Erstellt am: 19. 6. 2010 - 01:55 Uhr
Sich abarbeiten an Hans Dichand.
Der 17. Juni 2010 wird sich als historisches Datum in der österreichischen Medien-Geschichte einbrennen.
Einerseits wurde im Parlament das neue ORF-Gesetz beschlossen (mit den Stimmen der Koalitionsregierung und der FPÖ), das (unter anderem) eine (zumindest vorläufige) Verabschiedung des öffentlich-rechtlichen Schlachtschiffes vom Web 2.0 beeinhaltet; und zwar in einem größeren Umfang, als es die Mitbewerber (VÖZ) eigentlich angestrebt haben.
Denn die werden die zutiefst öffentlich-rechtlichen Angebote, die betroffen sein werden (zuerst die Futurezone, dann auch andere Seiten...), nicht herstellen - keine schnellen Gewinn-Margen, also uninteressant. Zudem versagt sich das Unternehmen (wie das einer der diesbezüglichen Vordenker formulierte) auch nur die Möglichkeit des Nachdenkens über den nächsten Schritt, also der demnächst aufschlagenden 3.0-Revolution.
Das wird noch gravierende Probleme nach sich ziehen.
Ein Gesetz ist allerdings nur für ein paar Jahre gültig, ehe es novelliert oder ersetzt wird - der Tod hingegen währt für immer.
17-06-10: Beschluss des ORF-Gesetz und Dichands Tod
Armin Thurnhers erhellender Nachruf
Insofern ist das andere Ereignis des Tages, der Tod des Tycoons Hans Dichand, das wohl bedeutendere.
Nicht einmal 48 Stunden nach dem Ableben des Kronen-Zeitung-Erfinders und Wahl-Onkels der Wichtigen des Landes, das eigentlich offizielle Trauer-Beflaggung nach sich hätte ziehen müssen (schließlich war Dichand der politisch wirkungsmächtigste Mann des Landes, deutlich vor Kanzlern, Präsidenten, Kapitänen oder Tribunen, die das nach offiziellen oder ökonomischen Richtlinien sein mögen), wird das Imperium des fast 90 Jahre alt gewordenen Medien-Kaisers schon ordentlichen Zerrüttungen unterzogen.
Erben und Partner gehen in den Infight um die Macht, noch ehe das Begräbnis stattgefunden hat. Und es wird, das steht aufgrund komplexer Vertragsbedingungen, die tatsächlich an Dichands Lebenszeit geknüpft waren, wirklich kein Stein auf dem anderen bleiben.
Was, warum, wie
Um das Lebenswerk Dichands, nämlich die Allmacht der Kronen-Zeitung in Österreich, fortzuführen oder zu zerstören, gilt es einmal die Gründe dafür zu verstehen.
Das WAS ist ja recht klar: Die Kronen-Zeitung gibt sich als Sprachrohr des einfachen Bürgers, repräsentiert den Volkswillen und campaignisiert. Das alles nicht mit journalistischen Mitteln, sondern als medial aufgemotzter Herrgottswinkel, als Klagemauer und Stammtisch für das Bewahrende.
Wichtiger sind aber die Fragen nach dem WIE und dem WARUM.
Die Gründe, die die One-Man-Show Dichand (der sein Imperium über lange Jahre und entsprechend eingeschliffene Mechanismen auf sich und seinen Stil eingeschworen hat) antreiben, erklärt Armin Thurnher hier sehr anschaulich. Dichand sei ein Überzeugungstäter gewesen, der an die Bedeutung seiner Botschaft und die Richtigkeit seiner Vision von einem von nationalem Anstand und volkstümelnder Moral geprägten Demokratie-Modell nach oligarchischen Vorbildern, wirklich geglaubt habe.
Die Kampagnen-Schleuder
Deshalb hat Dichand die Kronen-Zeitung auch nicht in erster Linie als Business-Modell und Cash-Cow gesehen, sondern als Macht-Instrument für inhaltliche Anliegen, als Durchsetzungs-Hebel auf der politischen Bühne, als Schleuder für Kampagnen, für langfristige Pläne und Konzepte.
