Erstellt am: 21. 6. 2010 - 16:17 Uhr
Shufflegott sei Dank
Wenn's um Musik geht, dann bete ich außerordentlich häufig und gerne zum Shufflegott. Nachdem sich auch meine Albenaffinität (außer wenn's um Soundtracks geht, da bin ich nach wie vor ziemlich orthodox gestimmt) durch Herunterladbarkeit und Schnellverwendbarkeit von einzelnen Titeln in Schall und Rauch aufgelöst hat, pflege ich in gemütlichen Runden meine randvoll gefüllte digitale Jukebox an meinen Verstärker anzuhängen und die zumeist schon alkoholschwangeren Besucher mit von der Maschine (noch meine ich, sie denkt nicht) zufällig ausgewählten Klangnummern zu verwöhnen. Da reiht sich dann meine ewige Heldin France Gall (wie sie ihren Kopf bewegt beim Tanzen, das kenn ich nur von ihr) an The Incredible String Band (besonders liebe ich Little Cloud), darauf folgt eine wohlfeile Dosis Björk-Geharfe, später Karel Gott, noch später, wenn schon alles egal und klar ist, als krönender Abschluss eine weitere ewige Heldin von mir, Daliah Lavi. Mein Musikgeschmack ist eklektisch, davon profitiert (nur meine Meinung) die Gestaltung des Abends. Und wie ungeheuer befreiend ist es, sich dem (Nicht-)Willen dieser Maschine zu überantworten und sich zurückzulehnen.
mariobava.tripod.com
Lange schon suche ich nach einem adäquaten Analogon dieser Zufallsglückseligkeit, wenn es um meine Filmsammlung geht. Aber es klappt nicht: Mein digitaler Katalog verfügt über keine göttliche Random-Funktion, die mir anempfehlen könnte, was als nächstes zu schauen ist. Meine Liebe ist so vielgestaltig, dass ich zu jedem beliebigen Moment in etwa gleich viel Lust auf einen wummernden Spektakelfilm, einen italienischen Horrorklassiker und einen französischen Stummfilm habe. Die Entscheidung fällt mir immerzu schwer und, ist sie erst getroffen, so habe ich das andauernde Gefühl, mich falsch entschieden zu haben. Ich habe schon etliche Male versucht, dieses Dilemma zu lösen. Einmal steckte ich mit geschlossenen Augen zufällig aus dem Regal gezogene Filme in einen Flip Case, wiederum zufällig angeordnet und zwang mich dann dazu, sie in der Reihenfolge, in der ich sie eingeordnet hatte, anzusehen. Aber, oh, ich bin so willensschwach, wenn ich jederzeit die Möglichkeit habe, zum Regal zu gehen und einen anderen Film einzulegen, funktioniert dieses System nicht, nein, es ist kein Ersatz für meine so heiß geliebte Shuffle-Göttlichkeit.
Aber, eventuell habe ich jetzt eine zufriedenstellende Strategie ersonnen, in Union mit Freundinnen von mir, die mich letzthin abends mit ihrer Anwesenheit beglückt haben. Ich bat sie also, mir eine Ziffer zwischen 1 und 1000 zu nennen, da meine Filmsammlung in etwa so viele Einträge verzeichnet. Anschließend zog ich insgesamt sechs DVDs, angeleitet von den mir genannten Kombinationen aus dem Regal und schwor den bei mir Hockenden, dass ich versuchen werde, eine Verbindung in die Zufälligkeit, eine Ordnung ins scheinbare Chaos hinein zu lesen. Das ist das Ergebnis.
0437: Akte X - Die erste Staffel
Fox
Es gab wohl keine Fernsehserie, die mich in meiner Jugend auch nur annähernd so begeistert, mitgenommen und aufgeheizt hat wie "Akte X": Chris Carters Schöpfung von zwei Grund verschiedenen FBI-Agenten, die jene unheimlichen Fälle angehen, an die sich sonst niemand heran wagt, versorgte mich jeden Montag Abend mit einer neuen Dosis Nervenkitzel, der eine oft stunden- bis tagelange Vorfreude voraus gegangen ist. Für mich als Horror-Fanbuben servierten die jeweiligen Episoden, ganz egal ob sich darin die Mythologie der Serie erweitert hat oder mir ein "Monster of the Week" präsentiert worden ist, genau die richtige Dosis aus Altbekanntem und Bahnbrechendem, um meinem nicht selten tristen Schüler- und Außenseiterleben Sex und Aufregung zu verleihen. Ich verbinde mit der Serie so viele wundervolle Erinnerungen, dass ich sie hier gar nicht alle aufzählen könnte: Einen besonderen Stellenwert hat für mich allerdings die erste Staffel (DVD-Katalognummer 0437), da ich deren Episoden, nicht zuletzt aufgrund der hohen Wiederholungsfrequenz der Superhitserie im Fernsehen, am häufigsten gesehen habe.
