder mit Augen im Kopf ihr 3-4-3 im ersten Spiel deutlich hat sehen können (und auch schon davor in auf österreichischem Boden stattfindenden Tests), erzählen die Experten einen aus der Luft gegriffenen, irgendwo abgemalten kompletten Holler - aber das ist der unbesiegbaren österreichischen Arroganz scheinbar Bloßfügigen gegenüber zuzuschreiben.

Achtung, Schwachsichtigkeit

Schlimm genug, weil derlei stolz angeführte Schwachsichtigkeit ja auch dazu führt, dass man das Spiel der eigenen Liga, des eigenen Nationalteams auch nicht kapiert (woran ja sowohl das Experten- als auch das Coaching-Wesen des Landes krankt).

Sich nach den Sternen strecken und die Großen analysieren zu wollen, das ist ja durchaus wichtig, aber eben nur auch wichtig. Wenn aber die Auseinandersetzung mit Akteuren auf Augenhöhe als zu lächerlich angesehen und mit Ächtung gestraft wird, sagt das schon allzu viel über den Selbstbetrug, dem das großmannssüchtige sich gnadenlos überschätzende, bildungsfeindliche und fortschrittsresistente Fußball-System in diesem Land unterliegt.

Wer die lässige Vermutung über das Wissen stellt, stellt sich nämlich auch im Welt-Fußball-Ranking weit hinten an.

Jetzt aber zum Spiel:

Und das beginnt auch mit so einer Zwergen-Fehleinschätzung. Nicht weil Lippis Team nicht gewusst hat, wie der neuseeländische Gegner es angehen wird (gerade in Italien wie penibel präpariert), aber wohl weil einzelne gar nicht anders können als auf die leichte Schulter nehmen. Cannavaro tut so, als wäre er erstmals in seinem Leben mit einem weiten Freistoß-Cross (der vom vertragslosen Oldie Elliott kommt) konfrontiert, lässt ihn von Baucherl nach vorne klatschen und Smeltz, der Mittelstürmer, bedankt sich.

So eine 1:0 Führung hat Neuseeland im Klagenfurter Test gegen Serbien über die Zeit gebracht.
Das schaffen sie in Südafrika nicht. Denn fast schon wütende Italiener und ein lahmer "im Zweifel für den Großen"-Elfer verhindern das.

Blamabel ist das alles trotzdem.
Auch weil sich Italia '10 nach dem Ausgleich wieder zurücknimmt und wie aus einer Führung heraus weiterspielt.

Italienische Rechtslastigkeit

Zudem ist ihr heutiges System komisch verschliffen und nicht mit dem schlaueren Wechselspiel der Paraguay-Partie zu vergleichen. Marchisio muss heute einen linken Flügel spielen und sieht gemeinsam mit dem wieder matten Criscito links ganz alt aus - die Angriffe kommen praktisch nur über rechts, wo mit Pepe und Zambrotta hinter ihm zwei echte und gute Außenspieler stehen.

Das italienische Spiel hängt also nach rechts. Das mag im Sinn der Lega und Berlusconis sein - im Sinne Italiens ist das keinesfalls.
Und das blamable 1:1 zur Halbzeit sollte dazu führen, dass Lippi das zur 2. Hälfte geraderückt.

Okay, wenn ich (im All-Blacks-Jersey) vom Römer Prohaska Objektivität einfordere, ist das schon auch ein bissl lächerlich, zugegeben...

Denn sich auf angebliche Offsides oder Fouls auszureden wie das die Halbzeit-Experten (auf weinerliche Art) vorführen, wird nicht genügen.

Lippi wechselt dann wirklich und rückt das schiefe System tatsächlich gerade, aber anders als ich's erwartet hätte: Er erntfernt den offensiven Pepe und bringt den Ballschlepper Camoranesi - damit ist das 4-4-2 an beiden Flanken gleich stumpf. Wirklich verblüffend.

Mit der Ziehharmonika erfolgreich

Erst nach einem weiteren Wechsel nach 60 Minuten bringt dann eine Umstellung auf wirkliche Offensive, auf ein 4-1-3-2. Montolivo darf endlich zentral im offensiven Mittelfeld spielen und powert ordentlich los, Di Natale soll über links kommen, zu Iaquinta wird der unerfahrene Pazzini in die Spitze gestellt. Klingt gut, bringt aber wenig Effektives.

Neuseeland wehrt sich dagegen mit der schon zuletzt beobachteten Ziehharmonika: im Defensiv- Fall (der in der 2. Halbzeit fast dauernd eintritt) wird das 3-4-3 zu einem 5-4-1. Dass die Kiwis trotzdem die beste Torchance der 2. Halbzeit haben (Wood knapp vorbei) zeigt, wie gut sie sich verkaufen.

Ich sehe etwa auch technisch keinen Unterschied zwischen den beiden Teams: Beide bearbeiten den Ball mit hoher Qualität. Beide Teams sind also in allen Belangen auf der Höhe der Zeit - weswegen die stiefmütterliche Behandlung durch heimische Experten vor dem Spiel mir auch so böse aufgestoßen hat.

Italien hat nicht wirklich enttäuscht: denn jeder, der sie schon länger anschaut, weiß - mehr geht da aktuell einfach nicht. Das Personal ist zu schwach.

Natürlich wäre das mit einer exorbitanten Teamleistung, wie sie Neuseeland geboten hat, hinzukriegen gewesen. Das aber ist wohl das Vorrecht der Außenseiter.

Gruppe F, Runde 2, Fazit:

Absurderweise sind die, über die ich mich in der 1. Runde noch am meisten geärgert habe, jetzt vorne und die großen Gewinner: Paraguay.
Der Ärger hatte aber einen Grund: ich wusste, dass das besser geht.
Und im heutigen Spiel ging's auch ein wenig voran - noch nicht genug, sag ich, aber genug, um Südamerika als dominante Macht der WM auszuzeichnen.

Hingegen kann es Italien nicht besser. Das ist aktuell das Level auf dem Lippis Team spielen kann. Mehr geht eben nicht. Gewöhnt euch dran.

Neuseeland hat nach der Sensation des späten Ausgleichs gegen die Slowakei die Super-Sensation gegen einen Großen geschafft. Das ist jetzt schon historisch.

Die wirkliche Enttäuschung des Gruppe F-Tages ist in Bratislava und Umgebung daheim. Schon im 1. Match gab man ein Spiel überflüssigerweise aus der Hand, heute hat man sich (noch überflüssigererweise) erst gar nicht dran beteiligt.

Im finalen Euro-Duell gegen Italien müssen sich unsere Nachbarn jetzt rehabilitieren. Darin liegt ihre einzige Chance diese WM unvergesslich zu machen. Und auch die große Gefahr für den Titelträger noch rauszukippen.