Erstellt am: 19. 6. 2010 - 21:33 Uhr
WM-Journal '10-38.
Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der Übersicht.
Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.
Die Fakten zum Spiel Kamerun - Dänemark 1:2.
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Im Vorfeld, so hört man, hat es im Camp Kamerun das gegeben, was ich im WM-Journal 37 am Schluss angesprochen hatte: Die Eigendynamik eines Turniers und die Lagerstimmung hat sich gegen alle Vernunft durchgesetzt.
Und im Fall von Kamerun heißt das: unglaubliche Egos, von zuletzt schlechten Performances in ihrer Ehre gekränkt, blasen sich enorm auf und nehmen Risiko.
Weil Coach Paul LeGuen sowieso nur Coach bis auf Abruf ist und nach dem schwachen Africa-Cup gar kein Standing hat, gibt er klein bei und lässt die Stars das Team aufstellen und auch die Taktik bestimmen.
Ich behaupte, dass das keine gute Idee war - selbst wenn Kamerun das Spiel noch gewinnen sollte (und das muss passieren, wenn man noch reele Chancen auf den Aufstieg haben will).
Die Herren Stars stellen sich selber auf
Also: Eto'o hat sich ins Sturm-Zentrum gesetzt (nicht wie bei inter als rechtes Glied eines Dreier-Angriffs), der laute Emana hat sich in die Startelf reklamiert, ebenso wie Oldie Geremi und Alexandre Song.
Während zb Song aber seinen Part spielt, machen die anderen, was sie wollen. Geremi etwa, auf der rechten Halbposition im Mittelfeld aufgeboten, gibt den rechten Flügel - den eigentlich Webo spielen sollte, was den dann wieder in die Mitte drückt, wo er dann teilweise Eto'o auf den Zehen steht. Emana, eigentlich linker Flügel, hingegen zieht es dauernd in die Mitte.
Diese taktische Unordnung ist dem Putsch der alternden Löwen-Stars geschuldet. Denn: Wozu auf einen Trainer hören, wenn man sich quasi selber aufgestellt hat.
Wegen des offensiven Wirrwarrs gab es nämlich auch die Order an die im ersten Match noch so wirkungsstarken Außenverteidiger sich hinten zurückzuhalten.
Soll heißen: Das scheinbare Free Floating bei Kamerun ist nur auf zuviel Adrenalin und Ego-Chaos zurückzuführen.
So sieht das, was Kamerun offensiv hinlegt, zwar spektakulär aus - das hat aber mehr mit den Fehlern der dänischen Abwehr zu tun und ist kein Resultat eines klugen Spiels, sondern Zufall. Und deswegen nicht viel wert.
Etwas weniger Zufall bei Dänemark
Auch die Dänen schauen schief aus.
Jörgensen sucht seinen Platz im Mittelfeld, Gronkjaer darf links nicht so offensiv spielen wie Rommedahl rechts, weil er auch Mittelfeld-Jobs erledigen muss, Kapitän Tomasson ist nach seiner Verletzung nicht gerade sehr flexibel. Und auch hier haben die Außenverteidiger fast sowas wie Angriffs-Verbot.
Die dänischen Attacken sind dafür weniger zufällig.
Sie werden über Dennis Rommedahl rechts gefahren, der bohrt den im ersten Spiel so grandiosen Assou-Ekoto als Schwachstelle an und bekommt damit bei Fortdauer des Spiels auch recht.
In der Pause reagieren beide Coaches folgerichtig.
Morten Olsen bringt mit Jensen einen zweiten echten Sechser statt des verwirrten Jörgensen.
LeGuen gibt sich komplett auf, erklärt sich mit dem System seiner Stars einverstanden, bringt Jean Makoun (das ist ein Prinz, das "II" in seinem Namen bedeutet "der Zweite", nicht "il", das nur als Hilfsstellung für die Kollegen) statt des angeschossenen Eyong, zieht ihn neben Alex Song und lässt Geremi halt rechts tun.
Ins Verderben rennen
Ein bissl Selbstaufgabe ist das schon, als Coach, aber bitte - Verband und Spieler haben es so gewollt.
Dass dann just wieder Rommedahl mit just einem Vorstoß über die Seite, auf der sich just Assou-Ekoto just grade vorne verloren hat, Dänemark in Führung schießt, bedeutet höchste Gefahr für die unzähmbaren Löwen.
Werden sie sich vor dem Absturz in den Abgrund retten?
Und wenn ja, mit welchen Mitteln? Taktischer Natur werden sie nicht sein können. Jetzt stehen die selbsternannten Gehtscho-Gemma-Stars vor der Aufgabe alles mit Handarbeit erledigen zu müssen. Die Folge eines Putsches aus dem Bauch heraus, aus der Lagerkoller-Stimmung in maßloser Überschätzung der eigenen Wichtigkeit auf Kosten einer Strategie, eines Masterplans.
Der bisherige Teil des Textes ist ja während des Spiels entstanden.
Deshalb: Sie haben es nicht geschafft - ihr habt es gesehen.
Aber: Wie sollten sie auch.
Das ist traurig, das ist bitter, aber das war vorhersehbar und ist aufgrund der grotesken Unreife der Entscheidungs-Strukturen, die Verband und Spieler ausgedealt haben, auch verdient.
Wie soll man beim Turnier der Weltbesten, wo taktische Raffinesse und systemisches Kalkül das Maß aller Dinge ist, mit ein paar Ego-Boostern bestehen?
Eto'o ist ein großer Spieler, aber eben kein Trainer.
Und er hat sein Fernduell mit seinem großen Kritiker, Roger Milla verloren.
Emana war der dickste der Sargnägel, Geremi der zweite.
Gruppe E, Runde 2, Fazit:
Das ist, wohlgemerkt, die Gruppe E, also die fünfte von acht.
Und es ist die erste, bei der nach dem 2. Spiel schon etwas entschieden ist.
Die Niederlande, die sich mit zwei (ich sage einmal, weil ich nett sein will, aus taktischen Gründen, um sich nicht zum Favoriten hochreden lassen zu müssen) trockenen Siegen durchgesetzt haben, sind als erstes Team fix im Achtelfinale der WM. Gratulation. Da geht nämlich noch mehr.
Dänemark, das zwei halbe gute Matches gezeigt hat (1. Halbzeit gegen Holland, das konnte schon was, und heute war man in doch vielen Momenten die schlauere und präzisere Mannschaft), wird sich im direkten Duell gegen Japan (die ihren Sieg gegen Kamerun sogar ein Spürchen mehr verdient hatten) um den zweiten Platz balgen.
Da ist - sag ich jetzt - jeder Ausgang möglich.
Kamerun ist draußen.
Warum - das steht in diesem Text da oben.
Das ist kein Drama und kein Beinbruch, das hat sich im Vorfeld angekündigt. Man hat die Zeichen, die im Africa-Cup klar zutagetraten, zwar erkannt, aber darauf auf eine absurde Art reagiert. Zuerst mit einer seltsamen Selektions-Politik für den Kader, dann mit Dauer-Kritik an LeGuens Philosophie jeden Spieler dort aufzustellen, wo er auch im Verein spielt, anstatt auf Befindlichkeiten der Stars Rücksicht zu nehmen.
Und schließlich mit dem heutigen (vom Verband und den mitquatschenden Altinternationalen abgesegneten) Putsch der Spieler-Stars, die "es" selber machen wollten.
Ein schönes Symbol für alle, die glauben, dass es reicht "rauszugehen und Fußball zu spielen".
Das reicht nämlich (sofern man auf seriösen Widerstand trifft) nicht. Nie. Ab ins Stammbuch damit.