Das größte Rätsel war aber immer die Frage nach dem WIE. Dafür gibt es bislang zu viele oberflächliche Gemeinplätze, die auf Klischee-Begriffen wie "messerscharfer Instinkt", "demoskopisches Sensorium", der unterstellten Vorausahnung von mehrheitsfähigen Tendenzen und Stimmungen basiert.
Mich erinnert das allzu sehr an die übliche (und irgendwie sehr österreichische) Verklärung von scharfem Denken und harter Analyse als von Zufall oder Genie quasi gottgegebener Erleuchtung, einem populistischen Taschenspielertrickt, der zuletzt anlässlich der WM in dieser Form aufgetaucht ist.
Web 2.0
Ich will das anhand eines Beispiels erklären.
Und zwar dem der großen Innovation, die die Kronen-Zeitung in den letzten Jahren aufgetan hat: der Bürger-Beteiligung im Blatt, dem ríesenhaft angewachsenen Leserbrief-Teil, dem sogenannten "Freien Wort", einer überlangen Sektion, in der das gesunde Volksempfinden sich in einer Form artikulieren konnte, die davor nicht üblich war.
Diese Instrumentalisierung der Leserschaft als Kampagnenhelfer ist die exakte analoge Entsprechung dessen, was in der Web 2.0-Revolution weltweit passiert. Wobei weltweit Österreich nicht beeinhaltet.
Hans Dichand war der einzige Mainstream-Medienmacher des Landes, der die Bedeutung und das Potential, das in der Audience Participation steckt, sofort erkannt und in aller Schläue auf sein Medium umgelegt hat.
Das ist auch deshalb in aller Deutlichkeit festzuhalten, weil alle anderen, die sich (im Gegensatz zu Dichand) eben nur für große Medien-Zampanos halten, aber doch nur Krämer sind, bis heute weder angedacht noch begriffen haben - dass just am Tag seines Todes ein ORF-Gesetz Zeugnis für diese Unkenntnis ablegt, ist ein kleiner Treppenwitz.
Die größten Blogs des Landes stehn in der Krone
Dichand hat die herumgewirbelten Stichworte wie den Bürger-Journalismus, die neue Lust am Sudern und Vernadern in noch völlig anonymisierten Foren, und den Spin der immer selben Stammtische-Debatten, die das Netz forciert, aufgegriffen und etwas daraus geformt: nämlich die beste Web 2.0-Seite des Landes, die gar nicht im Netz, sondern eben in der "Krone" stattfindet. Wo sie auch gleich eine Vielzahl User/Leser hatte.
Die wichtigsten Blogger Österreichs sind nicht Misik oder Unterberger, sondern die Stammleserbriefschreiber von Dichands Gnaden, die Herrenbauern des Freien Worts.
Dabei ist es im übrigen völlig egal, ob diese Leserbriefe ursprünglich alle erfunden waren oder nicht - wichtig ist nur ihr Einfluss. Denn: weil diese analogen Blogs, diese Fortsetzungs-Geschichten aus dem gesunden Volksempfinden, nicht von (berechenbaren) Profi-Journalisten stammen, sondern vom "Volk", wird ihnen von der Politik eine erhöhte Bedeutung zugeschrieben.
Im puren Wissen darum, dass diese Äußerungen das campaignisieren, was auch Dichands Weltbild entspricht.
Doppelter Selbstbetrug
Das wissen also alle: die echten Leserbriefschreiber, denen klar ist, mit welchen Kniffen und welcher Argumentation sie den Gefallen der Redaktion, des Chefs erhaschen und dementsprechend drauf hinschreiben ebenso wie die professionellen Leser aus den politischen Entscheidungs-Gremien, die dann den so genehmigten Diskurs über Ausländer mit dem Hinweis auf Volkes Stimme ebenso gleichgeschaltet führen und akzeptieren.
Doppelter Selbstbetrug beider Seiten - und trotzdem wird ein komplett undemokratischer Vorgang von allen Beteiligten als demokratischer Leuchtturm vorgeführt.
Das ist die Pervertierung des Bürger-Partizipations-Modells Web 2.0 auf österreichisch, eine zynische, aber grandiose Erfindung.
Diese raffinierte Kanalisierung des wichtigsten digitalen Massen-Phänomens für seine Zwecke, in sein Medium hinein, war die letzte der großen Leistungen Dichands für die Kronen Zeitung. Denn die explosionsartige Macht des "Freien Worts" hatte eine leise Krise des Blattes, dem teilweise auch von der eigenen Leserschaft bereits fade Nicht-Modernität vorgeworfen wurde, überwunden und in einen neuerlichen Auflagen-Sieg verwandelt.
