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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 6. 2010 - 14:42

WM-Journal '10-33.

Was den "neuen" Favoriten Deutschland vom "alten" Favoriten Spanien unterscheidet - obwohl sie beide sensationell 0:1 verloren haben. Plus: serbisches Comeback.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.

Die Fakten zum Spiel Deutschland - Serbien 0:1.

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Es war nicht exakt die Strategie der Schweiz, mit der Serbien in sein Spiel der letzten Chance gegen Gruppe-Favorit Deutschland ging. Dazu war man dann doch zu offensiv aufgestellt, mit letztlich vier recht offensiven Mittelfeldspielern.
Allerdings: was das Verengen der Räume, das Pressing, die Laufarbeit und die Antizipation der feindlichen Aktionen betrifft, hat sich Radomir Antic einiges bei Ottmar Hitzfeld abgeschaut.

Es ist auch nicht wirklich die Spielanlage der Spanier, die das DFB-Team betreibt. Sie kommen zu ihren Chancen, indem sie sich schnell nach vorne kombinieren und in Strafraum-Nähe sofort den Abschluss suchen - während die Spanier sich auch da noch in Passes verlieren.
Allerdings: die Probleme, die Deutschland mit einer tighten, defensiv erstklassig organisierten gegnerischen Mannschaft hat, sind doch offensichtlich.

Und: wenn man sich dann in einem Kampfspiel auch noch recht sinnlose gelbe Karten einfängt, die letzte Ermahnung des Schiedsrichters überhört und dann noch in der ersten Halbzeit einen Mann verliert, wird es eng.

Und Deutschland beginnt zunehmend an das spanische Schicksal zu denken: als besseres Team, als der Favorit gestartete, steht man plötzlich mit dem Rücken zur Wand. Die Löw-Truppe, nach der ersten Runde sowas wie der neue Favorit, sind unter Druck.

Die neue Seuche: Favoriten unter Druck

Ich denke, dass das jedem Team, das sich als das jeweils grad beste herausstellt, passieren wird. Am dritten Gruppenspieltag etwa der Mannschaft, auf die sich die Weltöffentlichkeit nach dieser zweiten Runde einigt, im Achtelfinale dann die, die in der dritten Runde am besten ausgesehen hat usw.

Es liegt am deutschen Spiel der zweiten Halbzeit, den Teufels-Zirkel gleich einmal zu durchbrechen und zurückzukommen.

Und dort hat man sich aus gleich mehreren Gründen wesentlich weniger gut aus der Affäre gezogen als das spanische Vorbild: das Herausspielen von Chancen klappte kaum, und wenn, dann verschluderte sie Lukas Podolski.

Ich habe auch, im Gegensatz zu einigen Postern, keine deutsche Überlegenheit gesehen - die Serben waren immer näher dran am zweiten Tor und immer gefährlicher. Es gab auch keinen deutschen Überhang bei substanziellen Spielanteilen, wenig wirklich gute Kombinationen (wie im ersten Spiel), was auch mit der dummen Herausnahme von Özil zu tun hatte.

Zudem sind auch andere personelle Zweifel angebracht.
Badstuber als Schwachstelle auszumachen war nach dem ersten Spiel nicht so schwer (halt auch ein Glück, dass Krasic gegen ihn das Spiel seines Lebens machte) - aber da hätte Löw reagieren können.

Nach dem Ausschluss von Klose ganz lange Zeit ohne Stürmer zu spielen - diskussionswürdig.

Dann ausgerechnet die beiden Besten, Müller und vor allem den sensationellen Passgeber Özil runterzunehmen - eher doof.

Dazu brachten sämtliche Einwechselspieler zu wenig: Gomez unsichtbar, Cacau blass und der quirlige Marin war zwar flott unterwegs, verzog sich aber seltsamerweise auf die linke Seite, also die, wo eh Podolski herumpolterte. Rechts hingegen war niemand zu finden - wie kann man nur eine ganze Angriffsseite aufgeben? Ich dachte, so ein Unfug ist Peter Pacults Exklusivrecht!

Deutsches Himmelhochjauchzen wird jetzt Zutodebetrübt

Wir kennen die deutschen Medien und auch die deutschen Mitbürger in Österreich: Im Erfolgsfall aufgeplustert (was sich in üblem Pocherismus aber auch in euphorischer Welthaxenausreiß-Stimmung äußern kann) - im Fall der Niederlage selbstzerstörerisch, defätistisch, sofort nur das Allerschlimmste befürchtend. Also noch nerviger.

Genau das wird jetzt passieren.
Und weil ich das so hasse, und weil mir auch vor dem Backlash, der da im Endeffekt drohen könnte (weil die populistische Bayern-Mafia, die Breitners und Loddars, Das Grauen schlechthin, die Macht übernehmen könnte), so graut, gefällt mir das gar nicht.
Denn: soviel man auch kritisieren kann - es hätte alles auch anders laufen können; viel hat nicht gefehlt.
Also: nicht tuts euch anscheißen und selber das eigene Fell zerbeißen, deutsche Gastleser - das kann schon werden und immer noch reichen.

Offenbar haben die Serben eine Dreier-Wette platzieren lassen: dass sie in jedem Spiel einen Hands-Elfer verursachen. Mit sowas kann man, sagen die Sapinas, super Geld machen.

Serbien war nach einem Match, in dem man klinisch tot war (gegen Ghana war kein Leben in dieser Truppe) kaum wiederzuerkennen - das tollste Comeback seit Lazarus.
Der bereits erwähnte Krasic, auch Jovanovic auf der anderen Seite, alle Kurbler im Mittelfeld, vor allem auch der eingewechselte Kacar, die gut und dicht stehende Abwehr - und Zigic die fliegende Festung: Alle zeigten sie spielerische Emotion, wo davor nur komatöses Geröchel war. Und sie sind wieder mittendrin im Aufstiegsrennen, das nach der ersten Runde so klar schien.