Fox
Schlaflose Nächte verbrachte ich nach der Erstausstrahlung von "Das Nest": Eine Kreatur namens Eugene Tooms reißt seinen Opfern die Leber aus dem Leib, verspeist sie und schlummert daraufhin für dreißig Jahre in einem mit Körpersäften angereicherten Zeitungspapierkokon, der ihn auf wundersame Weise konserviert und ihm die Fähigkeit verleiht, seinen Körper zu dehnen. Wie so viele Episoden der "Akte X" labt sich auch diese an einer menschlichen Urangst: Egal wie sicher man sich in seinen eigenen vier Wänden wähnt, Tooms wird mit seinem elastischen Körper immer einen Weg finden, in deine Wohnung und daraufhin in dich selbst einzudringen.
Fox
Ein weiterer Höhepunkt dieser ersten Staffel war für mich "Eis". Die Geschichte von einer Forschergruppe im ewigen Eis Alaskas, zu denen der Kontakt abgebrochen ist, entwickelt sich in einen so liebevollen wie grausamen Tribut an die Invasionsfantasien des 50er-Jahre-Kinos, im Besonderen an The Thing from Another World von Howard Hawks und Christian Nyby. Scully (Gillian Anderson, ever so smart and sexy) und Mulder (David Duchovny) entdecken einen außerirdischen Parasiten, einen Wurm, der sich unter der Haut des Befallenen einnistet und ihn in den Wahnsinn treibt. "We are not what we are!" ist die Tagline dieser Episode, tagelang habe ich davon geträumt.
Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI
Jahre: 1993 - 2002
Creator: Chris Carter
Darsteller: David Duchovny, Gillian Anderson, Mitch Pileggi, William B. Davis
Fassung: Die einzelnen Staffeln der Kultserie sind mittlerweile im ausgewählten Elektromarkt für weniger als 20 Euro zu haben. Ich habe vor Jahren für die ersten drei Staffeln in der so genannten Sammel-Edition noch jeweils an die 50 Euro hingeblättert. An Extras gibt's in beiden Fällen nicht sonderlich viel: kurze Dokumentationen und ein plaudernder Chris Carter müssen reichen.
0898: Die Spur des Falken
Warner
Der Einfluss von "Akte X" auf die Serienlandschaft kann gar nicht überschätzt werden. Lange vor den HBO-Prestigeproduktionen investiert das Fox-Konglomerat in jede Folge große Summen, was Chris Carters "Baby" eine außergewöhnliche Ästhetik ermöglicht, die sich aus dem fast hundertjährigen Fundus des fantastischen Kinos ebenso speist wie sie vollkommen neue Vorschläge unterbreitet. Eine Bezugsgröße dieses mäandernden und in diesem Text unmöglich zu fassenden Universums ist jedenfalls die "Pulp Fiction", die in den Vierziger- und Fünfziger-Jahren (es gibt aber auch frühere Beispiele) in Hollywood zum Ausgangspunkt für den Film Noir geworden ist. Die schrägen Schatten, harten Kontraste und ambivalenten Figuren der "schwarzen Serie" spiegeln sich in der Edel-Serie wieder. Insofern sei nun die Brücke gebaut zum nächsten Zufallsfilm Die Spur des Falken (DVD-Katalognummer 0898).
Warner
Als einer der bekanntesten, jedenfalls ein Stil prägender Film Noir seiner Zeit, basiert "The Maltese Falcon" auf Raymond Chandlers gleichnamigem Roman. Humphrey Bogarts unwiderstehlich lakonischer Sam Spade, dem die gepfefferten Dialoge nur so aus den hängenden Mundwinkeln zu rinnen scheinen, Mary Astors windschnittige Femme Fatale und Peter Lorres Auftritt als, was denn sonst, zwielichtiger Gauner, die allesamt einer geheimnisvollen und offenkundig wertvollen Falkenstatue hinterher hetzen, machen John Hustons Schattenwurf von einem Unterhaltungsmonstrum auch heute noch zu einem Vergnügen.
Die Spur des Falken
Jahr: 1941
Regie: John Huston
Darsteller: Humphrey Bogart, Mary Astor, Peter Lorre, Sydney Greenstreet
Fassung: Unlängst sind einige Filmklassiker aus dem Warner-Archiv in aufgemöbelten Premium Editionen auf den Markt gekommen, darunter auch "Die Spur des Falken". Üblicherweise preisgünstig zu erwerben, sind die Doppeldisc-Sets angereichert mit haufenweise Bonusmaterial. Im Fall von "Die Spur des Falken" gibt es mehrere hervorragende Dokumentationen, Kurzfilme, Zeichentrickepisoden und einen informativen Audiokommentar. Absolut empfehlenswert!
