Erstellt am: 17. 6. 2010 - 21:27 Uhr
WM-Journal '10-32.
Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der Übersicht.
Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.
Die Fakten zum Spiel Frankreich - Mexico 0:2.
Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.
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Also: ich behaupte jetzt einfach was.
Nämlich dass das das bislang vergnüglichste Spiel dieser WM ist.
Ja, es steckt voller Fehler und Fahrlässigkeiten, aber es wogt und wuchtet hin und her wie ein von kühlem Wind gestreicheltes Kornfeld im Sommersonnenglanz. Es strahlt eine unterschwellige Wildheit aus, ohne dabei ins Brachiale zu kippen.
Ich mag dieses Spiel.
Und das wundert mich dann doch, weil meine aktuellen Nicht-Freunde, die Franzosen dran teilnehmen. Aber: auch die tragen dazu bei, dass es tost und kost in Polokwane. Im übrigen dem ersten Stadion, in den die Vuvuzela nicht die Sound-Herrschaft besitzt, fragt mich nicht warum.
Klar, Frankreich spielt ein komisches 4-2-3-1, läßt seine Offensiv-Reihe (der wieder einmal kaum sichtbare Govou rechts, Ribery diesmal zentral und Malouda links) sehr statisch agieren und bringt eigentlich wenig zustande (wenn dann über Sagna rechts hinten): und trotzdem sieht die Equipe Tricolore gut aus. Vieleicht auch weil sie sich als Supporting Actor mit der Hauptdarstellerin Mexico so gut ergänzt.
Die schöne Leading Actress...
Die sind taktisch und spielerisch einfach, ich wiederhol mich da in meinen Äußerungen vom 1. Spiel, ich weiß, eine Wucht.
So flexibel muss man erst einmal spielen können.
Und: so sauber muss man als Abwehr einmal die Bälle aus den Gefahrenbereichen bringen - da wird nicht blind gedroschen, da wird gepaßt. Zum Weinen schön ist das.
Wieder einmal fehlt es an Effektivität, sind Giovani, Franco und Vela (dann Barrera) vorne herrlich bemüht und ebenso erfolglos.
Aber: solange ich dieses Kornfeld-Gefühl habe, kann dieses Spiel ewig dauern; vor mir aus auch ewig 0:0...
Vorahnungen und so...
Vielleicht war die Freude die ich an diesem Spiel hatte und immer noch habe, auch mit der Vorahnung verknüpft, dass die Mannschaft, die einen Fußball spielt, den ich verehre, es schaffen wird - in the end.
Nämlich nicht nur sogar die pomadigen Franzosen gut aussehen zu lassen, sondern auch zu gewinnen. Ja, mit einem Fast-Offsidetor und einem Elfer. Aber: hat den der alte Blanco, den ich auch schon in Rente schicken wollte, nicht brillant geschossen? Wenn sie ihn alleine dafür mitgenommen haben, dann ist mir das recht (mir fallen da gerade die Euro 08 und Vastic ein).
Auch die 2. Halbzeit war, zu jeder Phase, ein Genuß. Soviel hochwertige Technik, soviel geraffte Antizipation, soviel kalkuliertes Risiko - ganz wunderbar.
Frankreich sackte immer deutlicher ab, war nur noch Stichwortgeber, bis hin zu dem Moment, wo man gar die Torte ins Gesicht bekam.
Berechenbares Desaster
Und das auch zurecht.
Denn wer sich so aufgibt, wer so wenig initiativ und spieldenkfaul auftritt, der muss scheitern.
Allen voran schuld an der Misere: Raymond Domenech, unser narrischer Eso-Freund und Aufstellungs-Auspendler, den der französische Verband zwar schon abgesetzt hatte, aber die WM noch machen ließ. Was für ein (nach der verpatzten Euro) höchst berechenbares Desaster.
Dann kommen auch schon die Egos: Gallas und Henry, Anelka und Evra, Ribery und Malouda, alle gegen alle, kein common sense, gar nix.
