Erstellt am: 17. 6. 2010 - 16:54 Uhr
WM-Journal '10-31.
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Die Fakten zum Spiel Nigeria - Griechenland 1:2.
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Was wäre das fadestmögliche Aufeinandertreffen zweiter europäischer Teams auf höherer Turnier-Ebene (um da die Kleinen außen vor zu lassen)? Mein Tip for the Top: Schweden gegen Griechenland. Die kreuzbraven, biederen 4-4-2 Nordmänner (die aktuell zurecht zu schwach für eine WM sind, auch weil sie von ähm Lars Lagerbäck geführt wurden) und die das Elend des öden Defensiv-Kicks mit klassischer Dramatik verkörpernden Griechen.
Und, Pardauz - genau dieses Spiel haben wir hier bekommen. Die Schweden stecken zwar in nigerianischen Dressen und versuchen manchmal noch was Gewitztes (wie Ibrahimovic oder Henrik Larsson) - aber das Spiel läuft in den erwähnten Mustern.
Sind wir im falschen Film?
Ja und nein.
Denn mit Lars Lagerbäck inszeniert eben ein Schwede das zutiefst schwedische Spiel der völlig gebrochenen nigerianischen Nationalmannschaft.
Es ist so wie hier vorgeahnt: "Lagerbäck nützt also die akute Schwäche der Mannschaft, um sein altes System zu implementieren, eine Strategie, die dem nigerianischen Spiel, das mit drei Spitzen attackieren will, total zuwiderläuft.
Fragt sich, ob es das im zweiten Spiel auch noch darf; wer sich also im ewigen nigerianischen Machtpoker zwischen Spielern, Coach und Funktionären diesmal durchsetzt. Die Aufstellung im nächsten Spiel wird es weisen."
In der Hand des faden Schweden
Hat es.
Man hat sich in die Hand des Trainers begeben.
Natürlich wird der im Nicht-Erfolgsfall sofort entlassen und das alte System wird zurückwuchern.
Denn: schlecht ist das nicht. Es wird nur aktuell von zu wenig Verve befeuert und von zu wenig Klassespielern befüllt.
Weshalb der Rückzug aufs Sicherheits-System von Lagerbäck eine provisorische Lösung zu sein scheint.
Gegen die anfänglich inferioren Griechen reicht es.
Das Vierer-Mittelfeld ist nicht wie sonst fürs Erschaffen von Kreatitvität zuständig, sondern fürs Ballhalten und -weiterschieben. Nicht einmal Uche, links, darf etwas riskieren, außer brav auf seiner Seite nach vor zu stoßen.
Im Angriff assistiert Odemwinigie Yakubu - keine Rede vom offensiven Flügelspiel des vormaligen Dreiersturms.
Das ist sehr sehr langweilig.
Griechenland spielt ein noch defensiveres System als im 1. Spiel, kaum glaublich, aber wahr. Zwei defensive in Mittefeld vor einer 5er-Abwehr und einer der drei nominellen Angreifer ist rechts Kapitän Karagounis, auch kein wirklich offensiver Mann. Das 5-2-3 (von mir aus, wenn man die Außenverteidiger ins Mittelfeld rechnet ein 3-4-3) ist reine Augenauswischerei.
Und dann trat Kaita...
Mitten hinein in diese brechende Langeweile: Sani Kaita deutet einen Tritt gegen Torosidis an, fliegt dafür vom Platz und ab der 35. Minute bricht das alte Spiel völlig in sich zusammen - und ein neues entsteht.
Während sich Lagerbäck auf ein 4-4-1 zurückzieht (Odemwingie statt Kaita rechtsaußen), bringt Rehhagel einen echten dritten Stürmer (Samaras) für seinen Dreier-Angriff, löst die Fünfer-Abwehr auf und läßt mit einem ernsthaften 4-3-3 angreifen, richtig nach vorne spielen, selbst Karagounis und auch Katsouranis tun was nach vorne, holla!
Und, schau an: sie könnertens ja, die Hellenen.
Was da in den letzten zehn Minuten abgeht - na bumsti!
Der verdiente Ausgleich ist die Folge.
Und wenn sich nicht in der Pause wieder die geistige Fadesse von zuvor einstellt, kann sich selbst ein graues Spiel wie Schweden gegen Griechenland noch zu einem Hit mausern.
Nun, "Hit" wurde es keiner...
... dazu war das Level dann doch zu schwach; aber spannend.
Und das weil die bislang deutlich schwächlichste Mannschaft dieser WM in der 35. aufgewacht ist. Sie hatten den richtigen Gegner vor der Flinte, sie haben die Verwundbarkeit der blassen Neo-Schweden erkannt und ihnen dann beinhart immer auf die Wunde geklopft.
Und als selbst der beste, nein, der einzig gute Nigerianer, der grandiose Vincent Enyeama, der davor sein Team xmal im Spiel hielt und sagenhafte Bälle rausfischte, sich genau einen Fehler erlaubte, war es vorbei.
Lagerbäcks Fad-Truppe wollte nicht, sie konnte nicht. Da war Katastrophen-Yobo hinten, keine Substanz im Mittelfeld und es wurden vergebene Angreifer auf Halbpositionen gefesselt.
Das nordische Experiment mit Lagerbäck ist unsatgbar gescheitert und sollte eine Warnung für alle afrikanischen Teams sein: nicht alles was aus Europa kommt und wo Taktik oder Disziplin draufsteht, kann etwas. Das schwedische System ist außerhalb des Norderns unspielbar.
Raus aus der Leichenstarre
Die neu erwachten Griechen verdanken es auch einigen herausragenden Einzelleistungen, dass sie der Gruft in die sie die Mumie schon gelegt hatte, wieder entkommen sind. Tzorvas, der entscheidende Bälle hielt. Kyrgiakos, der sowohl hinten als auch vorne Kopfbälle setzte. Torosidis, der einen vorbildlichen linken Verteidiger gab und sowohl den Auschluß als auch das Entscheidungs-Tor fixierte. Salpingidis und dann Samaras, die über die Außen-Positionen unerhörten Druck machten. Und das gesamte zentrale Dreier-Mittelfeld Tsiolis-Katsouransis-Karagounis schaffte es nach 120 Minuten der Leichenstarre Akzente jeder Art zu setzen: sie paßten, sie schossen, sie bereiteten vor, sie blockten als wäre der Teufel hinter ihnen her.
Schließlich kam dann auch noch das Regie-Talent Ninis - wer weiß wieviel Angst Rehhagel hat diesen Kreativling einzusetzen, kann erahnen, wie sicher sich die Griechen fühlten.
Zurecht.
Sie hatten mit den waidwunden Super-Eagles den perfekten Gegner um sich zu rehabilitieren.
Gruppe B, Runde 2, Fazit:
Natürlich ist Argentinien King.
Bei der Gruppen-Konkurrenz fällt das aber nicht schwer.
Alle drei Gegner stehen drei Klassen drunter.
Nigeria zerlegt sich selber, auf dem Platz und abseits des Platzes, gibt einem öden Schweden und seinem noch öderem System zu viel Raum und katapultiert sich so ins Elend.
Griechenland zeigte zwei Gesichter. Und im letzten Spiel gegen Argentinien wird das wieder das Stur-Defensive sein. Und das wird sich, wie wir heute gesehen haben, nicht ausgehen. Diese Griechen sind nur am Leben, wenn sie was wagen.
Südkorea hat das 2. Spiel offenbar von vornherein w.o. gegeben - und will mit einem Sieg gegen Nigeria alles klar machen. Und das ist ihnen in jedem Fall zuzutrauen.