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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 6. 2010 - 01:25

WM-Journal '10-25.

Der dringend nötige Extra-Eintrag zum Thema Taktik und Populismus. Anlass: Fußball-WM. Eigentlicher Einsatz-Ort: österreichische Polit-Rezeption.

Seit 1. Juni erscheint dieses WM-Journal zum Turnier in Südafrika - mit einer Ausgabe pro Spiel.
Hier auch in der Übersicht.

Das WM-Journal gibt es auch als Podcast, einmal täglich, immer gegen Mittag.

Offizielles: die FIFA-Seite und die WM-Spezial-Site der Sport-Kollegen.

Alle FM4-Stories zur WM, alle Rundherum-Geschichten aus Südafrika.

Das FM4 WM Quartier im Wiener WUK.

Also: zuerst die Fakten, dann die These und dann wie's dazu kam.

Die Fakten:
Fußball ist ein Spiel, ein brillant entworfenes Spiel, wohl weil es so dicht dran ist an der Spiegelung sozialer Interaktion und weil es so regeldicht funktioniert wie sonst kaum etwas.
Jedes Spiel ist eine kollektive Erfindung und somit artifiziell, Fußball ist in seiner Beschaffenheit also hochartifiziell.

Wie jedes Spiel basiert es auf Ideen und Strategien - und genau da spiegelt es unser Leben wieder. Denn egal ob als öffentlicher, als ökonomischer als als privater Mensch: alle Beziehungsgeflechte, die uns umgeben, sind genausolchen Ideen, Überlegungen und Strategien unterworfen.

Die These:
Die seltsame Koalition aus Denk-, Spiel- und Zusammenhangs-Verweigerern, die sich sträubt, die (für den guten Blicker offensichtlich daliegenden) strategischen und taktischen Hintergründe im Fußball zu erkennen, es sogar ablehnt drauf hingewiesen zu werden und deshalb einen Gegensatz zwischen "halt Fußball Spielen" und "Taktisieren" entwickelt haben, um so der Komplexität der Welt auszuweichen, unterscheidet sich keinen Deut von der noch viel seltsameren Allianz aus Nörglern, Denkfaulen und Zusammenhangs-Verweigerern, die aktuell die politische Kultur dieses Landes an die Wand fahren, indem sie populistischen "einfachen Lösungen" Tür und Tor öffnen.

Es mögen nicht diesselben Menschen sein - Brüder im Geiste sind sie allemal.

Wie komm ich drauf?
Durch Mitteilungen und Postings, die von meiner wieder einmal sehr taktikaffinen WM-Berichterstattung überfordert sind, und das nicht einfach mittels Nicht-Rezeption übergehen können, sondern glauben so etwas wie eine Oppositions-Meinung zu besitzen. Dass man das, das Überdenken von Strategien, Systemen und Taktik nicht nur eigentlich nicht brauchen würde, sondern dass das eigentlich dem "reinen", dem richtigen, dem "puren", dem "einfach Fußball spielen!"-Spiel entgegenstehen würde.

Das ist nicht nur schlicht falsch (denn das Spiel per se ist eine Kreation des strategischen Geists der Menschen, und jeder wesentliche Akteur des Spiels ist automatisch von diesem Geist beseelt), sondern in seiner Naivität auch das exakte Doppeln der Populismus-Rezeption, die dieses Land seit Jahren lähmt.

Denn da geht's nach genau demselben Muster ab.
Die Krakeeler auf den Marktplätzen plärren ihre Sätze von der einfachen Politik für den rechtschaffenen kleinen Mann, der einzig möglichen reinen, richtigen, puren Politik, die sie (im Namen der kleinen Männer und Frauen, ebenso rechtschaffen) fertigen würden - ganz so, als wäre die Politik, die Kunst des Möglichen, die hochgradig komplexe Balance der Realität tatsächlich voller einfacher Lösungen.
Die womöglich nur von jenen, die alles immer "kompliziert machen", verhindert werden.

Als ob irgendein politischer oder privater Akt - und dabei ist es völlig egal, ob es sich um ein Gesetz zur Bankenaufsicht, um eine Regelung zur Musikförderung oder um eine Lösung eines Beziehungs-Problems handelt - mit einer immer parat stehenden "einfachen Lösung" zu bewältigen wäre.
Ist es nicht.
Nie.
Alles ist bestenfalls im Einzelfall zu lösen - und je mehr Beteiligte, desto komplexer.
Wer jemals irgendwo irgendeine (funktionierende) Einigung, die für mehr als zwei Leute gilt, entworfen und durchgezogen hat, weiß, wovon ich rede.