0165: Denn sie wissen nicht, was sie tun
Warner
Verhaltensauffälligkeiten, die galten im klassischen Hollywood noch nicht unbedingt als defizitär, nicht selten wurden sie sogar als charakterliche Stärke ausgelegt: quasi einen Grundsatzfilm zu jedweder Rebellion gegen etablierte Systeme, den dreht Nicholas Ray, der Mann der Augenklappe, 1955. Zu einer Zeit, in der sich die schleichenden Unsicherheiten in die pastellfarbenen Zuckerlwelten und weiß umzäunten Vorstadtträume fressen, beginnen Regisseure verstärkt, einen der amerikanischen Kernwerte, nämlich den von der Kernfamilie, in immer grelleren Farben zu dekonstruieren. Douglas Sirk zerschlägt die Fassaden mit der täuschenden Heimeligkeit seiner feisten Technicolor-Melodramen, während Ray einen jungen Mann gegen seinen Vater, und damit das althergebrachte Amerika Sturm laufen und in einem chaotischen Wirbelwind aus verlorenen Ideologien und neuzeitlicher Leere untergehen lässt.
Warner
James Dean, jene Kaffeetassen-Ikone, die damals einer zeitgeistigen Granate so nahe gekommen ist wie niemand sonst, kämpft in Denn sie wissen nicht, was sie tun (DVD-Katalognummer 0165) um das Mädchen seiner Träume, gleichsam um das Ansehen in einer Clique, deren männliche Mitglieder sich ihre Wertigkeit in "Chicken Races" behaupten müssen. Mit röhrenden Motoren und durchdrehenden Rädern fetzen sie mit feinstens frisierten Tollen, in glänzenden Lederjacken steckend auf einen Abgrund zu, der gleichsam das Ende der Welt und den Sturz in den Tod bedeutet. Niemals wieder war das Aufbegehren so notwendig und unumgänglich, niemals wieder war die Selbstauslöschung eines jungen Mannes so zwingend sexy wie die von James Dean – im Leben wie im Film.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Jahr: 1955
Regisseur: Nicholas Ray
Darsteller: James Dean, Natalie Wood, Jim Backus, Sal Mineo
Fassung: Wie "Die Spur des Falken" ist auch dieser Klassiker in die Premium-Edition von Warner aufgenommen worden und bietet jetzt im Vergleich zur vorigen Auflage zusätzlich einen Audiokommentar, Probe- und Kostümaufnahmen sowie nicht verwendete Szenen. Wiederum: unbedingte Kaufempfehlung!
0002: Peter Pan
Disney
"Träume, die der Nacht entschweben", kann man singen, denn von neuen Träumen handelt Nicholas Rays Film, der bei näherer Betrachtung einige Ähnlichkeiten aufweist zu Peter Pan, J.M. Barries unsterblicher, weil so universell lesbarer Erzählung eines verlorenen Jungen, der sich aus schierer Verzweiflung und Illusionsgier heraus sein eigenes, wildes Zauberreich, fernab von jedweder Realität errichtet hat. Eine Generalmetapher nicht zuletzt für das Kino, ist Walt Disneys zuckerlbunte und auf Kindertauglichkeit getrimmte Version von "Peter Pan" (DVD-Katalognummer 0002) auch heute noch schön anzusehen, auch wenn sie mehr konserviert denn konstruiert und vor allem den immanent kritischen Ansatz der Vorlage, wie so viele andere literarische Adaptionen aus dem Maus-Haus, dezent beiseite legt.
Disney
Peter Pan
Jahr: 1953
Regie: Clyde Geronimi, Wilfred Jackson, Hamilton Luske
Stimmen: Bobby Driscoll, Kathryn Beaumont, Hans Conried, Paul Collins
Fassung: 2007 ist Peter Pan zum letzten Mal auf DVD erschienen, und zwar in einer 2 Disc-Special Edition inklusive Tonnen an Bonusmaterial. Das nächste Mal wird der Zeichentrickklassiker erst 2014 neu aufgelegt: "Peter Pan" gehört zu jenen knapp über zehn Filmen des Studios, die nach ihrer jeweiligen Veröffentlichung auf DVD und dem Ausverkauf der Erstauflage in den "Disney Vault" zurück wandern und erst in sieben Jahren wieder neu heraus gebracht werden dürfen. Mit dieser Strategie will der Maus-Konzern seine bekanntesten Klassiker frisch halten und sie jeweils wieder in vollkommen neu überarbeiteten Fassungen veröffentlichen. Momentan ist "Peter Pan" in der Edition von 2007 bei den meisten Internet-Anbieter vergriffen, man kann ihn sich aber über Zweitanbieter immer noch bestellen.
