Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Song Zum Sonntag: Ginga"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

20. 6. 2010 - 14:02

Song Zum Sonntag: Ginga

Für jeden Jungen, jedes Mädchen: Fashion

Dummer Junge, dummes Mädchen. Als ich noch ein Junge war, hab ich Papas Rasierklingen gestohlen, damit wollte ich mir meinen Schatten beschneiden, doch er wird mir bis ins Grab folgen. Dummer Junge. Als ich noch eine junges Mädchen war, hab ich Kate Moss ausgeschnitten und auch gehungert, gehungert nach Verführung und auch sonst gehungert. Dummes Mädchen. Das schreibt euch hinter die Ohren, dummer Junge und dummes Mädchen, die ihr nicht mit den Schatten leben wollt, die euch umgeben: Die Sonne wird aufgehen, sie wird scheinen, um deine lidschattenverschmierten Augen zu trocknen.

Bandportrait von Ginga

thisisginga.com

So würd ich Gingas "Fashion" interpretieren, was heißt interpretieren, das sagt der Text, ein Text bestehend aus dem Rat des weisen großen Bruders (des einzig akzeptablen Erwachsenen, wenn man jung ist), direkt, erfreulich unironisch und ohne leidende Attitüde, die beim Thema "O Teenage, oh Schutz vor dir" so oft mitschwingt.

Thomas Kramar über Fashion

Vielleicht hat die seit Jahren fescheste und eigenwilligste englischsprachige österreichische Band ja auch ganz was anderes gemeint, vielleicht soll das Video auch total ironisch sein, in dem sich die jungen Männer wie New Romantics ohne Make Up geben, sich in einer verrotteten Turnhalle der "Stadt des Kindes" räkeln und auch sonst tunlichst vermeiden, den mittlerweile einfachen, "dunklen" Indie-Weg zu gehen und sich Chelsea Boots und Heroinwangen stehen zu lassen - mit ihrem Freizeitfußballer-Look und ihrer euphorisierenden, überschlagenden Melodie.

Das Video zu "Fashion" wurde in der 2002 still gelegten Stadt des Kindes in Wien gedreht.

Der Song zum Sonntag ist eine Kooperation zwischen FM4 und der Presse am Sonntag und erscheint hier wie dort, wo sich der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar der Kolumne annimmt

Die Musik vermittelt jedenfalls eine erfrischende, weil selten gewordene Dringlichkeit und Todernstigkeit. Diese Talking Heads- treibende Rhythmusgruppe mit Minimalschlagzeug, die Kinderinstrumente Melodica, Darmseitengitarre/Bass und Xylophon, der gequälte Gesang über dieser euphorischen Melodie .... Vielleicht ist es diese Ironieablehnung, die Kollegen Kramar dazu bringt, an die jungen, zornigen U2 zu denken ... mir fallen noch 20 andere Lieblingsbands ein, mit oder vor denen Ginga auf der Bühne stehen könnten, von Modest Mouse über die übermächtigen, enigmatischen Talking Heads der ersten drei Platten, über David Bowie bis zu den von Robert Rotifer herausgehörten, auch todernsten und noch nicht rehabilitierten Waterboys (der "This is the Sea"/"Pagan Place" Phase) ...

Ich höre jetzt aber auf zu schwärmen, weil es sonst peinlich wird und verweise auf den besser - weil trocken-englisch und selbsterlebt habend - schwärmenden Robert Rotifer, der in England schon miterleben durfte, wie wenig es einem in den Sinn kommt, bei Ginga an eine Band zu denken, die nur "für österreichische Verhältnisse" großartig ist.