Die "einfache Lösung" ist Bauerfängerei, für Idioten.

Nun hat es die und hat es das immer schon gegeben.

Und der religiös-esoterische Komplex, diese abgefeimte moderne Wirtschaftsmacht der Einschläferung, trägt das Ihre dazu bei, sich mit Simplifizierungen, Aberglauben und Pseudo-Weisheiten, die jegliche Anstrengung ausblenden, zufriedenzugeben.

Der Unterschied der letzten Jahre, seit dem Aufkommen der in Österreich begeistert aufgenommenen Denkschule des Populismus, der das Outsourcing des eigenständigen Denkens verkauft und damit auch gut ankommt, ist folgender: während davor (also vor bis zu gut 10 Jahren) die Überlegung, hinter die Systeme zu steigen und ihren Betrieb (also die Strategie, die Taktik der Macht) zu demokratisieren, via Analyse öffentlich zu machen und so eine Diskurs-Maschine anzuwerfen, dominiert hat, ist danach (jetzt) nicht nur die Kritik und der Willen zur Individualität verächtlich gemacht, sondern auch gleich das gesamte Instrumentarium diffamiert.

Strategie?
Hui, so was Arges! Sicher links und radikal!
Taktik?
Der Teufel und das Böse!
System-Analyse?
Den Mund sofort mit Seife auswaschen!

Bereits die Verwendung abstrakter Begriffe ist böse!

Die kulturelle Verrohung durch den Irrglauben an die einfachen populistischen Lösungen (und da ist es jetzt völlig egal, ob es sich um die verlogene Phrase vom einfachen Fußball "ohne taktische Zwänge" handelt oder um einfache politische Lösungen) ist bereits so weit fortgeschritten, dass nicht nur die Komplexität der Modelle als Feind angesehen wird, sondern bereits die abstrakten Begriffe dahinter als Synonyme für alles, was den simplen Denker belasten könnte, gelten, als Feindbild schlechthin.

Stattdessen schüren die vom Populismus angekränkelten und von der Wucht der globalisierten Information gedrückten Seelen die Sehnsucht nach dem unendlich Simplen, dem Sich-Selber-Ergebenden, dem lieben langen Fluss, der alles gut macht. Ach, ein guter König oder ein kleiner Führer wäre doch brauchbar. Und, ja, auch im Fußball würd' das was nützen: die sollen doch nur einfach losspielen, so wie, ja, äh, früher halt.
Dass es dieses früher nur in unseren Kindheits-Eindrücken gab, dass es irreal wie ein Musical ist, stört nicht.

Überhaupt: uns nicht mit Hinweisen auf das Dahinter stören: Finger in die Ohren und laut lalala singen, dann geht das sicher weg.

Lalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalalala

Es mögen andersweitig hochintelligente Menschen sein, die glauben, der Sehnsucht nach dem Einfachen in diesen zärtlich-naiven Wünschen nach einem einfachen und befreiten, weil taktik-freien Fußball (ein Wunsch ebenso sinnfrei wie der nach wasserfreiem Kaffee) Ausdruck verleihen zu können, hier sozusagen eine kleine Flucht der kompletten Denk-Freiheit und reinen Fühlerei zu betreiben.

Bloß: auch das ist Selbstbetrug.
Und ein untrügliches Anzeichen für Manipulations-Anfälligkeit.

Wenn es ein Populist schafft den Menschen einzureden, er könne ein komplett taktik- und strategiefreies Nationalteam führen und man ihm das auch zugesteht, weil er so fesch ausschaut dabei, dann wird derselbe Zustimmer dann auch dem nächsten Feschak, der ihm auf anderen, komplexeren Gebieten die simplen Botschaften anbieten, genauso bejubeln (und hat das, weil diese Feschaks gibt es ja seit Jahren, auch bereits getan).

Ich kann aber Menschen, die sich auf dem einen Gebiet als Plapperanten erweisen, auch auf anderen Feldern nicht mehr ernst nehmen. Als spielerische Provokation: von mir aus. Aber: in ernster Engstirnigkeit auf Opa-Stammtisch-Niveau mit Luis Trenker-Drama-Tremolo durchargumentiert - das geht sich nimmer aus.

Die sind eigentlich bereits an den praktischen Populismus verloren. Sie haben aufgegeben, sich schlafen gelegt und auf die Körperfresser gewartet.

Der, der in allen Bereichen, selbst im Fußball, die einfache Lösung anbietet, beleidigt meine Intelligenz. Und er sollte eigentlich jedermanns Intelligenz beleidigen.