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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

23. 6. 2010 - 12:02

"Super Mario Galaxy 2" und die Spielekritik

Ein kurzes Lob und ein langes Abschweifen.

Herr Keuschnigg hat schon weit über 50 Sterne. Bei mir sind es gerade mal läppische 30. Ich versuche, jeden Moment der Perfektion in "Super Mario Galaxy 2" zur vollen Entfaltung zu bringen, obwohl das gar nicht notwendig ist. Das Spiel ist zum Bersten mit Perfektion gefüllt. Die ewige Sorge, dass die in so gut wie jedem interaktiven Unterhaltungsprodukt auftretenden Schwankungen in Dramaturgie, Spannung, Abwechslung und Motivation auftreten, kann man hier getrost ausblenden - ein rares Privileg.

Ein Bildschirmfoto aus dem Videospiel "Super Mario Galaxy 2": Ein Raumschiff, das aussieht wie der Kopf von Super Mario.

Nintendo

Video game suffering

Der Umstand, dass ein inhaltlich makelloses Produkt bei Spielen immer noch die Ausnahme ist, holt leidenschaftliche Verkünder der Videospielkultur wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Großvater "Pong" ist noch nicht mal 40 Jahre alt, und die hohe Komplexität von Games - allem voran die Tücke der Interaktion zwischen Spieler und Spiel - erschwert den steinigen Weg zur angestrebten Perfektion erheblich.

Glücklicherweise sind die Spielenden mit ihren Games mitgewachsen. Wer bereits in den 1980er Jahren Computerspiele gespielt hat, weiß, wovon ich schreibe. Gamer sind geduldig und geübt im Leiden. Zeitgenossen mit ausgeprägten Ehrgeiz-Neurosen entwickeln darüber hinaus früher oder später einen Hang zum fortgeschrittenen Masochismus. So etwas nennt man in der Fachterminologie dann "Core-Gamer". Ein Core-Gamer ist stets seinem (es betrifft fast ausschließlich Männer) Stolz verpflichtet und spielt auch dann, wenn es quälend schwer, unfair, langweilig, spielerisch durchwachsen oder einfach nur schlecht ist. Das Prinzip des Durchspielens wird zur obersten Maxime, von Online-Games und deren kompetitiven Dynamiken ganz zu schweigen.

How high can you get?

Wer sich beruflich mit Computer- und Videospielen beschäftigt, lernt, den Umgang mit Leid und Langeweile auf eine professionelle Ebene zu heben und sich auf die positiven Momente zwischendurch zu freuen. Von einem Videospielredakteur wird erwartet, dass sie oder er alles richtig lange und ausgiebig testet, um möglichst viele Inhalte zu sehen und Schwächen zu erkennen. Aber trotz des hohen Aufwands ist meist bereits der erste Eindruck das Fundament für alles, was danach kommt.

Ein Bildschirmfoto aus dem Videospiel "Super Mario Galaxy 2": Ein riesiger Drache greift Super Mario an.

Nintendo

Seitdem ich selbst das Privileg genieße, mich mit Games in einem beruflichen Kontext zu beschäftigen, bin ich paradoxerweise dazu übergegangen, ausgiebiges Antesten und gezielte Blicke dem tiefen Eintauchen in einzelne Titel vorzuziehen. Bis auf Ausnahmen habe ich mich von der Idee des Core-Gaming weitgehend verabschiedet. Einerseits aus zeitlichen, pragmatischen Gründen, andererseits weil nicht einzusehen ist, warum man bei vielen Spielen erst mal einige Stunden lang gequält wird, bis es irgendwann vielleicht doch noch gut wird.

At first sight

Ein Kollege des von mir sehr geschätzten Heinrich Lenhardt, seines Zeichens deutscher Games-Journalist der ersten Stunde ("Power Play", "PC Player") hat einmal behauptet, das Lenhardts Stärke darin liegen würde, nach 15 Minuten Spielzeit zu erkennen, ob ein Game, grob gesagt, etwas taugt oder nicht. Vor einiger Zeit haben zwei der "Spieleveteranen" eine Videoblog-Serie gestartet, die in eine ähnliche Kerbe schlägt. Zwei Spielejournalisten spielen jeweils dasselbe Game unabhängig voneinander eine Stunde lang, lassen die Kamera laufen und schneiden das Rohmaterial auf einen Clip, der 10 bis 20 Minuten dauert. Die ultimative Frage dabei lautet: Würdest du dieses Spiel weiterspielen wollen?



Videospiele werden immer vielseitiger. Eine einzige Form der Testbesprechung wäre aufgrund dieser Vielfalt anmaßend (ein Problem, das den Games-Journalismus übrigens schon länger, machmal auch humorvoll, beschäftigt). Nicht jeder Titel will sich nach fünf Minuten entfalten und seine Qualität durch sofortige Zugänglichkeit beweisen, und das ist das Recht jedes Game Designers bzw. Game Studios. Das sollte auch von Journalisten respektiert und in der Berichterstattung widergespiegelt werden.

Doch ohne Prioritäten und ein Fundament, gebaut durch die Analyse der eigenen Emotionen und ein Grundvertrauen in die unmittelbaren Empfindungen beim Spielen, ufert jede Berichterstattung aus. Die 2000er Jahre haben das in einigen populären Fachmagazinen bewiesen: Die detailverliebte Statistik wurde zum Götzen erhoben und ein schlechter Ersatz für Intuition. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die Einführung der bizarren "Spielspaß-Kurve". Daran kann man erkennen, dass z.B. das jeweilige Game ab Stunde 2 lustig wird und zwischen Stunde 6 und 8 starke dramaturgische Einbrüche hat. Darauf kann man sich dann schon mal freuen.

Immer weiter durchbrechen

Ein Bildschirmfoto aus dem Videospiel "Super Mario Galaxy 2": Mario und Yoshi finden einen goldenen Stern.

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"Super Mario Galaxy 2" ist von Minute 1 an super und bleibt es über Stunden hinweg. Es ist eine einzige zur X-Achse parallele Linie ganz oben beim Spielspaß: leicht und zugänglich ebenso wie hart und herausfordernd.

Lade deine nichtspielenden FreundInnen ein und drück' ihnen Wii Remote und Nunchuk in die Hand. Probier's an dir selbst aus und versuche, den 242. Stern zu holen.