Erstellt am: 20. 6. 2010 - 13:54 Uhr
Bethlehem vs. Beverly Hills
Nicht alle Weißen in Südafrika sind reich. Doch auch wenn sie "nichts" haben, kann das mehr sein, als manche Schwarze haben, die "etwas haben". Von der Hoffnung abgesehen.
Margrit Croukamb hat eine Vorliebe für Plüschtiere. Und Setzkastenfiguren. Mit diesen hat sie den spärlichen Raum zwischen der voll behängten Kleiderstange, dem Doppelbett, einem Sessel gefüllt. Etwa 12 Quadratmeter misst ihr Haus. "Es geht mir nicht schlecht", sagt sie und sieht dabei auf ihre Lederpantoffeln, in denen in rosa Socken ihre Füße stecken. "Aber ich habe viel gelitten."
Anna Mayumi Kerber
Margrit ist 48. Seit Februar lebt sie in Bethlehem. So heißt die "informelle Siedlung" westlich der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria. Abgelegen von den Ausläufen der Großstadt besteht sie aus Häuschen, Containerhütten und einem Wohnwagen, die in dem Garten von Arnold Kraus, einem Beinahe-Priester stehen. Arnold selbst ist ebenfalls Bure, ein Afrikaaner niederländischer Abstammung. Gott habe ihn gerufen, um gefallenen Seelen zu helfen. Solchen Menschen wie Margrit.
Anna Mayumi Kerber
Vor zehn Jahren hat er den ersten Wohnwagen auf seinem weitläufigen Grundstück aufgestellt, in den eine Obdachlose mit ihrem behinderten Sohn einzogen. Seither sind viele dazugekommen, einige auch wieder gegangen. Die derzeit 40 Bewohner sind zum größten Teil weiß, so auch Margrit. Zwei schwarze bestätigen als Ausnahme den Regelfall. Viele sind Suchtkranke und/oder Opfer schwerer Schicksalsschläge. Die meisten haben als Privilegierte oben begonnen – und sind tief gefallen.
Anna Mayumi Kerber
Die Wellblechhütte von Anna Selealo ist ungefähr so groß wie die von Margrit. Sie aber wohnt in Beverly Hills. Luxusvillen sucht man dort vergeblich. Es ist ein kleiner Hügel im Township Alexandra, das zu den ältesten, ärmsten und gleichzeitig kriminellsten Gegenden von Johannesburg gehört. Beverly Hills ist die zynische Bezeichnung für eine wild wuchernde Ansammlung von dicht gedrängten Shacks: Hütten, die aus Wellblech, Kartons und anderen (Abfall-) Materialien behelfsmäßig gezimmert wurden. Die meisten Bewohner stammen nicht von hier. Sie sind aus dem ländlichen Umland in die Großstadt gezogen. Weil sie nichts außer der Hoffnung auf ein besseres Leben hatten.
So auch Anna. Sie ist etwa gleich alt wie Margrit. Ihr genaues Alter will sie nicht verraten. Sie stammt aus Magaliesburg, etwa 50 Kilometer außerhalb von Johannesburg. 1992 kam sie nach Alexandra, wo sie zunächst bei einer Tiefkühlkostfirma Pizzas belegte. Im Zuge eines Personalabbaus verlor sie ihren Job. Jetzt hat sie ihren eigenen Laden. "Das Geschäft läuft gut", gibt sie sich optimistisch.
In ihrem Zuhause gibt es keinen Ramsch. Es gibt ein Bett, einen Kübel zum Abwaschen, Kartons mit Waren für ihren kleinen Kiosk an der Seite der Hütte, eine Petroleumlampe, falls der Strom – wie so oft – ausfällt und eine Kochplatte.
Anna Mayumi Kerber
Anna Mayumi Kerber
Strom hat Margrit gar keinen in ihrem Zuhause. Auch keine Kochplatte. Aber zum Kochen gibt es in Bethlehem einen Gemeinschaftsraum. Das Essen stammt zum Teil aus Spenden, die zumeist gläubige Gutgeister der Gemeinschaft zukommen lassen. "Leider viel zu selten Fleisch", wie Margrit lachend meint, wobei sie ihre Zahnlücken entblößt. Das Gemüse stammt großteils aus dem Eigenanbau. Die Bewohner von Bethlehem bewirtschaften Felder. Was sie nicht für den Eigenbedarf benötigen, verkaufen sie auf dem Wochenmarkt. Einen Teil der Einnahmen dürfen sie behalten. Etwa 70 Rand (knapp 7 Euro) verdient Margrit so jede Woche. Miete bezahlt sie keine.