Die Überwindung des Kampagnen-Journalismus
Eine Entwicklung so zu erkennen und so für die eigenen Zwecke zu drehen ist eine publizistische Meisterleistung.
Und das Verstehen dieser Vorgangsweise ist die Basis für die nötige Überwindung dieses Kampagnen-Journalismus, der täglichen Befehlsausgabe der Befindlichkeit, an der sich die Defintionsmächtigen des Landes blind orientieren.
Denn das ist jetzt wichtig.
Die Anmerkung, dass die Web-Verächter und Netz-Angsthasen in den großen und kleinen Verlagen, die Bronners und die Thurnhers sich selbst in diesem "modernen" Bereich nicht mit der Cleverness Dichands, an dem sie sich seit Jahrzehnten abarbeiten, messen können, dient in diesem Zusammenhang nur der Belustigung der Branche.
Die entscheidende Frage ist, ob die Freies-Wort-Analog-Blogs und die sie begleitenden Schlagzeilen-Kampagnen samt Wahlplakaten etc., in dieser Form weiterwirken werden, wenn sie den Übervater, auf den alle diese Werke ja hingeschrieben wurden, verloren haben.
Dichand 2.0
Ich denke, bis zu einem gewissen Grad: ja.
Egal ob in der Krone oder anderwo im populistischen Medien-Umland.
Die Form wird sich aber automatisch ändern. Das ist ein Automatismus der Generation.
Die nach alter Haarwix müffelnde Holzschnitzartigkeit, die sudetendeutsche Tümelei der Kriegs-Generation, der schwerfällige Duktus der alten Dünkel - das wird wegsterben wie der alte Hund nach dem Tod des alten Herrls schnell wegstirbt.
Die Erben, egal ob Dichands oder Pandis, stammen aus einer anderen Generation, die zwar womöglich ähnliche Werte, aber eine andere Tonalität bereithält. Und das betulich Altvatrische der Kronen-Zeitung, diese Volksschullehrer-Ansprache wird einer anderen, etwas zeitgemäßeren weichen, ganz automatisch.
Wie das aussehen kann, zeigt das Heute-Projekt von Dichand 2.0 ja eh schön vor. Da werden ganz flexibel gesellschaftliche Koalitionen geschlossen, die in Opas Krone nicht möglich gewesen wären.
Aber: Die exklusive Fähigkeit alles, was so vorgeht und interessant erscheint, für sein Projekt zu adaptieren, haben die Erben nicht - das hat wohl sonst überhaupt niemand. Deshalb wird die Krone (die künftig ja eher ein Business-Modell sein wird, in erster Linie) auch nicht mehr so unberechenbar sein.
Knackpunkt Wien-Wahl
Wie sich das praktisch auswirken wird, werden wir bald sehen. Die Wien-Wahl und die Position der Krone werden zentrale Aufschlüsse über die künftige Wahl der Mittel geben. Selbst wenn es wieder Kampagnen geben sollte - werden die sich noch mit "früher" vergleichen lassen?
Ich denke das so: Weil alles so stark auf den alten Chef hin ausgerichtet wurde, weil die alte Sprache so stark mit dem Toten verbunden wird, wird sie mit ihm begraben werden.
Das heißt keineswegs, dass das gekippte Land jetzt ganz von selber wieder gesundet. Dazu ist bereits viel zu viel freigesetzt worden, das auch keine Anti-Krone wieder einfangen könnte - es heißt nur, dass ein ganz bestimmter und lange unheimlich prägender Sound abgelöst werden wird.
In den letzten Tagen war viel davon die Rede, was in der Folge des Todes von Jörg Haider alles schon für beendet erklärt wurde - bei gleichzeitiger schandbarer Unterschätzung von Strache.
Im Fall von Hans Dichand ist aber kein Strache-artiger Fackelträger, kein Idiom-Übernehmer, keine an dieser Rolle interessierte Persönlichkeit in Sicht.
Wie lange sich das mediale Österreich noch an Dichand abarbeiten muss, wird auch ein guter Indikator für seine neue Stärke sein.