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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 6. 2010 - 21:34

WM-Journal '10-35.

Der englische Patient. Oder: was Deutschland vormacht ist Algerien recht - ohne Stürmer spielen.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel England - Algerien 0:0.

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Wayne Rooney ist verschwunden!
Schon wieder.

Im ersten Match gegen die USA war er in der 1. Halbzeit nicht am Feld.

Lampard war auch nicht da. Und Lennon, Heskey, Gerrard und der wieder fitte Barry waren wenigstens kurz auf Besuch.

So richtig da allerdings sind Terry und vor allem Carragher und Tormann James.
Die müssen.

Weil nämlich die Gäste, die eigentlich niemanden interessieren, sie dauernd zudecken. Mit Flanken, hohen und weiten, aus dem Halbfeld, von überall aus.
Komisch, hat der Außenseiter da eine Schwachstelle ausgemacht und bohrt die jetzt an?
Und: warum läßt sich das das 3-Löwen-Team gefallen? Und unternimmt nichts dagegen?
Richtig: weil einige ja nicht da und viele nur auf Besuch sind.

Der englische Patient hat sich nach dem eh schon nicht optimalen ersten Spiel weiter stark verkühlt - und tappst deswegen wie im Fieberwahn umher.
Wenn es nicht bald sinnhafte Medizin gibt, kann das noch ein übles Ende nehmen.

Die algerische Trickkiste

Was Algerien hier anstellt ist allerdings wirklich bemerkenswert. Die als schwächstes afrikanisches Team gehandelte Truppe, nicht nur von den heimischen Berichterstattern mit Ignoranz und Nichtwissen gestraft, hat nach dem ersten Match, das ihnen die Kritik stärker um die Ohren gehaut hat als es verdient war (denn alles war auch da nicht schlecht), strategisch alles neu gedacht.

Nach dem Spiel sagt selbst Capello, dass er überrascht von der Offensiv-Variante der Algerien war.

Nominell schaut das immer noch aus wie ein 4-2-3-1, aber...

... es steht (wie eine gute halbe Stunde lang heute auch in Team Deutschland) kein echter Stürmer auf dem Platz, Matmour ist ein offensiver Mittelfeldspieler. Was aber nichts ausmacht, weil...
... der eigentliche Stoßstürmer kommt aus dem Mittelfeld. Hassan Yebda (ein Mann mit Portsmouth-, also England-Erfahrung), der blondierte Typ, stößt bei Ballbesitz immer in die vorderste Spitze um für die schon angesprochenen Flanken da zu sein. Die sollen rechts von Boughera oder Kadir, links von Belhadj oder Ziani kommen. Dazu dürfen es auch Longpasses von Boudebouz sein.
... im Offensiv-Fall sind so sieben potentielle Angreifer verfügbar.

Die rollen nicht alle immer vor.
Aber: wenn Algerien mit vier oder fünf Leuten angreift und den angesprochenen Masterplan verfolgt, dann rappelt es vor der Kiste im Fünf-Meter-Raum der Engländer.

Und allein das geschafft zu haben, ist aller Ehren wert.
Und wieder einmal ist so eine clevere Strategie eines Kleinen (der sonst ja keine Waffe gegen einen Großen hat) vorbildlich. Und sollte sich bereits in den Notizbüchern der heimischen Coaches finden. Naja, sollte halt nur.

Diese Notizbücher gibt es halt nur nicht.
Die sind verschwunden wie Wayne Rooney.
Ob der in der zweiten Hälfte noch vorbeikommt?

Nix verändert sich von selber

... und je mehr man drauf hofft, wie auf den Lotto-Sechser, desto gelähmter wirkt alles, was man so tut.
Fabio Capellos Team bringt auch in der 2. Halbzeit keinen Fuß auf die Erde. Auch als zehn Minuten vor Schluß auf 4-3-3 umgestellt wird. Weil: am System liegt es nicht. Sondern an der Umsetzung.

Allerdings geben sich Raadane Algerier dann auch ein wenig schnell mit dem Remis zufrieden. Rechnerisch ein wenig gewagt, weil man selbts mit einem Sieg im letzten Spiel nicht fix weiterkommt - aber es ging wohl darum die angeknackste Ehre nach dem Frust des ersten verlorenen Spiels wiederherzustellen.

Und gegen einen Großen, den Gruppen-Favoriten ein - sogar total gerechtes - Remis zu erzielen, das ist schon etwas, was man sich in den persönlichen Brief-Koprf drucken läßt.
Taktisch haben die heute sehr flexiblen Algerier den Job in jedem Fall echt grandios erledigt. Sie haben in jeder Situation überrascht, immer Gegenwehr geboten, sich vor allem technisch über England gestellt und somit - zumindest daheim - Reputation gewonnen.
Da können sich die Profi-Verächtlichmacher des heimischen Boulevards noch so sehr erheben: ich kann mich in den letzten 25 Jahren an kein Turnier-Spiel der österreichischen Nationalmannschaft erinnern, in der diese eine auch nur ansatzweise so gute strategische Leistung gebracht hat.

Ja, und: wenn jemand Wayne Rooney sehen sollte - ihn bitte grüßen und sagen, dass er doch endlich vorbeikommen soll bei der WM!

Gruppe C, Runde 2, Fazit:

Erschreckend, wie sich auch die im Vorfeld scheinbar klaren Fronten innerhalb weniger Minuten verschieben können wie Fratzen im Horrorfilm.

Slowenien als Tabellenführer, das ist natürlich absurd - allerdings stellt sich durchaus die Frage, wer denn in der Gruppe C aktuell wirklich die beste Mannschaft ist?
England? (Schweigen im Walde)
Die USA? (hüstel)
Algerien nominiere ich nicht ernsthaft.
Also doch Slowenien?
Nein. Die sind sicher eine feine Truppe, haben aber zweimal auch so richtig Glück gehabt.

Die Ausgangs-Position für den 3. Spieltag gibt dann Auskunft.
England (2 Punkte) muss gegen Slowenien (4) gewinnen um nicht ins Elend zu versinken. USA (2) braucht gegen Algerien (1) auch einen Sieg um mitzugehen. Algerien hat absurderweise nur dann eine Aufstiegschance, wenn (eigenen Sige vorrausgesetzt) Slowenien zumindest ein Remis erreicht.

Es hängen also die zwei Großen ebenso wie die zwei Kleinen als Schicksals-Gemeinschaft zusammen.