Erstellt am: 16. 6. 2010 - 16:59 Uhr
WM-Journal '10-27.
Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der schönen Übersicht.
Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.
Die Fakten zum Spiel Spanien - Schweiz 0:1.
Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.
Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika.
Das FM4 WM Quartier im Wiener WUK
Wenn es nach dem Respekt geht, der einem Gegner entgegengebracht wird, dann ist Spanien bereits Weltmeister.
Denn das was die Schweiz, also keine Pimperl-Truppe, keine Exoten, sondern die gutsituierte, gutorganisierte und sonst (zurecht) keinen Gegner fürchtende Schweiz da gegen den Europameister hinstellte, signalisierte von der ersten bis zur letzten Minute: Ehrfurcht, Respekt und Angst, ja Angst.
Erstaunlich, was die Zuschreibung das Maß aller Dinge zu sein alles verursachen kann. Denn nicht einmal Nordkorea hat gegen Brasilien so verhalten gewirkt.
Der Knackpunkt wird es, wie in jedem Spiel von Barcelona oder Spanien (heute mit 6 x Barca, ein wenig Real, Valencia und Villereal) sein, ob die deutlich Überlegenen es schaffen das mit dem Übertreiben einzustellen. Der letzte Paß muss besser kommen, die überzähligen Schnörkel sollten abgestellt werden - dann könnte es flutschen.
Fluide Schnörkler
Spanien agiert wie immer mit einem fluiden 4-5-1, wobei vier Mann in diesem Fünfer-Mittelfeld frei und radikal umhersurfen, ohne dabei die Ordnung im Raum zu verlassen: Xabi Alonso und Xavi zentral, Iniesta mehr links, David Silva mehr rechts. Da auch David Villa, der einzige Stürmer, einer ist, der gern aus der Etappe kommt, schwärmen gern fünf Gefahrenherde zeitgleich aus - ein Horror, da kann ich Hitzfelds Ängste schon auch nachvollziehen.
Der alte Feldherr hat seine Schweizer in ein enges Korsett gezwängt, sein klassisches 4-4-2 so defensiv wie möglich interpretiert. Die Außenverteidiger bleiben brav hinten, der inm linken Mittelfeld aufgebotene Gelson Fernandes spielt letztlich wie immer seinen Defensiv-Part und Derdiyok muss als hängende Spitze den ersten Störfaktor im spanischen Aufbau mimen. Weshalb nur über Barnetta rechts offensiv Momente entstehen.
Dazu kam auch die Verletzung von Senderos, die das Schweizer Spiel fast quälende 20 Minuten lang behinderte.
In der Schweiz selber, das entnehme ich dem was der DRS-Kommentator während des Spiels und die Interview-Partner in der Pause sagen, mit dem 0:0 in der Halbzeit unglaublich zufrieden, sprechen von einer taktischen Meisterleistung - aus ihrer Warte verständlich. Würde sich Österreich hier so verkaufen, die Kommentare würden vor Stolz platzen, und sich gleich als Weltmeister betrachten. So vermessen sind die Schweizer indes nicht.
Die trauen sich in der 2.Halbzeit dann mehr.
Gelson entdeckte die Reize der linken Seite, und der Rest der Eidgenossen legte die Angst ab - und spielte ein wenig mit.
Dass aus diesem "wenig" ein einzelner schneller Angriff (Benaglio schlägt weit ab, Puyol unterläuft, Nkufo leitet weiter, Derdiyok drückt, Casillas schießt ab, Derdiyok fällt über Pique, Gelson 1. Versuch, Pique versucht ein Hands, Gelson 2. Versuch - alles mehr reingenudelt, als erspielt, aber in seiner Wucht dann doch) und ein Tor entsteht - das ist zwar vielleicht mehr als verdient war; aber okay. Auch, weil es (und ich zitier da nur) nach einer "taktisch hervorragender Leistung" entstanden ist.
Als Reaktion auf den Rückstand macht del Bosque aus dem 4-5-1 ein 4-4-2, Xabi rückt statt Busquets in die defensivere Position, Navas ersetzt den glücklosen David Silva rechts und mit Torres kommt ein Partner für David Villa im Sturm-Zentrum. Die rote Furie umringt in der weiteren Folge den Strafraum wie den Handball-Kreis, haut aber die Bälle meist hoch hinein, was angesichts der kopfballstarken Verteidigung keine gute Idee ist. Oder zumindest eine zuwenig.
Es ist kein Wunder, dass die größte spanische Chance die Weitschuß-Granate von Xabi war. Denn auch wenn Navas von rechts unglaubliches leistet - seine Flanken kamen auch nicht an; entweder war ein fremder Fuß oder ein eigener Haken noch im Weg.
Das mit dem Abschluß klappte auch deshalb nicht weil Ferndando Torres und auch Iniesta (der dann auch noch verletzt raus mußte) deutlich erkennbar nicht topfit waren.
Gruppe H, Runde 1, Fazit:
Am ersten Tag der Wahrheit ist das Gruppen-Fazit nicht wie sonst überall ein Blindflug, sondern schon sehr aussagekräftig, denke ich.
Spanien und Chile, neben Argentinien, Deutschland, und Brasilien (in der Reihenfolge ihres Antretens) sowie vielleicht Holland die deutlich spielstärksten Mannschaften, auch die bestanzusehendsten. Beiden fehlt es am Abschluß - in beiden Fällen sind die Gründe dafür (die besten Stürmer fehlen bzw sind verletzt) recht klar.
Nur: im Vorfeld hatte ich damit gerechnet, dass sie auf recht wenig Gegenwahr in der Gruppe treffen werden. Und sich deshalb problemlos einspielen werden können, bis alles wieder fot und an Bord ist.
Für Honduras stimmt das, für die Schweiz aber eben (und das ist die positive Überraschung dieser Gruppe) nicht. Die hat ihre Wehrhaftigkeit, trotz ebenso widriger Sturm-Umstände, und nach der Überwindung anfänglicher Ängste, deutlich manifestiert. Und damit den Dreikampf um den Aufstieg eröffnet.
Da kann es nämlich sogar den Europameister erwischen.