Das sah man indirekt auch auf dem Platz - Stichwort inexistente Rochaden. Wer Angst um seinen Standort hat, bewegt sich nicht - und im Fußball ist das spielentscheidend.
Fantasie und Präsenz
Mexico ist eine der flexibelsten und somit interessantesten Teams des gesamten Turniers. Die Offensive organisierte sich innerhalb des Spiels gleich zweimal komplett neu. Und es schien egal ob sich Giovani als Spielmacher hinter den Spitzen oder Flügel oder vorderster Angreifer versteht - er füllte die Rolle immer mit Fantasie und Präsenz aus.
Dass auch Jungstar Javier Hernandez das Zeug zu wirklichem Weltruhm hat, merkte man an seiner Interpretation dessen, was bis zur 60. Minute Franco spielte - den Mittelstürmer. Bei Hernandez sieht das alles so viel weniger statisch, so viel lebendiger aus. Dazu der vielseitige Barrera und natürlich die exzellenten Außenspieler Osorio und Salcido, die immer für zusätzlichen Druck sorgten. Die Abwehr und ihre Ballbehandlung samt Spielaufbau hab ich ja bereits gewürdigt.
Und dass Rafa Marquez diesmal gar die Kapitäns-Binde bekam (im ersten Spiel war die noch bei Torrado gewesen) brachte ihm zusätzlichen Antrieb - der Traum-Lupfer vorm ersten Tor entkam seinem Schuhwerk.
Eigentlich will ich diese Mannschaft noch ganz schön lange sehen...
Gruppe A, Runde 2, Fazit:
Das sieht sehr sehr interessant aus in dieser heimlichen Lieblings-Gruppe.
Meine kleine Voraussage, dass sich von vier zuletzt nicht unbedingt von Glück oder Erfolg gesäumten Teams zwei durch diese WM freispielen können, hat (rein rechnerisch logisch) gepaßt:
Frankreich hat sich aus einer schwelenden Krise in ein Desaster gespielt, muss eigentlich schon jetzt neu aufbauen. Vielleicht sollte Domenech sofort heimfliegen und Henry das Team fürs letzte Spiel betreuen lassen.
Südafrika hat sich aus der Dauer-Krise der letzten Jahre nur kurzzeitig befreit, und hat noch ein Spiel Zeit für Rehabilitation. Ausgerechnet gegen die Franzosen. Das kann was werden.
Entscheidend wird sein, wer den Druck besser aushält.
So, und dann glauben ja alle, dass sich Uruguay und Mexico quasi schon auf ein Remis im letzten Spiel geeinigt haben, weil das ja beiden den Aufstieg bringt.
Ja, in der Theorie.
In der Praxis will keine dieser beiden Mannschaften zweiter werden - unter allen Umständen soll das vermieden werden. Weil man sonst nämlich im Achtelfinale gegen den Sieger der Gruppe B kommt, und das wird (davon können wir ausgehen) Argentinien sein.
Und, ja, vor allem Uruguay, aber auch Mexico hat fast schon panische Angst vorm hispanoamerikanischen Dominator. Das wolle beide mit allen Mitteln verhindern, glaubt mir.
Uruguay wurde von Maradonas Wackeltruppe durch ein Bolatti-Tor in die Relegation geschickt (die Fortsetzung der langen Krisen-Selbstzweifel). Und die Bilanz von Mexico (die die Krise der letzten Jahre - Kontinental-Meisterschaften an die USA verloren, in der Quali lange schlecht ausgesehen) seit der Übernahme von Aguirre vor etwa einem Jahr bereits sichtbar überwunden hat, sieht genauso verheerend aus.
Die zwei werden sich's also im letzten Gruppenspiel durchaus geben. Was den zwei an sich hoffnungslosen Underdogs in Parallel-Spiel dann wieder Chancen eröffnet.