Erstellt am: 19. 6. 2010 - 18:18 Uhr
WM-Journal '10-37.
Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
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Die Fakten zum Spiel Ghana - Australien 1:1.
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Ich kann mich nicht beschweren. Es war wesentlich Schlimmeres zu befürchten. Und trotzdem ist alles gut gegangen. Es ist ein anständiges Spiel rausgekommen, wo Ausfälle aller Art eigentlich als Spielverderber auftreten wollten.
Mein erster Schock kam ja schon vor dem Anpfiff.
Bei Ghana, ohnehin schon durch die Abwesenheit von Essien und das Nicht-wirklich-fit-Werden von Appiah geschwächt, verliert mit John Mensah nicht nur den dritten Kapitän, auch sein Innenverteidigungs-Partner Isaac Vorsah (der spielt mit Ibertsberger in Hoffenheim) fällt aus.
Und die neue Innenverteidigung von Ghana geht so: Jonathan Mensah (ganze 19), neben Lee Addy (der noch in Ghana spielt). Sowas kann selbst im Africa-Cup ein Spiel kippen lassen, erst recht hier...
Und wieder ein Tormann mit Problemen
Und dann fängt sich Ghana auch noch ein schnelles Tor ein, weil Richard Kingson eben nicht Enyeama ist (obwohl der genauso ein Tor kassierte, aber ihr versteht, was ich meine...) sondern eher Barry (also: kein wirklich guter Tormann; was angesichts der interessant mäßigen Tormannleistungen hier nicht so auffällt. Auch wieder etwas, was einen eigenen Eintrag wert sein wird, im Verlauf des Turniers).
In der 15. Minute war Ghana im Nirgendwo. Und hätte das völlig umgekrempelte australische Team nach dem Führungstreffer die Bemühungen nicht eingestellt, dann wäre Ghana wohl nicht mehr zurück ins Spiel gekommen. So aber tanzt der Sohn von Abedi Pele Emerton und Wilkshire aus, passt scharf zur Mitte und dort schießt just der junge Jonathan so aufs Tor, dass just der wieder fitte Harry Kewell, auf dem wiederum alle australischen Hoffnungen ruhen, keine andere Chance hat als den Ball mit der Hand von der Linie zu holen.
Stürmerlos
Das ergibt Elfer, den Ausgleich durch Gyan (wen sonst) und den Ausschluss für Kewell.
Das ergibt die gleich dritte Mannschaft innerhalb kürzester Zeit, die eine erkleckliche Zeit ohne Stürmer auskommt (Deutschland und Algerien gestern) und trotzdem nach vorne spielt. Zwar haben diese Teams damit zu dritt nur zwei Punkte geholt, aber de facto kein Tor erhalten, obwohl zwei davon in Unterzahl waren.
Australiens Trainer Verbeek hatte nicht nur mit einer Revolte im eigenen Lager zu kämpfen, er gab ihr auch nach und nominierte den späteren Pechvogel Kewell und auch den Rädelsführer Bresciano (der eine gute Partie spielte) - in einem gut sortiertem 4-2-3-1. Der Mann vorne musste dann vom Platz.
Aber erst ab der etwa 70. Minute stellten die Aussies um, auf eine Art 3-3-3. Rechtsverteidiger Wilkshire und der neu reingebrachte Chipperfield links waren echte Flügel für den Center Joshua Kennedy. Emerton (ursprünglich im rechten Mittelfeld) machte den zentralen Spielgestalter.
Und das brachte noch etliche Gefahr nach vorne - wenn auch nur mit hohen Bällen.
Das Innenverteidiger-Hochrisiko
Und da kommen wieder die jungen Innenverteidiger ins Spiel - denen kam diese doch etwas einförmige Gestaltung der australischen Angriffbemühungen durchaus entgegen.
Jonathan Mensah und Addy konnten (gemeinsam mit Mittelfeld-Blocker Annan) die Zentrale sauber halten. Was wiederum den an sich defensiv aufgestellten Kevin-Prince Boateng zu zahlreichen Offensiv-Ausflügen veranlasste.
Ghana startete mit dem System des 1. Spiels.
Und interpretierte es offensiv wesentlich ausführlicher als gegen die Serben. Tagoe, Asamoah, Andre Ayew und Gyan wechselten sehr sehr oft ihre an sich fix ausgemachten Positionen - wenn sie nicht ununterbrochen aus allen Lagen geschossen hätten, hätte das auch was genutzt.
Alle sind noch dabei
Insofern lässt sich nicht sagen, was dieses Resultat in diesem Spiel für Ghana wert ist. Denn natürlich dachten die in der Schluss-Phase schon ans finale Gruppenspiel gegen die großen Deutschen.
Was in diesem Zusammenhang auffällig ist: noch keine einzige Mannschaft ist bei dieser WM schon ausgeschieden. In den Gruppen A, B, C und D sind alle noch im Rennen - das ist nach zwei ausgespielten Runden höchst selten der Fall.
Vielleicht ist diese Ausgeglichenheit eine Folge der besseren Beachtung der Ausgangslagen. Vielleicht ist aber auch das strategische Kalkül schuld an den noch recht wenigen Spielen mit völlig offenem Visier.
Gruppe D, Runde 2, Fazit:
Unerwartete Wendungen: weder mit dem serbischen Sieg noch mit der Teil-Wiederauferstehung der Australier war zu rechnen.
Und deshalb liegt jetzt alles knapp beinander. Und jeder muss mit jedem anderen rechnen.
Wenn sich Serbien gegen Australien durchsetzt, dann wird nur der Sieger aus Deutschland - Ghana mitaufsteigen.
Wenn nicht, dann haben beide die besseren Chancen.
Alles läuft aber irgendwie auf die Erfüllung meiner Befürchtung, dass gleich gar keine afrikanische Mannschaft die Gruppenphase übersteht, hinaus.
Denn den serbischen Vorteil gegenüber Deutschland (Erfahrung) hat die junge ghanesische Mannschaft eben nicht.
Australien hat sich rehabilitiert. Und auch anhand dieses Beispiels zeigt sich, warum die Vorfeld-Analysen und Einschätzungen meist Makulatur sind.
Was in wilden Fällen so weit führen kann wie aktuell bei Frankreich.
Weil sie nämlich das wesentlichste Element außer acht lassen: die Dynamik der Resultate und der daraus entstehenden Befindlichkeit; und wie eine auf recht engem Raum zusammengesperrte Mannschaft von Egos damit umgeht.