Auch Anna nicht. Ihr Kiosk wirft monatlich etwa 1000 Rand ab (ca. 100 Euro). Die Hälfte geht für die Beschaffung neuer Waren drauf. Mit den öffentlichen Minibus fährt sie ins Stadtzentrum zum Großmarkt. Dort besorgt sie die Bananen, Äpfel, Kartoffeln, Zwiebeln und Süßwaren, die sie verkauft. Mit dem Rest hilft sie auch noch zwei Neffen durchzufüttern. Selbst hat sie keine Kinder, war auch nie verheiratet.
Margrit hat vier Kinder. Drei davon hat sie seit Jahren nicht mehr gesehen, seit sie mit ihrem Prügelfreund irgendwo untergetaucht sind. Sie scheint nicht besonders bedrückt, wenn sie darüber spricht. Sie hat ihr Los akzeptiert. Zunächst in Alkohol ertränkt und dann akzeptiert. Ihr viertes Kind, eine Tochter, arbeitet bei der Regierung. Von deren Chef hat Bethlehem mehrfach Besuch erhalten. "Zwei oder gar drei Mal ist Zuma hier gewesen", erzählt Margrit. "Es war schön. Er hat mein Haus besucht und mich sogar umarmt", fügt die hagere Frau stolz hinzu.
Der Präsident sei überrascht gewesen, dass es auch Weiße gibt, die arm sind. Doch habe er bisher keines seiner Versprechen auf Unterstützung eingehalten. Dabei, so findet Margrit, nehme die Armut unter Weißen zu: "Ich bin keine Rassistin. Aber dieses BEE ..." BEE steht für Black Economic Empowerment, eine nicht unumstrittene Beschäftigungsstrategie der Regierung. "Zuerst bekommen die Schwarzen einen Job", erläutert Arnold das System, "dann Frauen, dann Behinderte und dann erst weiße Männer." (De facto ist das Ganze natürlich etwas komplizierter.)
Er hält sich an Expertenmeinungen, die ein Ansteigen der "weißen Armut" prognostizieren. Dabei bleibt er realistisch: "Weit über 90 Prozent der Armen sind schwarz."
Als Anna die Lebensumstände von Margrit auf Fotos ansieht, schmunzelt sie. "Das sieht doch nett aus." Aus Alexandra will sie dennoch nicht weg. Aus ihrem Shack allerdings schon. "Ich hätte gern ein Häuschen," sagt sie und zeigt von Beverly Hills aus den Hügel hinunter auf die kleinen Backsteinhäuser, die "bessere Gegend" des Townships. "Und eine Lizenz, damit ich einen größeren Laden haben kann."
Anna Mayumi Kerber
Derzeit führt sie ihren Kiosk ohne Bewilligung. Zum Kontrollieren komme keiner. "Die Polizisten trauen sich nicht hierher", lacht sie. Angst hat sie dennoch keine. Vor wem auch? Sie lebe auf engstem Raum mit ihrer Community. In dieser schaue man aufeinander. "Ein Dieb etwa käme nicht weit", erläutert sie das Konzept. Sofort würde einer in eine Trillerpfeife blasen, dann der nächste und jeder wüsste Bescheid. "Er wird geschnappt und zu Tode geprügelt", legt sie die rauen Sitten aus. "Corporate punishment", fügen ihre Neffen hinzu und krümmen sich vor Lachen.
Auch in Bethlehem wird Kriminalität nicht geduldet. "Bei 40 Menschen, die nicht stehlen, fällt ein Neuling mit solchen Neigungen natürlich sofort auf", erläutert Arnold. So jemand dulde er nicht auf seinem Grundstück. So einer müsse gehen.
Anna Mayumi Kerber
Margrit lebt am Rande der Gesellschaft, außerhalb des Blickfelds. Sie hat nicht viel Hoffnung auf ein normales Leben, ein eigenständiges, auf Arbeit. Sie ist gefallen und findet sich damit ab. Sie wird nicht verhungern oder erfrieren. Arnold bietet ihr Unterkunft und Beschäftigung, Spender ihr Essen.
Wenn Anna krank ist, helfen ihre Neffen im Laden aus, oder die Nachbarn, oder er bleibt zu. Vom Staat erwartet sie sich nichts mehr. Diese Hoffnung hat sie aufgegeben. Die auf ein Haus und einen größeren Laden noch lange nicht. "Es läuft gut", lacht die Frohnatur. Sie fühlt sich auf dem Weg nach oben.