0313: Der Frauenmörder von Boston
Fox
Ich hab' einmal versucht, eine Hollywood-Genealogie der Darstellung von Psychopathen zu entwerfen, habe aber irgendwann aufgegeben. Ein Film, den ich diesbezüglich mehrfach gesehen habe ist Der Frauenmörder von Boston (DVD-Katalognummer 0313), Richard Fleischers mit aller Kälte und Desillusion des Spätsechziger-Kinos inszenierte Film-Adaption des wahren Falls des "Boston Stranglers". Schon allein die Besetzung erweist sich als Clou: ausgerechnet Tony Curtis, bis dahin vor allem bekannt für seine komödiantischen Leistungen, als Würger zu besetzen, war eine visionäre Wahl, die sich gelohnt hat. Niemals wieder war der Schauspieler so gut wie in dieser Rolle, die den mit innovativen Split Screens angereicherten Reigen beschließende fast halbstündige Sequenzfolge nach seiner Inhaftierung im Verhörzimmer ist für sich genommen eine filmgeschichtliche Legende. Regisseur Fleischer, ohnehin einer der ganz großen Handwerker Hollywoods, schöpft Sympathie für den Teufel, bei sich selbst wie beim Publikum, ohne allerdings dessen Gefährlichkeit zu schmälern.
Fox
Der Frauenmörder von Boston
Jahr: 1968
Regie: Richard Fleischer
Darsteller: Tony Curtis, Henry Fonda, George Kennedy, Hurd Hatfield
Fassung: In Deutschland ist das spannende Psychogramm, das leider nie die Aufmerksamkeit erhalten hat, die es verdient hätte, zwar in schöner Verpackung aber ohne Extras erschienen. Die US-Edition bietet immerhin eine Dokumentation über den Serienmörder Albert DeSalvo und die Dreharbeiten zur Film-Adaption seines Lebens.
0523: Henry - Portrait of a Serial Killer
Optimum Releasing
Die USA als Serienmörderland hat dem Kino immer wieder perfekte Filmstoffe geliefert. Ab den Siebziger Jahren, nach dem Zusammenbruch der Alternativ-Mythen und Träume bricht die einsetzende Katerstimmung in die Unterhaltungskultur ein. Ab nun sind die Täter nur mehr selten psychologisch komplex gestimmte Figuren, sondern mythologisch überhöhte Dunkelmänner, die die trügerischen Freiheiten einer besinnungslos gefeierten Wohlstandsgesellschaft zwischen Drogenrausch, Materialismus und Hedonismus zersägen, die Menschheit zurück werfen in ein archaisches Doppel aus Jäger und Gejagten. Während die maskierten Killer von Michael Myers über Fred Krueger hin zu Jason Voorhees inklusive ihrer zahllosen Epigonen die Moritaten zu vaudeville-esken Spektakeln stilisieren, geht Regisseur John McNaughton mit seinem ursprünglichen Thriller Henry: Portrait of a Serial Killer den umgekehrten Weg. Vermittels beinhartem Realismus, auch dieser Film basiert auf einem wahren Fall, nämlich dem von Henry Lee Lucas, erzählt er grausame Episoden aus dem Leben eines Triebtäters (unsterblich verkörpert von Michael Rooker): Dem Zuschauer bleibt keine andere Wahl, als sich in diese Figur zu versetzen, obwohl es keinerlei vulgärpsychologische und unterhaltungskulturelle Steigbügel gibt.
Optimum Releasing
Henry - Portrait of a Serial Killer
Jahr: 1986
Regie: John McNaughton
Darsteller: Michael Rooker, Tom Tawles, Tracy Arnold
Fassung: Sehr empfehlenswert ist die britische DVD von Optimum Home Releasing, die mittlerweile auch für unter 10 Euro zu haben ist. Darauf präsentiert sich der Low Budget-Schocker in hervorragender Bild- und Tonqualität, die Disc beinhaltet zudem ein gute Interview mit Regisseur McNaughton sowie einen Audiokommentar. In den USA ist der Film bereits auf Blu-ray veröffentlicht worden: ein Import lohnt sich aber aufgrund der hervorragenden britischen DVD nicht wirklich.
Es ist, was es ist: ein Zufall. Beim Ansehen dieser nach dem Shuffle-Prinzip ausgewählten Filme stellten sich in meinem Kopf Mikro-Erzählungen ein, man beginnt Stimmungsähnlichkeiten festzustellen, meint inszenatorische Doppelungen, teilweise sogar Verweise zu finden. Das sind die Geschichten, die das Kino vor allem zu erzählen hat: Geschichten über ihre Zuschauer, die sich all die Peter Pans, Jimmy Deans und Henrys dieser Welt aneignen, und sie ein Stück weit in ihre eigene Wirklichkeit einsteigen lassen.